Einmal mehr reisen am Samstag Abtreibungsgegner*innen aus ganz Deutschland nach Berlin, um beim „Marsch für das Leben“ weiße Holzkreuze spazieren zu tragen. Linke und feministische Bündnisse mobilisieren dagegen. Doch warum haben diese Linken und Feminist*innen eigentlich immer so viel zu meckern? Und was haben sie denn nun auch noch gegen „das Leben“ für das am Samstag demonstriert wird?
Bevor es um die Ideologie der selbsternannten Lebensschützer*innen geht, ein paar Worte zu Schwangerschaftsabbrüchen: Manche Körper können schwanger werden. Das kann für die Leute, denen so ein Körper gehört, eine tolle Sache sein. Manchmal ist das aber auch verdammt unpraktisch und unpassend.
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Sex und Reproduktion müssten heutzutage eigentlich kaum noch etwas miteinander zu tun haben: Um Kinder zu zeugen, braucht es theoretisch keinen Sex. Und Sex muss keine Kinder zur Folge haben. Es könnte so einfach sein: Das passende Verhütungsmittel wäre frei wählbar, über das Angebot und die korrekte Anwendung von Verhütungsmitteln würde man früh und zeitgemäß aufgeklärt werden. Nebenwirkungsarme Verhütungsmittel wären einfach (das hieße im Kapitalismus kostenlos) und ausreichend verfügbar – auch für männliche Körper. Well, back to reality…
Schwangerschaftsabbrüche gehören bei korrekter Durchführung zu den sichersten medizinischen Eingriffen.
Die Verhütungsversorgung könnte in Deutschland weitaus besser organisiert sein. Zudem bietet bislang kein Verhütungsmittel hundertprozentige Sicherheit. Kurz: Es kann zu ungewollten Schwangerschaften kommen. Aus medizinischer Sicht besteht aber die relativ unproblematische Möglichkeit, die Schwangerschaft vorzeitig zu beenden. Schwangerschaftsabbrüche gehören bei korrekter Durchführung zu den sichersten medizinischen Eingriffen.
Aber spätestens an diesem Punkt werden allerhand Stimmen laut. Die Frage ist nicht mehr einfach nur die, ob eine schwangere Person lieber die Schwangerschaft austragen oder abbrechen möchte. Aus einer medizinischen Frage wird eine politische Debatte. Alle möglichen Akteur*innen schalten sich in die Diskussion ein.
Zunächst ist da der Staat. Paragraph 218 des Strafgesetzbuches regelt, dass der Abbruch einer Schwangerschaft, also nach Abschluss der Einnistung des befruchteten Eies in die Gebärmutter, strafbar ist – sowohl für die Person, die den Abbruch durchführt, als auch für die Schwangere selbst. Ganz schön viel staatliche Vorschriften dafür, was in und mit so einem Uterus passiert.
Die sogenannte Fristenlösung sieht vor, dass ein Abbruch bis zur zwölften Schwangerschaftswoche straffrei bleibt, wenn die schwangere Person sich bei einer staatlich anerkannten Beratungsstelle beraten lässt und zwischen Beratung und Eingriff eine Bedenkzeit von drei Tagen verstreicht. Und welche Rolle spielt der zuletzt viel diskutierte Paragraph 219a? Dieser verbietet es Ärzt*innen, öffentlich darauf hinzuweisen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. So ergibt sich auch für die ungewollt schwangeren Personen ein extrem nerviges Geflecht aus Bedingungen, Informationsmangel und nicht zuletzt Kosten. Denn: Ein Schwangerschaftsabbruch ist keine Krankenkassenleistung und muss meist aus eigener Tasche bezahlt werden. Die juristische und moralische Stigmatisierung sorgt zusätzlich für Stress.
Der Gesetzgeber unternimmt einiges, um ungewollt Schwangeren den Abbruch schwer zu machen.
Der Gesetzgeber unternimmt also einiges, um ungewollt Schwangeren den Abbruch schwer zu machen und lässt Bemühungen vermissen, den Schwangerschaftsabbruch zu vereinfachen und die Stigmatisierung aufzubrechen. Diese Form der Bevölkerungspolitik passt eigentlich besser zum katholischen „Wachset und mehret euch“-Kanon, als beispielsweise zu den Zielen des „Population Control Establishment“, das angesichts einer drohenden „Überbevölkerung“ versucht, die Nachwuchsraten zu verringern. Solche Maßnahmen werden ausschließlich in sogenannten Entwicklungsländern in Asien und Afrika unternommen.
Ob Nachwuchs also als „Überbevölkerungsproblem“ oder als willkommener Beitrag zum Kampf gegen den demografischen Wandel deklariert wird, hängt also massiv damit zusammen, um wessen Nachwuchs es sich handelt. So gedenken die selbsternannten Lebensschützer*innen ausschließlich den abgebrochenen Schwangerschaften in Deutschland.
Die selbsternannten Lebensschützer*innen finden großen Anklang bei konservativen bis rechtsradikalen Kräften.
Kein Wunder also, dass diese tief nationalistische Besorgnis um das Aussterben des deutschen Volkes großen Anklang bei konservativen bis rechtsradikalen Kräften findet. So war beispielsweise die AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch mehrfach prominente Teilnehmerin des „Marsches für das Leben“. Auch einer Mehrheit im deutschen Bundestages geht wie den sogenannten Lebensschützer*innen der Arsch auf Grundeis, dass weiße Mittelschichtschrist*innen eines Tages nicht mehr die Bevölkerungsmehrheit in Deutschland darstellen.
Das macht die Lobbyarbeit der Lebensschützer*innen so erfolgreich. Die Auswirkungen bekommen Ärzt*innen zu spüren, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Unlängst wurde die Gießener Ärztin Kristina Hänel wegen dem Paragrafen 219a zu einer Geldstrafe verurteilt. Aber auch liberale Beratungsstellen sind Ziel dieser Lobbyarbeit – und natürlich die ungewollt Schwangeren selbst. Etwa wenn 150 Kilometer Fahrt zum nächsten Schwangerschaftsabbruch vom Gesetzgeber als zumutbar erklärt werden, weil immer weniger Ärzt*innen und Kliniken Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.
Es geht um gebären und geboren werden für den Fortbestand des deutschen Volkes.
Gegen die betont moralische Entrüstung, mit der sich die Lebensschützer*innen zu Anwälten der ungeborenen Kinder erklären, kann man festhalten: Wer denkt, dem „Marsch für das Leben“ ginge es um das „gute Leben“ liegt falsch. Es geht um gebären und geboren werden für den Fortbestand des deutschen Volkes. Da bleibt kein Platz für individuelle Wünsche, Bedürfnisse oder eine selbstbestimmte Lebensplanung.
Daher werden die wie immer zahlreich erwarteten Abtreibungsgegner*innen am Samstag zurecht auf viel Gegenprotest stoßen, der gegen die Einmischung in die körperliche Selbstbestimmung kämpft und patriarchalen, nationalistischen und lustfeindlichen Ideologien den Marsch bläst.