Berlin kämpft um bezahlbaren Wohnraum: 40.000 Menschen waren vergangenen Samstag laut Veranstalter*innen auf der Straße, um gegen „Mietenwahnsinn“ zu demonstrieren – von der Schülerin bis zur Rentnerin. „Supernova“ hat sieben von ihnen gefragt, warum sie dort sind.
Amrei, 17, Schülerin

Zurzeit macht die Kreuzbergerin ihr Abitur. In ihrer Freizeit ist sie in einer antifaschistischen Gruppe aktiv. Auch sie als Jugendliche blickt mit Sorge auf den Wohnungsmarkt.
Wo spürst du den Mietenwahnsinn?
Linke Jugendprojekte wie beispielsweise die Potse werden zunehmend verdrängt. Diese Räume werden von uns genutzt. Wenn sie nicht mehr da sind, spüren wir das. Hinzu kommt die eigene Situation. Ich bin jetzt bald mit dem Abi fertig. Wenn man keine reichen Eltern hat, gestaltet sich die Wohnungssuche schwierig, falls man ausziehen möchte.
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Was sollte man dagegen tun?
„Deutsche Wohnen & Co enteignen“ finde ich eine gute Kampagne. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ich persönlich finde auch die Besetzungskultur und die allgemeine Kritik der Verdrängung wichtig. Es zeigt sich aber: Jetzt einfach SPD wählen bringt es nicht. Wir brauchen etwas ganz anderes!
Sebastian, 42, Kampagne „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“

…war schon ganz am Anfang dabei: Der Arzt Sebastian Roos gründete die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ mit und sammelt nun auf der Demonstration das erste Mal Unterschriften für den angestrebten Volksentscheid.
Wo spürst du den Mietenwahnsinn?
Ich bin eigentlich durch meinen eigenen Modernisierungsfall zu der Initiative gestoßen. Meine Miete hätte sich um mehr als 40 Prozent erhöht. Dagegen habe ich mich mit meinen Nachbarinnen und Nachbarn gewehrt und eine Mieterinitiative gegründet. Das konnte die Folgen etwas mildern. Das Problem: Auf der einen Seite steht das Grundbedürfnis Wohnen und auf der anderen die Maximalrendite. Das passt einfach nicht zusammen.
Und was tust du dagegen?
Wenn man sich die Grundstücks- und Wohnungspreise der letzten Jahre anguckt, dann sieht man, dass die Preise nur eine Richtung kennen. Mittlerweile wird derart spekuliert, dass man gar nicht mehr vernünftig bauen kann. Wenn ein Quadratmeter Bauland über 6000 Euro kostet, wird dort am Ende keine leistbare Wohnung stehen. Unser Ziel ist ein Volksentscheid. Darin wird der Senat aufgefordert ein Gesetz zu erarbeiten im Rahmen unserer Leitlinien. Profitorientierte Wohnungsunternehmen, die mehr als 3000 Wohnungen in Berlin besitzen, sollen auf Grundlage des Artikel 15 des Grundgesetzes vergesellschaftet werden. Wir sind der festen Überzeugung, dass das möglich ist, wenn es politisch gewollt ist.
Petra, 59, Rentnerin

Die frühere Arzthelferin und gebürtige Berlinerin ist frühverrentet und ringt genau wie ihre beiden Kinder mit den horrenden Mietpreisen in der Stadt.
Wo spürst du den Mietenwahnsinn?
Dadurch, dass ich frühverrentet bin, fehlen mir zehn Jahre Einzahlung in die Kasse. Ich bezahle zwei Drittel meiner Rente für die Miete, also 600 meiner 900 Euro. Das ist nicht machbar. In Weißensee wohne ich jetzt schon zehn Jahre, würde aber gerne umziehen in eine kleinere Wohnung. Die sind letztendlich dann teurer als meine jetzige. Das ergibt keinen Sinn.
Bist du für Enteignungen?
Ja! Mir ist klar, dass wir dadurch in den Kapitalismus eingreifen. Dazu bin ich bereit. 2005 wurden viele Wohnungen vom Senat verkauft. Das war ein Fehler und deswegen ist Herr Müller auch vielleicht nicht der richtige Ansprechpartner. Trotzdem gehören Wohnungen in Volkes Hand.
Noah, 19, Auszubildender

Der angehende Erzieher organisiert in einem Kollektiv Festivals und Partys mit politischem Anspruch. Heute ist er mit anderen Mietaktivist*innen mit dem Techno-Lautsprecherwagen unterwegs.
Wo spürst du den Mietenwahnsinn?
Ich wohne in Kreuzberg und bin dort aufgewachsen. Mehr muss ich wohl nicht sagen. Meine Nachbar*innen, die Kiezkneipe Meuterei oder mein ehemaliges Hausprojekt: Alle spüren sie ihn.
Und was tust du dagegen?
Man kann nicht wegsehen. Ich finde es wichtig, dass man heute hier ist und zeigt, dass man gegen diese Zustände ist. Mit unseren Festivals wollen wir mehr machen als nur Party. Deswegen machen wir über das Jahr verteilt immer wieder solche Aktionen. Insgesamt sollte man erst mal den Bau von Shopping Malls, Bürogebäuden oder Eigentumswohnungen stoppen. Sozialen Wohnraum finde ich viel wichtiger.
Phillip, 27, Doktorand

…ist mit seinem Kind umgeschnallt auf der Demo. Er arbeitet an der Humboldt-Universität und wohnt seit zehn Jahren in Friedrichshain.
Wieso bist du heute hier?
Ich glaube, dass Wohnraum eins der wichtigsten Güter ist – und ein Menschenrecht. Gerade läuft allerdings einiges schief in diesem Land. Ich bin auf ganzer Linie enttäuscht von der Entwicklung und auch selbst davon betroffen. Mittlerweile zahlen wir eine hohe Miete in unserer dritten Wohnung innerhalb von zehn Jahren. Unsere heutige Wohnung ist dreimal so teuer wie die Erste. Die Hausverwaltungen haben alles dafür getan, uns auszunehmen. Wir waren eigentlich nur Kapital. Einmal hatte ich zweieinhalb Jahre keine richtige Heizung.
Was sollte man dagegen tun?
Besetzen finde ich prinzipiell immer gut. Wohnraum sollte nicht leer stehen aufgrund von Spekulation. Ich weiß nicht, ob es sinnvoll ist, zwei oder drei große Player zu enteignen, die dann dafür auch noch entschädigt werden. Auch kleine Akteure sind ein Problem. Ein Zeichen wäre es allerdings.
Kathleen, 27, Auszubildende

Auch Menschen, die nicht direkt von einer schlechten Wohnungssituation betroffen sind, finden sich auf der Demonstration. Auf der Warschauer Brücke ist Kathleen mit ihren Freund*innen unterwegs.
Wieso bist du heute hier?
Ich finde, dass Wohnraum bezahlbar sein muss und man damit keine Geschäfte machen sollte. Deswegen bin ich heute hier.
Spürst du auch den Mietenwahnsinn?
Ich habe sehr viel Glück – gerade. Wenn ich später aus meiner WG in eine eigene Wohnung ziehe, kann das anders aussehen. Eine Bremse für die Mietpreise würde helfen.
Oliver, 27, Sprecher des #Mietenwahnsinn-Bündnisses

…muss als Sprecher der Veranstalter*innen heute viele Pressegespräche abarbeiten. Das macht er nicht zum Spaß: Auch seine Miete steigt immer weiter.
Wo spürst du den Mietenwahnsinn?
Als ich vor etwa 10 Jahren nach Berlin gezogen bin, war die Situation recht übersichtlich. Als damals jemand über einen Mailverteiler nach einem WG-Zimmer gesucht hat und bereit war, dafür bis zu 500 Euro zu zahlen, erntete er Hohn. Die Bonzen würden nach Berlin kommen. Mittlerweile sind die Preise in Berlin um bis zu 70% angestiegen.
Bist du davon auch selbst betroffen?
Meine WG, die sich im ersten Stock befindet, bekommt einen Aufzug, der auch noch nur auf halber Höhe hält. Ich kann mir perspektivisch also eine halbe Treppe sparen. Für Investitionen dieser Art können 11% pro Jahr auf die Miete umgelegt werden, dass sind bei uns mehr als hundert Euro im Monat. Wenn der von mir nie benutzte Aufzug dann abbezahlt ist, bleiben die zusätzlichen Kosten.