Um den Zumutungen des patriarchalen Alltags zu entfliehen, organisieren sich Frauen, Lesben, Inter, Nichtbinäre und Trans (FLINT) in eigenen Räumen. Die von der klassischen Frauenbewegung übernommene Strategie verspricht politische Arbeit und Freizeit auch ohne kräftezehrende Auseinandersetzungen mit Cis-Männern. Doch an FLINT-Räume werden höhere Ansprüche an ein soziales und politisches Miteinander gestellt. Diese hohen Erwartungen werden längst nicht immer erfüllt – auch, weil es abseits von Sexismus noch tausend andere Dinge gibt, aufgrund derer man sich in die Haare kriegen kann. Enttäuschungen schmerzen dann umso doller, weil ja die Hoffnung bestand, in FLINT-Räumen sei alles ganz anders. Viele Feminist*innen wechseln deshalb von Räumen mit und solchen ohne Cis-Männer hin und her. Aber nur wenn wir unseren Erwartungen an FLINT-Räume einem Realitätsabgleich unterziehen, können langfristige, produktive und auffangende Beziehungen gelingen.
1977 besetzten Aktivist*innen der entstehenden autonomen Frauengruppen an der Ruhr-Universität Bochum einen leerstehenden Raum im Bereich des Psychologie-Instituts. Auf einem Flugblatt, das die Frauen damals zur Besetzung verteilten, hieß es dazu: „Wir wollen dadurch alle diejenigen Frauen erreichen, die sich hier an der Uni isoliert und beschissen fühlen und versuchen gemeinsam unsere Lage zu bequatschen.“ So wie in Bochum wurden damals an vielen Orten Frauenräume geschaffen – und mit ihnen eine neue Idee von feministischem Separatismus. Doch egal, ob es sich um Räume im physischen oder im sozialen Sinne handelte: von Anfang an waren die Erwartungen an diese neue Politik hoch. Oft konnten die Beteiligten ihnen nicht gerecht werden.
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Wer kann es sich erlauben, sich als Frau zu organisieren
Zunächst einmal geriet die Idee eines Frauseins, das alle Frauen tatsächlich teilten, unter Beschuss. Wie zugänglich waren die Räume tatsächlich für alle Frauen? Dass die Frauenraumbewegung so prominent an den Universitäten gewirkt hat, zeigt, wer es sich leisten konnte, sich „als Frauen“ zu organisieren. Für viele andere waren Zugehörigkeiten zu rassistisch ausgegrenzten Gruppen oder das Leben als Arbeiter*innen prägender als die Frage nach dem Geschlecht. Noch heute wird in FLINT-Räumen viel darum gerungen, welche Norm eigentlich unter der Hand etabliert wird, wenn sich „FLINT“ treffen. Die Gruppe der weißen Akademiker*innen scheint meist zu gewinnen.
In der Studie „Frauen ‚unter sich‘“ aus dem Jahr 2009 hat Renate Liebold Frauengruppen aus unterschiedlichen Milieus untersucht. Ein großer Unterschied zwischen den Klassen, aus denen die Gruppen stammten, war dabei, wie viel Platz die Thematisierung von Geschlecht jeweils einnahm. Bei den eher akademisierten Gruppen fand Liebold ein andauerndes Gespräch über Geschlecht und Geschlechterungleichheit. In anderen Gruppen war es für die Forscherin schwer, überhaupt ein Gespräch darüber anzuzetteln, warum sich die Frauen „als Frauen“ trafen. Die Gruppen aus den „aufgeklärten“ Milieus wiederum neigten dazu, sich nach kurzer Zeit wieder aufzulösen oder sich im starken Mitgliederwechsel zu verlieren. Das klingt nach unseren linken FLINT-Räumen, oder?
In den eher akademisierten Gruppen – ob nun in Netzwerken für Karrierefrauen oder linksalternativen Lesekreisen – erwarteten die Teilnehmer*innen der Studie oft eine selbstverständliche Verbundenheit. Eine der Gruppen gründete sich, um Männernetzwerken in der Berufswelt etwas entgegen zu setzen. Man grenzte sich von der Art von Männern ab, sich über berufliche Themen auszulassen, ohne sich auf Augenhöhe zu begegnen. Gleichzeitig wurden die Männer für ihre sachorientierte Gesprächskultur beneidet: „Also es gilt fast als unhöflich, über Fach- und Sachthemen sich zu lang auszulassen oder gar zu irgendwas zu kommen, was entfernt nach Diskutieren riecht, ne“, sagte eine der Frauen kritisch über ihre Gruppe.
Stattdessen tendierten Gesprächskulturen, egal ob beim Lesekreis oder im Berufsnetzwerk, dazu, sich über Selbstreflexion und Selbstkritik auszutauschen und möglichst alle auf Augenhöhe zu beteiligen. Liebold spitzt ihre Beobachtungen so zu: „In sogenannten ,Reflexivitätsschleifen‘ kritisieren die Frauen ihr Kritikvermögen selbstkritisch“.
Es darf nicht persönlich werden
Diesen Frauen war außerdem gemein, dass sie sich von einem männlichen Habitus in der Berufswelt abgrenzten. Stattdessen wollten sie in den Frauengruppen authentisch, als ganze Person anwesend sein und Anerkennung erfahren. Sie gingen davon aus, dass dies in „zwanglosen“, „hierarchiearmen“ Frauengruppen möglich sei. Männer hingegen orientierten sich, der Wahrnehmung der Frauen zufolge, eher angepasst und hierarchiekonform. Dass die Gruppen als Teams gut funktionierten, lag der Wahrnehmung nach an der Beziehungsorientierung der Frauen. Dadurch wurde Frauen und der Frauengruppe eine moralische Überlegenheit attestiert. Gruppenprozesse sind auf Einvernehmlichkeit ausgerichtet – und auf sie angewiesen.
Aber durch die Beziehungsorientierung werden inhaltliche Differenzen, die sich nicht einvernehmlich einebnen lassen, schnell zu Angriffen auf Personen. Die Achtsamkeits-Erwartung an die Frauengruppe, nämlich authentisch und unverstellt anwesend sein zu können und immer „gesehen zu werden“, führt im Konfliktfall zu einem umso tieferen Sturz. Konstruktiv Probleme zu lösen wird schwieriger, wenn Gefühle persönlicher Kränkung mit hineinspielen.
Übertragen auf unsere FLINT-Räume bedeutet das, dass wir nach unseren Ansprüchen fragen müssen. Wenn wir zum Beispiel häufiger die Erfahrung gemacht haben, dass Andere urplötzlich nicht mehr so „selbstkritisch“ und „feministisch“ waren, wie wir uns doch eigentlich „geeinigt“ hatten, könnte das auch an unseren Erwartungen liegen. Diese höheren Ansprüche an FLINT kann man auch als Resultat der größeren Privilegien verstehen, die wir Cis-Männern zugestehen. Denn das Verständnis, das wir von FLINT erwarten, beanspruchen wir bei Männern oft erst gar nicht: „boys will be boys“.
Und selbst bei den intersektionalen Ansätzen, die hierzu in feministischen Kontexten viel verfolgt werden, gerät meiner Beobachtung nach etwas in Vergessenheit, das uns alle recht individuell trennt: unsere Charakterstile, unsere psychischen Prägungen und Beschädigungen.
Damit FLINT-Räume eine gute Alternative werden, müssen wir hinterfragen, wie viel wir als selbstverständliche Gemeinsamkeit „als FLINT“ annehmen. Dann können wir auch den großen Enttäuschungen und Verletzungen vorbeugen, die es rund um FLINT-Räume immer wieder gibt, weil wir uns zu viel von ihnen versprochen haben. Und: wenn wir das erst einmal begriffen haben, finden wir vielleicht den Mut, auch nach Irritationen und Verletzungen wieder aufeinander zuzugehen und auszuhandeln, wie ein Miteinander – politisch wie privat, funktionieren kann. Trotz aller Differenzen.