Aus der Haustür raus, an der Spielothek und dem KiK an der Ecke vorbei, schnell zum Bus. Eine Sache fällt auf: Viele Menschen sehen so aus wie wir. Wie wir meint nicht nur dunkele Haare und Augen, sondern auch die schwarze Lederjacke, die Goldkette um den Hals, eine Uhr am Handgelenk.
Mit dem Bus geht es zur Demo. Egal, ob gegen die Zerstörung der Umwelt protestiert wird, für höhere Löhne oder Frieden, das Bild ändert sich schlagartig. Nun sieht man Rucksäcke, Chucks, T-Shirts mit Slogans und Festivalarmbänder. Uns soll es recht sein – wenn, ja wenn da die Blicke nicht wären. Blicke, die sagen: Was machen die denn hier?
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Los geht es mit den Fragen der Polizei. Ob man denn wirklich zu der Demonstration wolle? Egal, wen interessiert, was die Polizei denkt. Andere Reaktionen fallen dagegen stärker ins Gewicht. Denn nachdem wir unsere Genossinnen und Genossen begrüßt haben, kommen sie sicherlich wieder: Die Fragen, wann wir uns denn mal vernünftig kleiden würden? Wann endlich die Goldkette wegkomme? Warum man immer diese Lederjacke tragen muss? Dieses Spiel wiederholt sich nahezu auf jeder Demo, jedem Parteitag oder sonstigen linken Veranstaltungen. Wo wir wohnen, hören wir solche Fragen nicht. Dort ist unser Style normal.
In linken Bewegungen und Parteien gibt es immer noch zu wenige Kanacks.
Die Reaktionen verdeutlichen vor allem eins: dass wir es als Linke immer noch nicht geschafft haben, aus unserer Blase auszubrechen. Und dass es eine bestimmte Art gibt, wie man sich zu kleiden hat. Spoiler: Der Stil der migrantischen Jugend gehört nicht dazu. Dabei müsste es gerade in linken Kontexten vollkommen egal sein, ob wir im „Refugees Welcome„-Shirt, in einer bunten Strickjacke oder im Adidas-Trainingsanzug herumlaufen.
Die Reaktionen zeigen außerdem: In linken Bewegungen und Parteien gibt es immer noch zu wenige Kanacks und vor allem viel zu wenige, die sich nicht nach dem ersten Plenum an linke Kreise anpassen.
Das eigentliche Problem ist jedoch nicht die Frage des Kleidungsstils, sondern die von linker Selbstgefälligkeit. Es ist ein Problem, dass man in vielen linken Kreisen genauso konformistisch sein muss wie in der bürgerlichen Gesellschaft – obwohl immer davon geredet wird, dass man pluraler und offener sein will. So schafft man eine eigene Subkultur, statt die gepredigte Toleranz auch umzusetzen. Zugehörigkeit zum Preis der Anpassung.
Es geht um die Frage wer intuitiv als links verstanden wird – und wer nicht. Der blonde Junge mit „Feine Sahne Fischfilet„-Armbändchen, „FCK AfD„-T-Shirt und Ohrring schon. Der Schwarzkopf mit breitem Bart, dunklen Augen, Goldkette und Lederjacke oft nicht.
Es muss aufgehört werden, den eigenen Lebensstil als den einzig richtigen zu betrachten.
Auch DIE LINKE hat den Anspruch, die gesamte Bevölkerung zu erreichen. Wenn das jedoch Realität werden soll, muss endlich damit aufgehört werden, den eigenen Lebensstil als den einzig richtigen zu betrachten. Es muss normal werden, dass auf dem Parteitag neben der Alt-68erin und dem Punk auch der junge Migrant sitzt – ohne, dass ihm Kleidervorschriften gemacht werden.
Eine linke Arbeiterpartei ebenso wie linke Bewegungen müssen junge Migrantinnen und Migranten, nicht nur ab und zu bei Veranstaltungen sprechen lassen. Es muss akzeptiert werden, dass sie ein aktiver Teil sind – ohne, dass sie dafür ihre Identität aufgeben müssen. Und es muss auch normal sein, dass wir so aussehen, als würden wir gleich mit den Kollegen Shisha rauchen gehen. Es ist die Aufgabe der Linken, das endlich zu verstehen – und nicht unsere, uns zu verändern.
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Disclaimer: Wir haben nicht gegendert, weil es uns darum ging, die Lebenserfahrung von männlichen Migranten innerhalb der Linken aufzuzeigen. Wir wollten nicht darüber schreiben, wie es für junge Migrantinnen ist, da wir diese Erfahrungen nicht selber gemacht haben.
Jules El-Khatib, Igor Gvozden, Fotis Matentzoglou sind Mitglieder im Landesvorstand der Linken.NRW