Leute wollen manchmal wissen, wie es ist, Wahnvorstellungen und Halluzinationen zu haben, und die ernüchternde Antwort darauf ist: Genauso, wie an irgendetwas vollkommen Reales zu glauben oder vor einem zu sehen. Der einzige Unterschied besteht darin, dass die Dinge, die ich mit meiner schizoaffektiven Störung glaube oder sehe, meistens grausam sind. Doch sie fühlen sich genauso echt an wie alles andere auch, genau darin liegt ihre Tücke. Es gibt für mich keinen Weg herauszufinden, was nur imaginär ist und was nicht. Diese Krankheit vereint Elemente der Schizophrenie, wie Wahnvorstellungen und Halluzinationen, mit einer bipolaren Störung, also manischen und depressiven Episoden.
Deswegen nehme ich meine Störung auch nicht als „bewusstseinserweiternd“ oder in sonst irgendeiner Weise bereichernd wahr. Ich lebe zwar in einer anderen Realität als die meisten Menschen, aber das gibt mir keine neuen Einblicke oder Erkenntnisse. Es nimmt mir einfach nur unglaublich viel Sicherheit. Psychotische Störungen sind nicht cool und auch nicht mit einem lebensverändernden Ayahuasca-Trip zu vergleichen. Sie sind Krankheiten, und meistens unheilbar. Du kannst einmal eine Droge nehmen, um unreale Sinneseindrücke zu erleben, ich muss mein ganzes Leben damit verbringen, ohne mich dafür entschieden zu haben. Das ist verdammt unfair. Andere nehmen Psychedelika zum Spaß, ich nehme Psychopharmaka, weil ich muss.
Aber gleichzeitig weiß ich, dass es einfacher wäre, mit meiner Krankheit zu leben, wenn unsere Gesellschaft anders damit umgehen würde. Wenn „schizo“ oder „psycho“ keine Beleidigungen wären. Wenn ich überall offen über meine Symptome oder meine Zeit in einer psychiatrischen Klinik reden könnte. Das ständige Versteckspiel trägt nur dazu bei, dass ich mich in einer Realität, in der ich sowieso nicht zu Hause bin, noch unwohler fühle.
Ich weiß nicht genau, warum psychische Krankheiten, vor allem chronische, noch immer so ein Tabuthema sind. Wahrscheinlich ist es die alte Angst vor dem Unbekannten, die viele Leute auf Abstand zu diesem Thema hält. Dabei wäre es so wichtig, psychische Krankheiten in den Fokus zu legen und beispielsweise in der Schule schon darüber zu lernen. Schließlich steigen die Erkrankungsraten für Depressionen oder Angststörungen seit Jahren beständig. Aber auch über seltenere Störungen wie die schizoaffektive Störung sollten alle lernen. Es ist sehr wichtig, darüber Bescheid zu wissen, wie man mit einer Person umgeht, die gerade eine akute psychotische Episode hat. Im Extremfall können diese Kenntnisse über Leben oder Tod der betroffenen Person entscheiden.
Nur in einer Kultur, die keinerlei Empathie gegenüber kranken Menschen hat, kann solches Wissen als irrelevant für sich als gesund wahrnehmende Bürger*innen angesehen werden. Das Totschweigen von Krankheiten wie meiner bis zu dem Punkt, an dem die allermeisten nicht einmal wissen, dass es eine solche Störung gibt, spricht also Bände.
Während Ignorieren und Desinteresse von Leuten die eine Seite ist, gibt es dieses andere Extrem in Mainstream-Medien: Exotisiert zu werden. Psychische Krankheiten werden für Horrorfilme brutal ausgeschlachtet, was das bestehende Stigma des psychisch Kranken als Gewaltverbrecher*in verstärkt. Obwohl es statistisch bewiesen ist, dass psychisch Kranke viel eher Opfer als Täter von Gewalttaten sind. Oder psychisch Kranke werden in herzzerreißenden Dramen mit bitterem Ende hochstilisiert. Was man dabei nie sieht: Ein Umfeld, das die Person so akzeptiert und unterstützt, dass sie ein möglichst beschwerdefreies Leben führen kann. Und eine Person, die ihr Leben mit und nicht trotz ihrer Krankheit lebt.
Denn Menschen mit psychischen Krankheiten werden auch im echten Leben oft nur dann unterstützt oder bekommen Anerkennung, wenn sie das erfüllen, was ich das „Trotzdem-Kriterium“ nenne: „Sie ist krank und hat trotzdem den besten Abschluss gemacht.“ Ähnlich dem, was sich Menschen mit Behinderung anhören müssen: „Trotz seiner Behinderung hat er das und das geschafft.“
Beweisen müssen, was man kann
Es reicht anscheinend nicht aus, als kranker Mensch einfach nur sein Leben zu leben. Es ist nicht genug, dass ich jeden Tag mit einem Gehirn verbringe, das ständig gegen mich arbeitet. Ich bin keine Vorzeige- psychisch Kranke, weil ich auch ganz normale Dinge mache. Ich dusche, ich gehe arbeiten, ich koche. Interessiert ja keinen, dass all diese Dinge vor ein paar Monaten nicht möglich waren. Da müsste mehr sein, damit man mir zuhört, wenn ich über meine Krankheit spreche. Denn ohne „trotzdem“ hat man dieses Recht nicht, ohne „trotzdem“ interessiert es keinen.
Vielleicht ist es an der Zeit, unsere Definition von Erfolg zu überdenken. Für mich ist es mit meiner schizoaffektiven Störung ein Erfolg, keine Wahnvorstellungen mehr zu haben oder mir wenigstens bewusst zu sein, dass sie nicht real sind. Für mich ist es ein Erfolg, wenn alle Gedanken in meinem Kopf meine eigenen sind. Für mich ist es ein Erfolg, wenn ich frei über mein Handeln entscheiden kann oder wenn ich zurechnungsfähig genug bin, um Auto zu fahren. Für dich sind diese Dinge wahrscheinlich normal, du schenkst ihnen keinen zweiten Gedanken. Ich bin dafür auf Medikamente und Therapie angewiesen.
Vielleicht ist der Weg zum Erfolg sowieso nie besonders aufregend. Eher schwer und brutal und manchmal auch einfach nur langwierig. Wir sollten also aufhören, nur bestimmte Dinge „Erfolg“ zu nennen und andere, alltäglichere, „kranke Person, die das Minimum von dem macht, was von ihr erwartet wird, egal wie schwer es für sie gerade sein mag“.
Die unrealistischen Erwartungen an Personen mit psychischen Störungen und die verzerrten Darstellungen dieser Krankheiten tun weh und sind äußerst schädlich. Deshalb plädiere ich für mehr Offenheit und für eine Kultur, die es kranken Personen ermöglicht, ihr Leben mit ihrer Störung authentisch zu schildern. Ich will anderen Menschen mit ähnlichen Krankheiten zeigen: ihr seid gehört und gesehen. Hoffentlich ist die Welt bald ein sicherer Ort, an dem auch viele andere von euch gehört und gesehen werden.