Der Hashtag #metoo war für die Filmbranche ein Weckruf, auch in Deutschland. Mit Harvey Weinstein steht seit Anfang Januar nun das Aushängeschild des Patriarchats vor Gericht. Man könnte meinen, dass seither erste wichtige Schritte in Sachen Aufarbeitung gemacht wurden. Zu wenige, mahnen Kritiker. Doch wie sieht es eigentlich am Theater aus? Auch auf Bühnen zwischen Berlin und Köln, Hamburg und München sind Schauspieler*innen sexueller Gewalt und männlich dominierten Machtstrukturen ausgesetzt. Eine Schauspielerin berichtet von ihren Erfahrungen:
„Für mich war es das erste Mal kurz nach Ende meines Schauspielstudiums, als der Regisseur, der im Stück eine kleine Nebenrolle übernommen hatte, mir plötzlich in einer Szene an den Po fasste, als ich gerade die Bühne verlassen wollte. Vor Publikum. Ich habe ihn danach zur Rede gestellt und hätte es sogar noch im Sinne der gespielten Szene toleriert, wenn er eingesehen hätte, dass das uncool war. Aber es kam keine Form der Entschuldigung von ihm. Stattdessen sprach er von der „Re-Emanzipation des Mannes“ und „der Wertschätzung der weiblichen Reize.“ Ich habe mich darüber geärgert, weil ich dachte, ich hätte versucht, konstruktiv damit umzugehen. Ich war ziemlich enttäuscht von ihm und konnte mir auch nicht sicher sein, ob er das beim nächsten Mal wieder machen würde, oder nicht.“
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Und genau so kommt es dann auch:
„Als es am nächsten Tag wieder zu der Szene im Stück kam, fing er an zu grinsen und ich dachte mir, ich verlasse die Bühne dann lieber rückwärts, so dass er es nicht wiederholen kann. Er machte dann so Andeutungen, dass er grapschen würde. Wenig später, das Stück lief noch, ich war kurz hinter der Bühne und musste gerade wieder auftreten, da hatte ich dann zum zweiten Mal seine Hand an meinem Po. Genau in dem Moment als mein Stichwort kam, zu dem ich wieder auf die Bühne musste. Diesmal war es ein reines Machtding, er hatte damit das letzte Wort.“
So wie Anne (Name geändert) geht es vielen Schauspielerinnen und weiblichen Beschäftigten an deutschen Bühnen, auch zwei Jahre nach #metoo. Zu diesem Schluss kommt zumindest eine Studie zum Thema Machtmissbrauch am Theater von Prof. Thomas Schmidt, Dozent für Theater und Orchestermanagement an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main. 184 von knapp zweitausend Theaterschaffenden gaben darin an, bereits Opfer von sexuellen Übergriffen geworden zu sein. 184 von knapp 2000, das sind fast zehn Prozent. Das bedeutet im Umkehrschluss: Fast jedes Theater ist betroffen und selten haben Übergriffe ernsthafte Konsequenzen für die Täter. Die Opfer, das geht auch aus der Studie hervor, sind fast ausschließlich Frauen. 284 Mal wurden sexuelle Angebote ausgesprochen, oder sexuelle Übergriffe ausgeübt. Die Täter sind zu 96,5 Prozent Männer.
Betroffene berichten, dass sie sich durch sexuelle Übergriffe oft extrem erniedrigt fühlen. Wir arbeiten daran, dass solche Zustände bald der Vergangenheit angehören
Obwohl Anne damals mit der Intendanz des Theaters sprach, blieb der Übergriff ohne Konsequenzen. Wenn er das nochmal machen würde, so die Intendanz, dann würde er eine Verwarnung bekommen. Da hatte er die Grenze bereits zwei Mal überschritten. Weil ihr die mögliche Verwarnung bei Wiederholung nicht reichte, wandte Anne sich an den Berufsverband der Film- und Fernsehschauspieler (BFFS), die sie wiederum an die neu geschaffene „Themis – Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt beim Film, Fernsehen und Theater“ verwiesen. Dort können sich Theaterschaffende kostenlos beraten und helfen lassen. Die Vertrauensstelle gibt es seit Oktober 2018. Seither haben sich knapp 200 Opfer von Übergriffen gemeldet, erzählt Eva Hubert. Die 69-Jährige sitzt im Vorstand der neu gegründeten Beratungsstelle, ehrenamtlich. Rund ein Dutzend der Betroffenen, die sich seit der Gründung von Themis gemeldet haben, sind laut Hubert Männer, der überwiegende Anteil – wenig überraschend – Frauen. „Betroffene berichten, dass sie sich durch sexuelle Übergriffe oft extrem erniedrigt fühlen. Wir arbeiten daran, dass solche Zustände bald der Vergangenheit angehören.“ Die Schwierigkeit dabei: Das Team hat nur zwei Stellen, die Beraterinnen, eine Psychologin und eine Juristin arbeiten jeweils nicht in Vollzeit. „Unser kleines Team hat sehr viel zu tun, eine dritte Stelle wäre natürlich gut“, sagt Hubert.
Das Problem: Theater in Deutschland wird auch im Jahr 2020 noch von alten weißen Männern gemacht
Zurück in der Realität von Übergriffen, Machtdominanz und Patriarchat: Mittlerweile ist Anne festes Ensemblemitglied an einem Theater einer deutschen Großstadt. Dort, so erzählt sie, wurde sie bisher noch nicht sexuell belästigt, doch fortschrittlich sei ihr Theater deshalb noch lange nicht. Das Problem: Theater in Deutschland wird auch im Jahr 2020 noch von alten weißen Männern gemacht. An deutschen Bühnen gibt es nur 22 Prozent Intendantinnen, nur 30 Prozent der Regiearbeiten stammen von Frauen. Diese Erfahrung hat auch Anne gemacht. „Auf den beiden großen Bühnen an unserem Haus inszenieren nur Männer, das ist sehr typisch“.
Neben sexuellen Übergriffen ist ein weiteres Problem von Schauspieler*innen am Theater omnipräsent: „Du bist als Schauspielerin einfach einer krassen Machtstruktur ausgesetzt: Du hast normalerweise 40 Stunden die Woche Proben. Text lernen, Anproben, alles weitere ist on top.“ Monatelang 60-Stunden die Woche arbeiten, ist Normalität. Schnell wird aus Annes übertariflicher Bezahlung ein Stundenlohn von rund sieben Euro. Das ist nicht mal Mindestlohn. Wenn Anne die Stadt verlassen will, muss sie sich einen Ortsabwesenheitsschein vom Intendanten bewilligen lassen. Der wird, selbst an spielfreien Tagen, auch mal abgelehnt, berichtet sie. Als ihr das einmal passierte, wandte sich Anne an die Gewerkschaft, mit Erfolg.
Muss das alles so sein? Fragt man Anne lautet die Antwort „nein“. „Die Frage ist ja, wie man gute Umstände schaffen und erreichen kann, dass alles cooler funktioniert.“ Erste Versuche gibt es bereits mit der „Burning Issues“-Konferenz, auf der sich Theaterschaffende mit dem Thema Geschlechtergerechtigkeit auseinandersetzen. Oder das Ensemble des Thalia-Theaters in Hamburg, das mit – wenn auch überschaubarem Erfolg – für eine Demokratisierung der versteinerten Machtstrukturen kämpft. Demgegenüber steht das Problem, mit dem Angestellte und Frauen am Theater und überall sonst nicht alleine sind. Das Patriarchat – ob am Theater oder anderswo – kämpft gegen den drohenden Machtverlust an. Selten fair, selten freundlich, dafür oft mit allen Mitteln. Bis also irgendwann Licht hinter den massiven Vorhang fällt, heißt es noch eine Weile: „Alte Weiße Männer, das ist am Theater immer noch super verbreitet“, sagt Anne.