Ich bin schon länger, auch beruflich, in der Clubbing-Blase unterwegs. Wenn ich feiern gehe, treffe ich deshalb oft Leute, die ich kenne. Smalltalk, dies das. Seit ich vor zwei Jahren Mutter geworden bin, mache ich eine seltsame Beobachtung. Fast alle Unterhaltungen beginnen plötzlich so:
„Krass. Du hier!? Wo ist denn dein Kind!?“
Tja. Was kann ich diesen Leuten nur antworten, die da mit heruntergelassener Kinnlade vor mir stehen, während ich live beobachten kann, wie ihr Weltbild gerade in sich zusammenbricht, weil sie tatsächlich einen Menschen treffen, der ein Kind in diese Welt gesetzt hat und TROTZDEM noch Techno mag!?
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Mein Kind? Das habe ich an der Garderobe abgegeben
Ein paar Sprüche habe ich mir natürlich für diesen Anlass schon zurechtgelegt. „Mein Kind!? Shit!!! Keine Ahnung!?“ oder „Ach das. Hm… habe ich bei der Garderobe abgegeben.“ oder „Das steht vorne links.“ Das hilft im besten Fall zwar, der_dem Fragenden klarzumachen, wie bescheuert diese „Du hier? Wo Kind?“-Fragerei eigentlich ist, aber der Grundsatzproblematik kann ich mit dummen Antworten auf noch dümmere Fragen leider wenig entgegensetzen. Denn seien wir doch mal ehrlich: das vermeintlich Krasse ist doch nicht, dass ich ein Kind habe. Was mich zum Alien der Party macht ist, dass ich ein Kind UND eine Vulva habe.
Dem Max-Planck-Institut zufolge bekommt jeder Mann* in Deutschland durchschnittlich 1,35 Kinder. Das Alter der Männer, die diese 1,35 Kinder bekommen ist laut Statistik 33,4 Jahre. Wie viele Männer* also haben wohl auf einer Technoparty ebenfalls ein Kind? Ich glaube, es sind sehr viele. Diese Kindsväter werden zur Begrüßung aber eher gefragt: „Ey, wie geht’s?“, anstatt auf ihren Nachwuchs angesprochen zu werden. Das Höchste der Smalltalk-Laberei in Richtung Kind ist da meist so was wie „Und, wie geht’s der Familie?“. Worüber vielleicht nicht jede_r morgens um 4 uhr auf dem Dancefloor reden möchte, was aber immerhin eine zumindest nett gemeinte Erkundigung über das Wohlbefinden des Gegenübers ist.
Du bist doch die mit dem Kind, oder?
Wenn ich inzwischen irgendwen auf einer Party kennenlerne, brauche ich nur meinen Namen zu nennen und schon sagt die neue Bekanntschaft: „Ahhhha. Du hast doch ein Kind, oder?“. Wieso passiert mir das? Und, viel wichtiger: Wieso passiert das dem Vater meines Kindes nicht?
Grund dafür ist natürlich nicht eine Verschwörung aller Partygänger_innen, die sich in den Kopf gesetzt haben, mich und andere Menschen mit Kind und Klitoris zu nerven. Das Problem ist ein gesamtgesellschaftliches: Dass Mütter* immer noch als hauptverantwortlich und grundsätzlich wichtiger im Leben eines Kindes gesehen werden als Väter oder andere Bezugspersonen. Dass Mütter* deshalb zuerst Mütter* sein sollten und alles andere, wie z.B. Job oder Hobby hinten angestellt gehört. Und dass deshalb eine Mutter* auf einer Party etwas ganz Exotisches ist.
Die Supermutti* hat einfach immer gute Laune und ist ja sooo tiefenentspannt
Das Paradoxe daran ist: Es stimmt! Wenn wir uns einmal in unserer Gesellschaft umschauen, ist es tatsächlich so, dass Mütter* meistens eine größere Rolle im Leben ihrer Kinder spielen als der dazugehörige Vater* oder sonstige Menschen aus dem Umfeld. In einer Studie vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung wurde festgestellt, dass Frauen* ihre Kids durchschnittlich 6 ½ Stunden pro Werktag betreuen, Typen* dagegen nur 2 ½ Stunden. Das hat verschiedenste Gründe. Es gibt Ökonomische wie beispielsweise die ungleiche Bezahlung von Frauen* und Männern*. Auch die vermeintlich körperlichen Vorteile einer Frau* beim Thema stillen – was aber zum Glück genauso gut mit Flasche geht. Und eben das idealisierte Bild einer Frau* als Mutter*. Die „gute Mama*“ gibt sich nämlich laut diesem ohne Rücksicht auf zeitliche, körperliche, finanzielle und soziale Verluste voll und ganz dem Kind und ihren „Aufgaben als Mutter*“ hin. Für sie ist nichts wichtiger als ihr Nachwuchs und sie hat auch nichts anderes mehr im Kopf und ihrer Smartphone-Fotogalerie. Sie lebt praktisch nur noch für das Kind.
Das Gesellschaftskopfkino geht noch weiter. Die Supermutti* ist natürlich eine tolle Partnerin, sieht supergut aus und ist immer frisch, egal ob sie die letzten 5 Nächte nicht geschlafen hat, weil das Kind gerade zahnt. Den Haushalt schmeißt sie ohne sich auch nur einmal darüber zu beschweren, ist doch easy. Nebenbei verwirklicht sie sich noch in ihrem Traumjob. Sie hat einfach immer gute Laune und ist ja sooo tiefenentspannt. Von Doppel-, Dreifach- oder Fünffachbelastung keine Spur!
Es ist okay, auch als Mutter* mal loszulassen und bis zum nächsten Mittag durchzutanzen
Genau. Klingt irgendwie…übertrieben. Ist es auch. Das ist ein Bild, dass sich schon in sich widerspricht und nichts mit der Realität zu tun haben kann. Trotzdem ist dieser patriarchale Bullshit weit verbreitet. Dadurch entsteht Leistungsdruck, der es auch mir manchmal schwer macht, vor mir selbst und anderen zu rechtfertigen, dass es sehr wohl okay ist, auch als Mutter* mal loszulassen und bis zum nächsten Mittag durchzutanzen. Denn eine Sache hat dieses Bild nämlich vergessen. Dass auch Supermutti* mal das Bedürfnis nach Zeit und Raum für sich selbst hat. Wie alle anderen Menschen auch.
Soweit, so beschissen. Das lahme Partygespräch geht also weiter und ich bekomme immer wieder folgende oder ähnliche Aussagen zu hören:„Ich finde es sooo cool, dass du ein Kind hast und trotzdem hier bist. XY hat ja jetzt auch ein Kind aber die sieht man ja wirklich überhaupt nicht mehr auf Partys.“
Legt Kohle zusammen für eine_n Babysitter_in oder werdet selbst Bezugsperson von einem befreundeten Kind
Ja, ich bin auch froh, dass ich mitfeiern kann und finde, dass es normal sein sollte, dass eine Frau* auf einer Fete auftaucht – auch wenn sie ein Kind hat. Genauso wie es normal ist, dass ein Typ*, der ein Kind hat, da ist. Ich persönlich habe das Glück mit einem Mann* ein Kind gemacht zu haben, der das ähnlich sieht. Noch dazu haben wir ein Netzwerk an Menschen die sich freuen, unser Kind auch ohne Bezahlung zu sitten. Das bedeutet, dass wir uns die Betreuung des Kindes relativ gut nach unseren Bedürfnissen aufteilen können. Eines von meinen ist es, ab und an mal tanzen zu gehen. Viele Leute, im Speziellen Muttis* haben oftmals nicht solche guten Bedingungen, die es ihnen ermöglichen, ihr Kind abzugeben und anders betreuen zu lassen. Trotzdem hätten bestimmt auch die nichts dagegen, mal wieder ins Theater/Kino/Sauna zu gehen oder Schnaps und andere Substanzen zu konsumieren, zu tanzen und den nächsten Tag verklatscht und verkatert im Bett zu verbringen, um die Lieblingsserie zu binge watchen.
Vielleicht wäre es ja eine Möglichkeit, diesen Freundinnen* einen kinderfreien Abend inklusive (ganz wichtig!) nächstem Tag zu ermöglichen, anstatt sich zu wundern, wieso „die sich auf einmal nicht mehr blicken lassen“. Legt Kohle zusammen für eine_n Babysitter_in oder werdet selbst Bezugsperson von einem befreundeten Kind. Veranstaltet rauchfreie Events zu kindertauglichen Uhrzeiten mit Kidsspace, an denen Eltern allgemein, vor allem Mütter* teilnehmen können. Viele Festivals gehen da mit wundervollen Ideen als Beispiel voran.
Wenn ich monatelang nicht durchgeschlafen habe, will ich vielleicht einfach früh ins Bett gehen
Aber am wichtigsten: Bekommt das Bild der „Übermutter“ aus euren Köpfen und bestärkt Mamas* darin, sich nicht davon unter Druck setzen zu lassen. Ladet Mütter* explizit ein, vergesst sie nicht.
Und ja, die Stubenhockertendenzen sehe auch ich bei mir und anderen Leuten mit Nachwuchs. Mit einem Kind ändern sich eigene Bedürfnisse. Wenn ich monatelang nicht aus- geschweige denn durchgeschlafen habe, will ich, wenn ich mal Kinderfrei habe, vielleicht einfach früh ins Bett gehen und am nächsten Morgen gemütlich frühstücken, anstatt mir die Nacht auf einer Party um die Ohren zu schlagen. Seid verständnisvoll, wenn Mütter* nicht mehr so oft dabei sind wie früher. Sie haben gute Gründe und oft keine Möglichkeit dazu. Rückzug ins verpönte Kleinfamiliendasein ist ein Zusammenspiel von veränderten Bedürfnissen aber auch von Ausschluss.
Was definitiv kontraproduktiv wirkt, um wieder gemeinsam zu feiern sind Sprüche, die sie auf ihren Uterus reduzieren. Das reproduziert Strukturen, die in die Tonne gekloppt gehören.
Also lasst uns doch versuchen Elternschaft*, Familie, aber besonders Mutterschaft* anders zu denken, auch im Feierkontext. Achja, und falls ihr immer noch mein Kind sucht: das ist drüben an der Bar und bestellt schon die nächste Runde!
* = Das * soll in diesem Text darauf aufmerksam machen, dass zum Beispiel „Frau“ und „Mann“ gesellschaftliche Konstruktionen sind, keine biologischen Wahrheiten