Beim Muschilecken braucht man sich keine Gedanken über sexuell übertragbare Krankheiten zu machen, glauben viele. Das dachte auch Jorinde Wiese lange. Vor einem Jahr wollte die Bloggerin aus Freiburg es aber genauer wissen und recherchierte Verhütungsmethoden beim Oralsex. „Da habe ich zum ersten mal gelesen, dass es Lecktücher gibt. Ich bin aus allen Wolken gefallen! Denn ich habe mich für aufgeklärt gehalten.“
Lecktücher, Dental Dams oder der weniger sexy Begriff „Oralschutztuch“, sind rechteckige Tücher aus Latex, die man beim Lecken – auch Cunnilingus genannt – über die Vulva und den Anus legen kann. Sie schützen vor Krankheiten, die beim Oralsex übertragen werden können, zum Beispiel Gonorrhö (Tripper), Chlamydien, Syphilis, HPV oder Genitalherpes.
Viele Menschen glauben, Lecktücher seien ein Lesbenthema. Dabei sollte sich auch jeder Heteromann, der schon mal eine Muschi geleckt hat, Gedanken darüber machen, was man sich dabei einfangen kann.
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Lecktücher sind unbekannt, schwer erhältlich und kein Thema im Sexualkundeunterricht. „Es kann nicht sein, dass sich der Aufklärungsunterricht so heteronormativ auf Kondom und Banane konzentriert, nur weil es Pädagog*innen peinlich ist, über Oralsex zu sprechen“, kritisiert Wiese. Vielen Menschen ist nicht bewusst, dass es beim Cunnilingus überhaupt ein Ansteckungsrisiko gibt. Wiese gründete deswegen mit sieben Aktivist*innen die „Aktionsgruppe Lecktuch“. Gemeinsam wollen sie das Thema stärker in den Vordergrund bringen.
„Leck-wie, können Sie das buchstabieren?“
Als Jorinde Wiese von Lecktüchern erfuhr, vertraute sie sich ihrer Gynäkologin an. „Meine Gynäkologin schaute mich ganz merkwürdig und verständnislos an,“ erinnert sich Jorinde. „Offenbar hatte sie noch nie davon gehört.“
Im Internet fand Jorinde mehr Informationen als bei ihrer Frauenärztin, zum Beispiel auf Gesundheitsseiten wie „Liebesleben“, einem Projekt der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Dort wird darauf hingewiesen, dass Lecktücher in der Apotheke erhältlich sind. Jorinde hat den Test gemacht und 22 Apotheken kontaktiert. „21 Apotheken haben noch nie davon gehört und nur sieben konnten Lecktücher bestellen,“ berichtet sie. „Einige Apotheker*innen wollten, dass ich ihnen das am Telefon buchstabiere.“
Mit etwas Glück findet man Lecktücher in Sexshops. In Drogerien wie Rossmann und dm braucht man gar nicht erst zu suchen. Deswegen setzt sich die „Aktionsgruppe Lecktuch“ mit einer Petition und dem Hashtag #LecktuchInDieLäden dafür ein, dass Lecktücher in Drogerien erhältlich sind.
12 Euro für vier Lecktücher
Am schnellsten wird man im Internet fündig, doch die Auswahl ist mehr als bescheiden: Es gibt keine latexfreie Variante – ein Problem für Allergiker*innen. Anstatt Lecktücher geschmacksneutral zu machen, hat man die Qual der Wahl zwischen Aromen wie „Erdbeer“ oder „Vanille“. Für das bisschen Latex in einer Viererpackung muss man fast zwölf Euro hinblättern. „Lecktücher muss es, genauso wie Kondome, zu einem erschwinglichen Preis geben,“ bemängelt Jorinde.
Bei der gähnenden Leere in der Angebotslandschaft drängt sich die Frage auf, woran das liegt: Ist das Risiko, sich beim Oralsex mit STDs anzustecken, etwa so gering?
Norbert Hermann Brockmeyer, der Präsident der Deutschen Gesellschaft zur Förderung der Sexuellen Gesundheit (DSTIG) in Bochum, kann darüber Aufschluss geben. Er erklärt: „Oralverkehr wurde lange als Safer Sex beschrieben. Das bezog sich aber immer nur auf HIV-Infektionen.“
Laut Holger Wicht von der Deutschen Aidshilfe, ist es sehr unwahrscheinlich, durch Cunnilingus eine HIV-Infektion zu bekommen. Daran ändere selbst Menstruationsblut nichts, da es durch Speichel verdünnt werde und die Mundschleimhaut sehr widerstandsfähig sei. „Uns ist kein Fall einer Übertragung auf diesem Wege bekannt,“ bestätigt er.
Sexuell übertragbare Krankheiten nehmen zu
HIV ist allerdings ein Sonderfall. „Wir sehen eine steigende Zahl an sexuell übertragbaren Infektionen im Rachenraum,“ sagt Brockmeyer. Ein Beispiel sind Papillomviren (HPV), die im Rachen die Bildung von Karzinomen fördern können. Auch Herpes kann durch Oralsex übertragen werden: „Den Herpes-Typ 1, der üblicherweise am Mund vorkommt, stellen wir immer häufiger im Genitalbereich fest,“ so Brockmeyer. Dem Europäischen Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) zufolge nehmen Syphilis- und Gonorröh-Ansteckungen in Europa zu. Chlamydien sind die häufigste sexuell übertragbare Infektion in Deutschland. Laut der DSTIG werden 300.000 Neuerkrankungen pro Jahr geschätzt. Unbehandelt können Chlamydien und Gonorröh besonders bei Frauen zu Unfruchtbarkeit führen.
Holger Wicht warnt jedoch davor, sich durch Angst die Lust am Sex nehmen zu lassen – zumal das Ansteckungsrisiko beim Cunnilingus tatsächlich geringer ist, als beim Penetrationssex mit Penis und Vagina. „Es ist aber natürlich gut, sich zu fragen: Welchen Schutz brauche und möchte ich?“ Die Antwort darauf kann die Entscheidung für oder gegen das Lecktuch sein. Wer wechselnde Sexualpartner*innen hat, solle sich gegen Hepatitis A und B impfen und einen regelmäßigen Check auf sexuell übertragbare Erkrankungen machen lassen – die verlaufen nämlich gerade bei Frauen oft ohne Symptome und bleiben deshalb oft unendeckt. „Geschlechtskrankheiten sind gut behandelbar. Dieses Wissen kann sehr beruhigend sein“, sagt Wicht.
Um eine aufgeklärte Entscheidung treffen zu können, ist es jedoch nötig, über Risiken und Möglichkeiten zur Prävention Bescheid zu wissen – und überhaupt an die Verhütungsmittel ranzukommen. Wenn niemand über Lecktücher redet, erschwert das die Sache.
Selbstgebastelte Lecktücher aus Frischhaltefolie
„Bastelt euch eure Lecktücher doch einfach selbst,“ ist ein Tipp, den auch Jorinde schon gehört hat. Es ist zwar möglich, sich aus Kondomen, Latexhandschuhen oder Frischhaltefolie Lecktücher zurechtzuschneiden, doch wer hat schon im Eifer des Gefechts gebastelte Lecktücher parat?
„Die sebstgemachten Lecktücher sind nur eine Notlösung, weil sie sehr klein sind – da kann schnell was verrutschen,“ erklärt Jorinde. „Frischhaltefolie ist nicht zu empfehlen, denn sie reißt viel schneller und manche Folien haben durchlässige Poren.“ Es kostet zudem viel weniger Überwindung, ein Produkt einfach aus einer Verpackung herausnehmen zu können.
Eine der größten Herausforderungen ist, dass Lecktücher – ob gebastelt oder gekauft – so unbekannt, ungewohnt und für viele Menschen befremdlich sind. Man braucht sich nur daran zu erinnern, wie viele Jahre der Aufklärungsarbeit nötig waren, um Kondome zu normalisieren. Dagegen gibt es nur ein Mittel: Ressourcen niedrigschwellig zugänglich machen – und darüber reden. Mit der „Aktionsgruppe Lecktuch“ will Jorinde Wiese deshalb erreichen, dass mehr über safe Oralsex gesprochen wird – und dass man Lecktücher günstig und einfach überall kaufen kann.