Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sagt, wir sollten den Leuten, die in Zeiten von Corona für das Allgemeinwohl arbeiten, doch einfach mal ein Lächeln schenken. Ein Lächeln ist nett. Was Mitarbeiter*innen, zum Beispiel Pfleger*innen im Krankenhaus, allerdings viel eher bräuchten, und zwar nicht erst seit Corona, wäre ehrliche Anerkennung im Sinne von angemessener Bezahlung, geregelte Arbeitszeiten und Schutz vor Überarbeitung.
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Wir bereiten uns auf die Corona-Fälle vor und sind in fast jeder Schicht nur zu zweit
Auch Juliane, die seit einem Jahr als Gesundheits- und Krankenpflegerin auf einer 12-Bett Intensivstation eines Hamburger Krankenhauses arbeitet, wünscht sich Anerkennung vor allem in anderer Form. Schon lange vor dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie fing sie an, auf ihrem Instagram-Account über Missstände in der Krankenpflege aufzuklären und Fakten zu nennen. Juliane sagt, der Fachkräftemangel ließe sich am Besten dadurch verdeutlichen, wenn man sieht, wie es in anderen Ländern läuft: „In Norwegen ist es auf den regulären Stationen so, dass eine Pflegekraft rund vier Patienten betreut. Bei uns im Krankenhaus ist es so, dass eine Pflegekraft, zum Beispiel in der Kardiologie, fünfzehn Patienten betreut. Nachts kann es vorkommen, dass man ganz alleine mit 40 Patient*innen ist. Wenn an einem Ende des Flures etwas passiert und am anderen auch, dann bist du da alleine“, erzählt sie. Durch die Covid-19-Pandemie wird die Lage nun noch angespannter. „Auf einer Intensivstation ist eigentlich eine eins zu zwei Betreuung üblich. Wir bereiten uns auf die Corona-Fälle vor und sind in fast jeder Schicht nur zu zweit, das bedeutet, du hast drei bis fünf Patient*innen und davon viele, die an Beatmungsmaschinen sind, das ist sehr aufwendig. Wenn man zum Beispiel einen Corona-Patienten betreut, darf man aus Infektionsschutzgründen eigentlich nur noch den betreuen, das ist aber gar nicht umsetzbar.“ Zum Zeitpunkt unseres Interviews arbeitet Juliane schon neun Tage am Stück, zwei hat sie noch vor sich, einige ihrer Kolleg*innen sind krank. Manche Tage seien so stressig, dass sie um 20 Uhr das erste Mal etwas Trinken oder auf Toilette gehen kann, obwohl sie bereits seit 13 Uhr auf der Arbeit ist. „Ich bin quasi nur noch zum Essen und Schlafen Zuhause“.
Jens Spahn, der gelernter Bankkaufmann ist und in seinem Leben vermutlich noch keinen Tag im Krankenhaus gearbeitet hat, erließ in seinem Amt als Bundesgesundheitsminister die sogenannte Personaluntergrenze. Diese sollte eine maximale Anzahl von Patient*innen pro Pflegekraft festlegen. Als konkrete Untergrenze sollte zum Beispiel eine Tagschicht in der Intensivmedizin höchstens 2,5 Patient*innen pflegen, eine Nachtschicht 3,5. Dass dies bei steigenden Krankheitsfällen, nicht ausreichend Menschen in Ausbildung, sowie der Tatsache, dass private Krankenhäuser in Deutschland auch ein finanzielles Interesse an vollen Betten haben, unrealistisch umzusetzen ist, versteht man auch, ohne Gesundheitsminister*in zu sein. Zur Corona-Krise hat Spahn diese Untergrenze aufgehoben, um Pflegepersonal zu entlasten. Wen genau das entlasten soll, weiß eigentlich keiner.
Es sind Menschen, auf deren Rücken die Missstände der Pflegebranche nun noch mehr lasten als sowieso
„Es sind so total abstruse Sachen, die in manchen Fällen vielleicht nett gemeint, aber überhaupt nicht auf die Praxis bezogen sind“, sagt Juliane über die Personaluntergrenze. „Es würde uns eher helfen, andere Arbeitszeitregelungen zu haben und geschützter zu sein, wenn es zu arbeitsrechtlichen Konflikten mit den Konzernen kommt. Auch mehr Anerkennung in Form von Geld zu haben, würde helfen. Ich bin noch privilegiert und alleinstehend, aber es gibt auch Leute, die alleinerziehend sind und Kinder zu versorgen haben. Für die ist der Stress enorm hoch.“ Akut braucht es vor allem Materialien. Standards können nicht mehr eingehalten werden, Einweg-Atemmasken müssen aufbereitet und mehrfach verwendet und leere Desinfektionsmittelbehältnisse im Labor neu aufgefüllt werden. Und dann gibt es auch noch die Leute, die Desinfektionsmittel aus Krankenhäusern klauen, obwohl simples Händewaschen sowieso am wirksamsten gegen das Virus ist. Ja, es gibt Lieferengpässe. Aber diese Maßnahmen dienen dem Schutz der Menschen, deren Gesundheit wir nicht nur respektieren müssen, sondern auf die wir alle angewiesen sind. Es sind die Menschen, auf deren Rücken die Missstände der Pflegebranche nun noch mehr lasten als sowieso.
Auch die Gesellschaft trägt nun eine Verantwortung gegenüber Krankenhauspersonal, findet nicht nur Juliane, sondern auch Ärztin Serena*, die aus Italien kommt und in Deutschland lebt und arbeitet. Häufig telefoniere sie mit ihren italienischen Kolleg*innen, erzählt sie, und das wichtigste sei nun, nicht die gleichen Fehler zu machen, die in China und Italien passiert sind: „Jeder muss etwas tun. Und Zuhause zu bleiben bedeutet schon, etwas zu tun“. Als das Thema in Italien akut wurde, hielten die Menschen in Deutschland Abstand zu ihr, wenn sie erfuhren, dass Serena Italienerin ist. „Corona ist kein genetisches Problem für italienische Menschen“, ergänzt sie. Viele Leute könnten es sich einfach nicht vorstellen, dass die Situation Ausmaße wie in China oder Italien annimmt.
Wir werden Überstunden machen ohne Ende
Genau diese Annahme schafft neben der besonderen Gefährdung für die Risikogruppe eine Gefährdung für die Krankenhäuser und deren Mitarbeiter*innen. „Ich habe Angst, dass es zu spät klick macht, dass die Leute selbst nach der Situation in Italien nicht daraus lernen und wir alles abfangen müssen. Wir werden Überstunden machen ohne Ende, kaum noch Pausen haben. Mir wird schlecht, wenn ich daran denke. Ich habe Angst, dass es für die Leute, die eh schon überarbeitet sind, der letzte Tropfen ist. Ich bin mir sicher, dass viele von uns nach dieser Zeit auch selber krank werden. Nicht unbedingt an Corona, sondern wegen der Überlastung“, sagt Juliane.
Wenn du über 70, 75 und vorerkrankt bist, dann bist du raus
Die Sorge, dass die Situation sich wie in Italien zuspitzt, teilen Serena und Juliane. „Italien hat ein hochqualitatives Gesundheitssystem“, sagt Serena. Nie hätte sie gedacht, dass es einmal so sein wird, dass nicht mehr jedem Menschen die ihm oder ihr zustehende Versorgung garantiert werden könne. Doch nun ist es so, dass es weder genug Personal, noch genug Plätze oder Maschinen gibt, um allen Menschen die entsprechende Behandlung zu Gewährleisten. „Das muss man sich mal durch den Kopf gehen lassen“, sagt auch Juliane. „Wenn du über 70, 75 und vorerkrankt bist, dann bist du raus. Dann ist das Beatmungsgerät für jemanden reserviert, der jünger und gesünder ist als du“. Kein*e Krankenhausmitarbeiter*in möchte sich in so einer Situation finden.
Jens Spahn hat schon recht, dass es wichtig ist, freundlich mit Menschen umzugehen, die für das Allgemeinwohl arbeiten. Aber mit einem Lächeln kann man weder Überarbeitung, noch Stress heilen. Juliane hat klare Worte: „Ich möchte, dass die aktuelle Situation eine ordentliche Kerbe in den Köpfen der Politiker*innen hinterlässt und dass die Wertschätzung auch finanziell kommt. Wir leisten gerade alles mögliche über unsere Kapazitäten hinaus und in so einer Notfallsituation sollte es auch in dem Sinne Wertschätzung geben. Das ist nicht akut der Fokus, aber man darf sich schon dankbar zeigen.“ Am Ende bleibt die Frage, was eigentlich mit der Anerkennung ist, wenn gerade keine Krise gemanagt werden muss?
*Name geändert