Linke Aktivist*innen wissen es seit langem: Bei Polizist*innen gibt es ein Problem mit Männlichkeit. Aber auch innerhalb der Polizeiforschung, die nicht unbedingt dafür bekannt ist, den Apparat Polizei abschaffen zu wollen, wird das Phänomen beobachtet und diskutiert. Und das zeigt, wie problematisch es ist, wenn Männlichkeitsbilder innerhalb einer Institution verstärkt werden.
Der Begriff „Cop Culture“ spielt dabei eine Rolle. Er beschreibt die Lebenswelt von Polizist*innen. Die ist speziell, denn in dieser polizeilichen Kultur gilt nur die Sichtweise von Polizist*innen auf eine Welt voller Gefahren und Kriminalität. Unter der Perspektive, jeden Tag gegen „das Böse“ zu kämpfen, entwickeln sich deshalb kriegerische Polizisten. Die erkennen ihre Aufgabe vor allem darin, die Staatsgewalt in der Auseinandersetzung mit Bürger*innen durchzusetzen. Gedeckt werden diese „Krieger“, die Männlichkeit auf eine spezielle Weise verkörpern, von anderen Polizist*innen, darunter auch den als „besonnen“ geltenden Frauen. Sie alle profitieren von der Aufgabenteilung „guter Bulle, böser Bulle“.
Das Phänomen „Cop Culture“ lohnt sich, genauer angesehen zu werden. Innerhalb dieser Kultur erleben sich Polizist*innen, so erklärt der Polizeiforscher Rafael Behr in der Zeitschrift kritik│recht│gesellschaft, als schicksalhafte Gefahrengemeinschaft. Der Arbeitsalltag besteht aus Einsätzen, die zwar meistens glatt laufen, aber prinzipiell eskalieren können. Dabei kann es zu Gewalt gegen Beamt*innen kommen, die zu physischen oder psychischen Verletzungen führt. Die Beamt*innen können aber auch grobe Fehler im Handling solcher Situationen machen und andere Menschen bei Gewaltexzessen verletzen. Sie müssen dann gegebenenfalls einen moralischen Konflikt mit sich allein ausmachen. Laut Behr führt das insbesondere bei Männern dazu, sich stärker mit der Gemeinschaft der Polizei zu identifizieren – dazu gehört eine Überbetonung der kriegerischen Aspekte. Frauen wiederum duldeten diese Dynamik, ohne aktiv an ihr teilzunehmen.
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Kriegerische Männlichkeiten erkennen ihren Auftrag wiederum vor allem darin, in Auseinandersetzungen Sieger*innen und Verlierer*innen zu produzieren. Eine männliche Orientierung sorgt häufig dafür, dass klare soziale Hierarchien mit festen Rollen entstehen. Innerhalb der polizeilichen Gemeinschaft werden diese Rollen wiederum durch Befehlsgewalt und Gehorsam formalisiert.
Behr, der selbst in den 1970ern bis 1990ern Polizeibeamter war, weist in dem Artikel außerdem auf die unter Polizist*innen bekannte Figur des „Widerstandsbeamten“ hin. Den Namen erhält er dadurch, dass er auffällig viele Anzeigen wegen „Widerstands gegen die Staatsgewalt“ schreibt. Das ist eine Straftat, die in Deutschland häufig genutzt wird, um das Fehlverhalten von Polizist*innen „gerade zu schreiben“: erst werden Menschen körperlich attackiert, die ins Feindbild von Polizist*innen passen, dann bekommen sie eine Anzeige. Das kennt man von Berichten von Linken bei Demonstrationen und Kundgebungen.
Wenn Beamt*innen mit Linken zu tun haben, werden sie außerdem in ihrer hierarchischen Weltsicht herausgefordert: etwa durch offen gelebte Homosexualität oder andere Entwürfe davon, wie Frauen leben und sich geben. Aber auch ein ganz anderes Verständnis davon, was Gewalt ist: so kultivieren Linke einen flexiblen Umgang mit dem Eigentum anderer, wohingegen der Schutz des Eigentums zu den höchsten Geboten der polizeilichen Arbeit gehört. Dadurch erscheint etwa eine mit politischen Botschaften besprühte Garageneinfahrt eines Supermarktes schnell wie ein Verbrechen. Wenn aber Menschen seelische oder körperliche Verletzungen einstecken müssen, weil Beamt*innen Schläge verteilen, gilt das als kaum bedenklich.
Auch Rafael Behr beobachtet, wie sich die Weltsicht von Polizist*innen durch die Dynamiken des polizeilichen Alltags einengt. Und er kritisiert, dass es zu wenig Gegenstrategien gibt. Vielmehr überwiege die unbedingte Solidarität unter Polizist*innen als Angehörige der selben Gefahrengemeinschaft. Man lerne, dass man zu den Guten gehöre, den Zusammenhalt und das Füreinander-Einstehen. Aber, so Behr: „man lernt wenig bis nichts über die Modalitäten und Grenzen der Solidarität.“ Darin liege „die Gefahr des moralischen Scheiterns, denn es kann sein, dass man plötzlich nicht mehr zu den „Guten“ gehört, sondern im Bewusstsein, auf der richtigen Seite zu stehen, schon längst moralisch und rechtlich in der delinquenten Zone angekommen ist“. Das Wort „Delinquenz“ meint dabei die Charakterneigung, straffällig zu werden.
Menschen sind in der Weltsicht der Kriegermännlichkeit, die sich etwa um Treue und Worthalten dreht, entweder gut oder böse. Sie müssen gestützt oder abgewertet, beschützt oder bekämpft werden. Doch unsere Lebensrealität spielt sich meist in den unendlichen Grautönen dazwischen ab.
Selbst, wenn es bei den meisten polizeilichen Einsätzen überhaupt keine körperliche Auseinandersetzung gibt, bleibt das Kämpfen in der emotionalen Welt dieser Männer der Fixpunkt. Die regelmäßigen SEK-„Skandale“ passen dazu. Für Neueinsteiger*innen gibt es etwa Aufnahmerituale, bei denen es zu heftigen Demütigungen, sexualisierter Gewalt und Körperverletzungen kommen kann. Auch Nazi-Tendenzen, ob in in der Elite-Polizei oder im Präsidiumsalltag, gehören zu diesem Bild. Ein Linksextremismusskandal innerhalb der Polizei ist dahingegen ebenso wenig bekannt geworden wie eine Widerstandsbeamtin.
Und was haben weibliche Polizist*innen damit zu tun? Dass weibliche Polizist*innen häufig etwas besonnener auftreten, bei ihrer Arbeit mehr auf Ausgleich bedacht sind und weniger zu körperlichen Eskalationen neigen, sollte nicht als positives Gegenbeispiel missverstanden werden. Auch Beamt*innen, die nicht dem Kriegertypus entsprechen, beteiligen sich an der unbedingten Solidarität in der Cop Culture. Oder am „Geradeschreiben“ von gewalttätigen Übergriffen auf Bürger*innen, wie ein Polizist in einem „jetzt“-Interview berichtete.
Wenn dann Leute Angst vor Obermackern in Uniform haben, hilft das den restlichen Beamt*innen sogar, nicht in ihrer Autorität hinterfragt zu werden. Das mag bei der Aufnahme von Verkehrsunfällen nicht so problematisch wirken. Beim Racial Profiling, bei Abschiebungen oder bei den Belästigungen und Bespitzelungen durch Staatsschutzbeamt*innen ist das sehr wohl ein Problem. Und auch, wenn Beamt*innen Sexualdelikte bearbeiten, glänzen sie häufig dadurch, Betroffene selbstsicher mit sexistischen Mythen zu konfrontieren, statt ihren Job zu machen. Diese Teamarbeit der Geschlechterrollen macht das System einer prinzipiell männlichen, patriarchalen Polizei, die vor allem ihre eindeutige, vermeintlich heile Welt durchsetzen will, umso effizienter. Es wird darum auch in Zukunft regelmäßig Männlichkeitsexzesse in Uniform und ungerechtfertigte Polizeigewalt geben – es sei denn, wir finden neue Mittel zur Konfliktlösung in unserer Gesellschaft.