Vor etwas mehr als einem Jahr saß ich im ICE von Berlin nach Wien und vertrieb mir meine Zeit mit Social Media. Ich scrollte mehrmals an einem Video von STRG_F vorbei zu Kameras auf Festival-Toiletten. Ein cis¹ Mann hatte auf dem linken Festival „Monis Rache“ heimlich Videos auf Toiletten gedreht und dann im Netz verscherbelt. So erfuhr ich, dass von mir nun vielleicht Klovideos online kursieren. Danach brach ich das Video ab. Alleine im Zug: ganz schlechter Ort für solche Infos. Es folgten sechs unglaublich beschissene Stunden mit überfüllter Blase. Inzwischen bin ich da wieder entspannter: ich benutze öffentliche Toiletten, aber vermumme mich.
Wieso erzähle ich das? Sollten nicht längst alle aus ihren Fehlern gelernt haben? Leider nein. Die Aufarbeitung der Vorfälle bei „Monis Rache“ war für einige Betroffene bis jetzt sehr ungenügend. Deshalb startete das nach den Vorfällen entstandene Bündnis MyBodyIsNotYourPorn im Februar eine Onlinekampagne gegen sexualisierte Gewalt. Auch, weil bei anderen Festival-Veranstalter*innen nicht angekommen zu sein scheint, was das Problem ist.
Das sah man an den Reaktionen auf die Onlinekampagne. Eine linke Gruppe aus Passau hatte im Rahmen dessen verschiedene Festivals auf Instagram gefragt, wie sie auf ihrem Festival mit sexualisierter Gewalt umgingen. Die meisten Veranstalter*innen reagierten nicht. Das „Trägertal Festival“ in Bayern schrieb: „Bei uns gibt’s keine Gewalt – da wird sich nur geliebt“. Natürlich. „Das Schwerelos Festival“ zeigte öffentlich Willen zum Wandel, warf aber einer Betroffenen, die sich an der Kampagne beteiligte, gleichzeitig im Privatchat vor, einfach zu viel Zeit und zu wenig Sorgen zu haben.
Abgesehen davon habe ich im letzten Jahr unaufhörlich neue Fälle mitbekommen, in denen sich vor allem cis Männer übergriffig verhalten hatten. Das alles zieht unweigerlich die Frage nach sich, was tun? Was tun mit Täter*innen? Was tun mit dieser verkorksten Gesellschaft? Was tun, um mich und meine Energie zu schützen?
In den Wochen nach dem Video fiel ich wieder zurück in mein frisch feministisches Ich, das vor allem eins war: Wütend. Auf cis Männer. Denn die sahen so gar nicht ein, warum ich am liebsten die ganze Welt einfach niederbrennen, eine Demo organisieren oder zumindest die mitverantwortliche Pornoseite terrorisieren wollte. Die cis Männer in meinem Umfeld verstanden auch nicht, warum ich jetzt plötzlich von ihnen erwartete, ihr eigenes Konsensverhalten zu reflektieren.
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Ein sehr großer Teil von mir würde gerne einfach weiter so tun, als seien cis Männer, die zu faul sind, ihre Männlichkeit zu reflektieren, das einzige Problem. Dann könnten wir sie einfach alle aus politischer Arbeit ausschließen – zack, Problem gelöst und ich muss mich weder mit irgendwelchen Arschlöchern, noch mit den Strukturen auseinandersetzen, die auch mich prägen.
Wut-Feminismus
Ärgerlicherweise ist es nicht so einfach. Mit meinem Wut-Feminismus komme ich selten darüber hinaus, notdürftig meine Ohnmacht in Empörung umzuwandeln. Das ist immer noch besser als ohne Wut, aber eben auch nur begrenzt nützlich. Die feministische Soziologie-Professorin Karin Stögner erklärt diesen Konflikt in mir ziemlich gut: durch die Abschottung verschiedener Identitäten auf Grund von „existenziellen Wurzeln“ (etwa Geschlecht) werden Solidarisierungsmöglichkeiten eingeengt. Dies führt zu Vereinzelung und Selbstgerechtigkeit. Am Ende rückt die gesellschaftliche Struktur – die eigentliche Ursache für den ganzen Mist – immer weiter in den Hintergrund und die Debatte verschiebt sich hin zu: „wer ist am diskriminiertesten und wer darf wen ausschließen?“. Strukturelle Diskriminierung wird also Stück für Stück zu einem rein zwischenmenschlichen Problem gemacht, vor dem Betroffene sich in vermeintlichen „safer spaces“ verstecken können. „Monis Rache“ und Co. zeigen aber, dass dem nicht so ist. „Monis Rache“ war mein „safer space“. Dummerweise eben nicht safe genug.
Es ist gut und wichtig einzufordern, dass cis Männer Verantwortung übernehmen. Und zu versuchen, mit neuen Awarenesskonzepten und Kampagnen das Leben vieler Menschen ein wenig erträglicher zu machen. Aber wir dürfen nie vergessen, dass „safer spaces“ immer nur Symptombehandlung sind, in einer Gesellschaft, die Menschen konstant in Vergleich zueinander stellt. Das führt zu Machtkomplexen, Ausbeutung sowie Gewaltbedürfnissen und dadurch eben auch zu Sexismus.
Nicht nur Symptombekämpfung bitte
So. Schön große Worte geschwungen. In der Praxis bin ich da etwas kleinlauter, denn, um ehrlich zu sein, habe ich keine Ahnung wie wir über Symptombekämpfung hinaus gehen können. Klar, Kapitalismus abschaffen und so. Aber auch das ist leider nicht so einfach.
Es gibt Menschen, die da weniger polemisch sind als ich: In Restorative Justice-Ansätzen wird davon ausgegangen, dass wir alle schon einmal Täter*innen und Betroffene waren. Klar, manche mehr und manche weniger, was natürlich auch mit Diskriminierung zusammenhängt. Und dass es eben nicht „die Guten“ und „die Bösen“ gibt. Wenn wir die Welt einteilen in die Bösen und die Guten, versuchen wir damit auch, uns von dem „Bösen“ in uns selbst abzugrenzen: Wir müssen keine Angst haben, etwas „Böses“ zu tun, denn wir sind ja anders. Das haben sich Vertreter*innen dieser Ansätze nicht einfach ausgedacht: Hannah Arendt wurde bereits 1963 Zielscheibe eines Shitstorms (so ganz ohne Internet), als sie in „Die Banalität des Bösen“ ähnliche Überlegungen anstellte. Erst wenn wir versuchen, „böse“ Handlungen nachzuvollziehen, kann uns das „Böse“ in uns selbst bewusst werden. Und auch nur dann können wir die Strukturen verstehen, die Menschen zu „bösen“ Handlungen bringen.
Vorsicht an alle Macker, die sich jetzt einen Ast abfreuen, weil die blöden Emanzen nicht so gemein zu ihnen hätten sein sollen und selbst ja genauso verkorkst sind. Nein, so ist das nicht gemeint. Ganz im Gegenteil. Es heißt, wir müssen Strukturen analysieren. Wir müssen Ursachen wie Sexismus benennen und auseinandernehmen. Aber eben auch die Ursachen und den Sexismus in uns selbst, auch als FLINTA-Personen², reflektieren. Auf empathische Weise. Und natürlich spielt Identität dabei eine Rolle. Aber wir sollten unsere politische Energie nicht aus unserer Betroffenenrolle schöpfen, sondern uns mit emanzipatorischen Werten identifizieren: Feminismus, Antirassismus, Antikapitalismus und andere.
In diesem Sinne: An all die cis männlichen Freunde, die ich im Laufe des letzten Jahres für ihr sexistisches Verhalten angeprangert habe: Ich verstehe, dass das alles ganz schön viel und schwer ist. Ehrlich, und ganz ohne Ironie. Müde, frustriert und sauer bin ich immer noch und das ist auch trotz alledem mein verdammtes Recht.
¹ Cis ist eine Person, der bei der Geburt das Geschlecht zugewiesen wurde, mit dem sie sich immer noch identifiziert. Da ich bisher sehr viel positivere Erfahrungen mit trans-Männern gemacht habe, wenn es um den Umgang mit sexualisierter Gewalt geht, möchte ich an dieser Stelle differenzieren.
² Frauen, Lesben, Inter, Nonbinary, Trans, Agender