Leute in der deutschen Linken geben ihren Wohlstand nicht gerne zu. Wer wie viel Geld zur Verfügung hat, ist oft schwer mitzubekommen. Sogar bei den eigenen Mitbewohner*innen. Und da wird es problematisch. Damit die Lebenskosten in Wohngemeinschaften gerechter verteilt werden, müssten mal die Kreditkarten auf den Tisch gepackt werden.
Was in der Gesellschaft stattfindet, ist auch im WG-Alltag zu finden: Vermögen und Einkommen sind ziemlich ungleich verteilt. Das zeigt sich vielleicht erst einmal in Kleinigkeiten: Da bekommt eine von der Family wieder mal eine neue „gute“ Jacke zum Geburtstag, die Schuhe fürs Vorstellungsgespräch gesponsert, eine jährliche Urlaubseinladung, nimmt beim Besuch aus dem Elternhaus ein schickes Möbelstück oder das alte Zweitauto mit nach Hause. Andere freuen sich zum Geburtstag wie gewohnt über eine sweete Glückwunschkarte und ein Paket mit Süßigkeiten und Socken. Sie besuchen ihre Verwandtschaft in der Mietwohnung, nicht im Haus mit Garten in guter Lage.
Ansonsten macht der Lebensstil in vielen linken WGs die soziale Herkunft nicht so deutlich, oder verschleiert sie sogar. Oft kommen die Möbel aus zweiter Hand, Geschirrsammlungen vom Flohmarkt und es gibt selbstgebaute Hochbettkonstruktionen statt teurer Neuanschaffungen. Marlene Gerlath schrieb darüber, wie friends in Jogginghosen proletarischer wirken wollen, als sie sind.
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Diese kleinen Beispiele stehen für große Ungleichheiten, die sich hinter einem ähnlichen Lifestyle verstecken. Arslan Tschulanov erinnert sich im Dishwasher-Magazin an seine Erfahrung als Arbeiter*innenkind migrantischer Eltern. Er schreibt, wie absurd er es fand, wenn sich herausstellte, dass die vermeintlich antibürgerlichen Anarchist*innen teils aus sehr wohlhabenden Familien kamen. “Es ist kein Kunststück im Moment und in den Tag hinein zu leben und zu behaupten, Geld muss verbrannt werden, wenn du weißt, dass du mehrere Tausend Euro von deinen Großeltern und später noch mehr Kohle, Land und Immobilien von deinen Eltern bekommen wirst. Während wir Arbeiter*innenkinder eine Menge nutzlose Haushaltsgegenstände erben, deren Entsorgung uns auch noch kostet.”
Redet über eure Kohle
Auch wenn wir uns als Linke vielleicht auf theoretischer Ebene in Diskussionen mit Ungleichheit befassen, über eigene Klassen- und Vermögensunterschiede wird in meinem Umfeld nicht gerne geredet. Gespräche darüber, wie zum Beispiel die Miete gerecht verteilt werden könnte, führen deswegen oft nicht weit genug.
In einer WG, in der ich wohnte, hielten wir es so, dass die Miete für alle gleich hoch war und nicht von der Größe des Zimmers abhing. So konnten sich theoretisch alle jedes Zimmer leisten. Fair, oder? Allerdings können die Bildungswege und Biografien recht unterschiedlich verlaufen und damit verbunden auch die Höhe der Einkommen. Wer wohlhabende, (west)deutsche Eltern mit Hochschulabschluss hat, bekommt laut zahlreicher Statistiken mit größter Wahrscheinlichkeit einen gut bezahlten Job.
Das traf auch auf unsere WG zu: So musste eine Mitbewohnerin mehr als vier Stunden lohnarbeiten, um auf die gleiche Summe zu kommen, die ein anderer Mitbewohner in einer Stunde verdiente. Als zukünftiger Erbe gehörte er schon jetzt zu den vermögenden 40 Prozent der Gesellschaft in seiner Altersgruppe. Die gleichen Mietpreise für alle können also ziemlich ungleiche Belastungen für die Einzelnen sein. Trotzdem blieben wir erst einmal dabei, weil wir uns nicht einigen konnten.
Durch gleiche Miete für alle kann sich die Ungleichheit sogar noch verfestigen: Wenn eine Person jahrelang die Hälfte ihres Geldes für Miete und Nebenkosten ausgibt und vom Rest sparsam leben muss, während die andere jeden Monat sogar etwas zurücklegen kann. Eine WG ist so gesehen für manche eine Möglichkeit, über die Runden zu kommen. Für andere ein Weg, den eigenen Reichtum zu erhalten oder sogar zu vergrößern. Auch, wenn das nicht bewusst so gewollt ist. Denn natürlich sind WGs für viele mehr als eine Zweckgemeinschaft. Wir wohnen zusammen, weil wir uns mögen, gerne abhängen, Freund*innen sind; weil wir nicht alleine und nicht in konventionellen Clustern wie Familien oder als Paar zusammenleben wollen. Dazu passen die Fragen: Wollen wir uns da wirklich, wenn’s um Geld geht, alleine lassen? Und wenn nicht, warum werden diese Unterschiede nicht offen thematisiert?
Ok, verständlich, dass Leute mit wenig Geld klassistische Zuschreibungen und Vorurteile vermeiden wollen oder aus Scham ungerne über ihre finanzielle Lage sprechen. Aber dass auch Leute mit viel Geld das nicht gerne zugeben – Stichwort Jogginghose – das macht es verzwickt.
Eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft bestätigte 2019 erneut, dass die meisten Deutschen sich nach ihrem Gefühl der Mittelschicht zuordnen. Statt sich anhand von Zahlen und Statistiken in Verhältnis zur Gesamtgesellschaft zu setzen, orientierten sie sich Leute dabei eher an ihrem direkten Umfeld oder daran, was sie sich als reich vorstellen. Vor allem die, die weit mehr verdienen und besitzen als der Durchschnitt. Ein lustiges Beispiel dafür war der CDU-Politiker Friedrich Merz, der 2018 behauptete, mit einem Jahresgehalt von 1 Millionen Euro zur Mittelschicht zu gehören – denn er habe keine Firma geerbt.
Solche Fehleinschätzungen gehen ganz klar zugunsten der Wohlhabenden. Die deutsche bürgerliche Linke sollte sich von dem Gedanken ihrer Eltern trennen, dass Reichtum ihnen einfach zusteht und sie ihn vor anderen behüten müssen. Denn gerade, wenn es um gemeinsame Kosten wie die Miete geht, wäre es leicht, den Vorteil etwas auszugleichen, der manchen durch gesellschaftliche Ungleichheit entsteht. Keine muss das Geld für sich behalten, das ihr durch ungleiche Gehälter oder ihre Biografie zufällt. Stattdessen könnte sie sich so an den Kosten beteiligen, wie es ihr Einkommen und Vermögen zulassen. Das ist kein selbstloser oder gönnerhafter Akt. Das ist einfach nur nicht mega unfair. Was in einer WG genau gerecht ist, das muss je nach Konstellation ausgehandelt werden. Aber es sollte eben ausgehandelt werden!