Mitte Oktober fand in Schwerte, einem Vorort von Dortmund, ein rechtes Konzert statt. Eine Kollegin und ich haben am Abend davon erfahren. Zu spät, um hinzufahren und zu sehen, wer die neonazistische Hooliganband „Kategorie C“ sehen will und wer um einen Hooligan trauert, der im Sommer in Mönchengladbach Selbstmord begangen hatte. Doch wir beschlossen: Beim nächsten Nazi-Konzert sind wir dabei. Schwerpunktmäßig arbeiten wir beide nicht investigativ zur NS-Szene, haben jedoch großen Respekt vor den Kolleg*innen, die sich Woche für Woche mit konspirativen Treffen und Konzerten auseinandersetzen. Wie gefährlich das ist, zeigte ein Vorfall im thüringischen Fretterode aus dem Frühjahr. Zwei Journalisten, die ein Treffen auf dem Anwesen des Neonazis Thorsten Heise beobachteten, wurden verfolgt und angegriffen. Mit einem Schraubenschlüssel und einem Baseballschläger zertrümmerten Neonazis das Auto der Kollegen, stachen mit einem Messer zu und raubten die Kameraausrüstung. Die Ermittlungen zu dem Angriff verliefen lange Zeit schleppend. Mittlerweile wirft die Staatsanwaltschaft den Tätern schweren Raub und Körperverletzung vor.
Am Montagabend sitzen wir um 18 Uhr im Auto. Wir kennen den Vorabtreffpunkt der Nazis. Bei Konzerten ist es üblich, dass die Besucher*innen vorher zu einem Treffpunkt in der Nähe gelotst werden. Damit wollen die Rechten sicherstellen, dass auch wirklich nur Gleichgesinnte die Location erfahren. Man hat keine Lust auf neugierige Journalist*innen oder gar antifaschistischen Protest. Auf dem Weg zum Treffpunkt sprechen wir uns kurz ab: „Wir machen nix Verrücktes, oder?!“ Die Antwort ist eindeutig: „Ja!“ Rechte Aufmärsche zu beobachten, ist das Eine. Ja, die Nazis pöbeln, kommen auch mal näher und versuchen zu schubsen. Wenn genügend Polizei da ist, passiert aber in der Regel wenig. Bei Konzerten ist das anders. Am Treffpunkt der Nazis wird deutlich: Die Polizei beobachtet, wenn überhaupt, höchst unauffällig.
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Wir sehen einige Nazis, die den Treffpunkt verlassen. Manche, wie es scheint, zu Fuß. Das Konzert an diesem Abend soll nicht groß werden. Michael Regener alias „Lunikoff“ tritt bei einem Balladenabend auf. Regener ist einer der größten Promis in der Rechtsrockszene. Seine ehemalige Band Landser wurde als kriminelle Vereinigung verboten. Regener saß deswegen in Haft. Landsers Motto: „Terroristen mit E-Gitarren.“ Regelmäßig tritt Regener solo oder mit seiner aktuellen Band, der Lunikoff Verschwörung, in Dortmund auf. Rechtsrocker mit offenem Bezug zum Terrorismus gibt es dort auch. Marko Gottschalk ist Dortmunder und Sänger der Band Oidoxie, die sich selbst als Combat 18-Band bezeichnet. Combat 18 ist der bewaffnete Ableger von „Blood and Honour“, einem neonazistischen Musiknetzwerk. In England verübten Anhänger der terroristischen Vereinigung mehrere Anschläge. Auch der Oidoxie-Sänger Gottschalk soll vor rund zehn Jahren eine Terrorzelle gebildet haben. Sie flog auf, weil ein V-Mann des Verfassungsschutzes an Drogendeals und einem Raubüberfall beteiligt war und weil es zu Streitigkeiten zwischen der Polizei und dem Geheimdienst kam. Der Räuber Robin S. errang als Brieffreund der NSU-Terroristin Beate Zschäpe eine gewisse Bekanntheit. Seitdem S. nicht mehr inhaftiert ist, nimmt er wieder regelmäßig an rechten Aufmärschen teil – und präsentiert stolz Combat 18-Schriftzüge. Die Gruppe ist in Deutschland nicht verboten. Nach Recherchen der Plattform Exit Recherche ist Robin S. heute einer der wichtigsten Verbindungsmänner zwischen deutschen und englischen Neonazis, die sich Combat 18 zurechnen und wieder aktiver werden.
Wir schaffen es nicht, die Neonazis von ihrem Vorabtreffpunkt zu verfolgen. So klappern wir mögliche Locations in der Nähe ab, in denen schon einmal Nazi-Konzerte stattgefunden haben. In einem Gewerbegebiet machen wir Halt. Dahinter liegt eine Gaststätte, die in der Vergangenheit bereits von Rechten angemietet wurde. Wir fahren die Fenster runter und lauschen – hören aber nichts. Auch bei näherer Betrachtung stellen wir fest: kein Licht, keine Menschen. Im Zentrum von Dorstfeld ist es ebenfalls ruhig. Die Nazis beanspruchen den Stadtteil für sich, es gibt mehrere rechte Wohngemeinschaften. Der Schriftzug „Nazi-Kiez“ prangt an Wänden und Stromkästen.
Wir fahren ein Stück weiter, beraten uns, wo wir noch suchen können. Lohnt es sich, in Schwerte zu schauen oder nach Hamm zu fahren, wo die Nazis ihr Zentrum „Zuchthaus“ nennen und regelmäßig Konzerte veranstalten? Jemand weist uns darauf hin, dass es noch einen Kleingartenverein gibt, in dem vor mehreren Jahren Konzerte stattfanden. Der Verein liegt ziemlich abgelegen am Ende der Bergarbeitersiedlung Tremonia im Tal der Emscher. Wir nähern uns dem Parkplatz. Nichts zu sehen. Dass das Rechtsrockkonzert hier stattfindet, halten wir für unwahrscheinlich und drehen um. Wir können Feierabend machen. Drei Stunden durch die Gegend gekurvt für Nichts – denken wir.
An der Einfahrt zur Siedlung sehen wir dann plötzlich zwei junge Männer in einem Kombi sitzen. Unsere Vermutung: Zivilpolizisten. Wir halten ein Stück weiter, schauen uns die Umgebung auf der Karte an. Es gibt eine Parallelstraße, die durch die Emscher getrennt, in die Nähe des Vereinsheims führt. Ideal zum Beobachten. Wir drehen um, fahren in die Straße, die sich als dunkler Waldweg entpuppt. Wenn wir hier auf Nazis treffen, wäre das nicht gut. Der Weg ist mehrere hundert Meter lang, links und rechts nur Bäume und Müll am Wegesrand. Plötzlich sehen wir Autos auf dem Weg stehen. Jemand kommt uns mit einer starken Taschenlampe entgegen. Wir drehen um – glücklicherweise schnell genug. Ein paar hundert Meter werden wir von einem Fahrradfahrer verfolgt. Die Polizisten sitzen gelangweilt in ihrem Kombi an der Einfahrt zur Siedlung.
Das Nazi-Konzert haben wir gefunden. Das ist ganz nett. Die Location eine bessere Gartenhütte, die zu einem „Gebrauchshundeverein“ gehört. Personen im Verein haben einen Bezug zur Dortmunder NS-Szene. Anlieger berichten, dass hier schon öfter solche Konzerte stattgefunden haben. Es lohnt sich, den Ort im Auge zu behalten. Was verwundert: das Desinteresse der Polizei. Regelmäßig sorgen Dortmunder Neonazis für Schlagzeilen. In der Stadt wird immer wieder über die Szene diskutiert. Offizielle Linie der Polizei ist es, den Nazis „auf die Füße“ zu treten. Bei kleinsten Delikten wie Schwarzfahren will man für eine schnelle Strafverfolgung sorgen. Man halte den „Kontrolldruck“ hoch, heißt es immer wieder in den Verlautbarungen der Polizei. Warum dann im Umfeld eines Konzertes, bei dem sicher nicht nur Kamillentee getrunken wird, nicht mal eine Kontrollstelle eingerichtet wird, bleibt unklar. Eine Anfrage dazu hat die Polizei bisher nicht beantwortet.
Rechtsrock ist ein Millionengeschäft und zentrales Element für die Erlebniswelt der Neonazis. Antifaschistischen Protest gibt es gerade bei den konspirativ organisierten und weit abgelegenen Konzerten nur selten. Hier ist oft der Staat gefragt. Polizeibehörden gehen ganz unterschiedlich mit solchen Events um. Manchmal steht eine Hundertschaft bereit und durchsucht alle, die ein Konzert besuchen wollen. An anderen Orten, wie am Montag in Dortmund, zeigt nur eine Zivilstreife Präsenz. Wie den Nazis das Feiern Spaß macht, dürfte sich jeder selbst ausmalen können.