Gewalt gegen LGBTI ist Alltag – auch im vermeintlich liberalen Berlin. Die Dragqueen Olympia Bukkakis meint: Es ist falsch, in rassistische Klischees zu verfallen und nur Migrant*innen verantwortlich zu machen. Die Hauptschuld sieht sie in der sozialen Ungleichheit.
Eine Fahrt in der U-Bahn. Kurz zum Bäcker Brötchen holen. Spazieren gehen im Park. Was für die einen eine Selbstverständlichkeit ist, kann für andere Menschen eine Gefahr für Leib und Leben darstellen. So auch für Olympia Bukkakis – 31, trans, Dragqueen. „Ich habe ständig Angst, angegriffen zu werden, wenn ich das Haus verlasse.“ Auch im vermeintlich liberalen Berlin erlebe sie Ablehnung, Vorurteile bis hin zu offenem Hass.
Aufgewachsen ist Olympia in einem kleinen Nest im Südwesten von Australien. Ihr Dorf liegt zwischen Regenwald und Ozean – ein Paradies war es trotzdem nicht. Konservativ, homophob und rassistisch seien viele ihre ehemaligen Nachbar*innen gewesen. Ein Beispiel? Auf dem Dorfplatz steht bis heute eine Statue eines „Entdeckers“, der für zahlreiche Massaker an Aborigines verantwortlich ist. Dort zu bleiben war keine Alternative. „Zwei Tage nach meinem achtzehnten Geburtstag bin ich nach Melbourne gezogen.“
Wir haben unseren Style „Bürgersteig-Glamour“ genannt
Die Stadt in Südaustralien hat eine lebendige, queere Szene und gilt als liberale Metropole. Olympia stand bald zum ersten Mal auf der Bühne. Schnell merkte sie jedoch, dass sie mit dem traditionellen, stark kommerzialisierten Drag nicht viel anfangen kann. Teure Outfits konnte Olympia sich nicht leisten. „Ich war eher in queeren, alternativen Punk-Kreisen unterwegs.“ So begann sie mit ein paar Freund*innen, eigene Partys und Dragshows zu organisieren. „Bei uns war alles immer viel trashiger“, sagt Olympia und lacht. „Wir haben unseren Style ‚Bürgersteig-Glamour‘ genannt.“ Mal verkleideten sie sich als Tiere, mal trat Olympia als Öllache auf oder spielte eine Kreuzigung nach. Ihre Auftritte provozierten. Auch Politik spielte immer eine Rolle – auf und neben der Bühne. Olympia war Mitglied in der Sozialistischen Partei (SP), der Schwesterpartei der deutschen Sozialistischen Alternative (SAV). Bei ihren Dragshows dichtete sie Texte von Popklassikern mit politischen Botschaften um.
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Vor vier Jahren zog Olympia nach Berlin. Wegen der Kunstszene. Wegen der Partys. Und „weil die Menschen hier noch Zeit haben.“ Heute studiert sie Tanz, moderiert Veranstaltungen, hat eine eigene Comedy-Show, performed in Clubs und Bars.
Als im Jahr 2014 die rechtsradikalen Horden von Pegida und Co. durch die deutschen Städte zogen, bezog Olympia immer stärker Position gegen rechts. Im Jahr 2015 begann sie, zusammen mit der libanesischen Trans-Frau Diva Maguy die Partyreihe „Queens against Borders“ zu organisieren. Die Erlöse der Party gehen an Projekte für Geflüchtete. Auch die Situation in Australien bereitet Olympia große Sorgen. Die Asylpolitik ist restriktiv, Geflüchtete werden in Lagern auf Inseln gefangen gehalten – mit Unterstützung fast aller politischer Parteien. Olympia meint: „Wenn ich anfange über Australien zu reden, ruiniere ich auch schon mal ein Abendessen.“
In ihren Shows geht es um den Alltag, queere und marxistische Theorie – und auch die Probleme der Berliner Szene. „Hier gibt es einen regelrechten Männlichkeitswahn“, meint Olympia. Misogynie und sexualisierte Gewalt seien insbesondere in der Club-Szene ein großes Problem. Frauen und Transmenschen würden oft von schwulen Männern abwertend behandelt. „Je weiblicher ich mich auf Partys kleide, desto mehr fühlen sich Männer ermutigt, über meinen Körper zu bestimmen.“
Die Gewalt gegen LBGTI hat auch mit sozialer Ungleichheit zu tun
Außerhalb der Clubs sei die Gewalt aber natürlich noch stärker – und sie nehme zu. Woran das liegt? Laut Olympia hänge das auch mit der Zunahme von sozialer Ungleichheit zusammen. Viele Menschen würden durch die neoliberale Politik verarmen und an den Rand gedrängt werden. Viele Männer könnten die ihnen zugeschriebene Rolle als Ernährer der Familie nicht mehr erfüllen. Die Konsequenz: Einige fühlten sich ermutigt, ihre vermeintlich verloren gegangene Männlichkeit woanders zu kompensieren. Dies schlage häufig in Gewalt gegen Menschen wie Olympia um. Für sie ist es deshalb fundmental, queere Politik und ökonomische Fragen zusammenzudenken.
Die Gewalt gegen LGBTI in Berlin will auch eine Kampagne anklagen, die sich im August gegründet hat. „Ehrlos statt wehrlos – Bündnis gegen Neuköllner Unzumutbarkeiten“ will homo-, transphobe und antisemitische Übergriffe bekämpfen. Gerade in muslimischen Communities sei das Problem besonders groß ,heißt es. Olympia ist von dem Bündnis jedoch nicht begeistert. Die alltägliche Straßengewalt zu bekämpfen, sei wichtig. Aber: Die Kampagne würde es sich viel zu einfach machen und mit „rechten Ideen flirten.“ Unterschiede zwischen Muslimen würden nicht gemacht werden. Stattdessen würde stark verallgemeinert werden, außerdem klammere die Aktion die ökonomische Benachteiligung aus, die laut Olympia ein wichtige Erklärung für Übergriffe sei. Olympia meint: Natürlich gebe es Probleme in Stadtteilen wie Neukölln. „Aber in Marzahn oder Dresden würde ich auch nicht in Drag auf die Straße gehen.“
Doch was kann getan werden gegen LGBTI-Feindlichkeit und den Rechtsruck? Als im Mai die rechtsradikale AfD durch Berlin marschieren wollte, stellten sich ihnen Zehntausende Berliner*innen entgegen. Den Gegenprotest organisierten unter anderem Clubs – und queere Partykollektive stellten den am besten besuchten Block. „Das war die größte Anzahl von queeren Menschen, die jemals auf einer Veranstaltung außerhalb von einem klassischen Szene-Event gesehen habe“, meint Olympia. Auch bei der #unteilbar-Demo war der LGBTI-Block riesig. „Viele verlassen ihre Blase, das ist gut.“
Von einigen traditionellen Linken wird der Kampf gegen LGBTI-Feindlichkeit als Anhängsel des Neoliberalismus bezeichnet. Sahra Wagenknecht bezeichnete Minderheitenschutz als „Wohlfühllabel, um rüde Umverteilung von unten nach oben zu kaschieren.“ Olympia meint: Klar, es gebe es auch bürgerliche Schwule, Lesben und Transmenschen, die sich mit dem System arrangiert hätten. Queere Kultur würde von großen Unternehmen angeeignet. Dennoch: Gerade LGBTI seien überproportional von Armut und den Auswirkungen des Kapitalismus betroffen. Für Queers of Color sei die Situation noch dramatischer. Olympia meint: Der Kampf gegen Neoliberalismus, Rassismus, Homo-und Transphobie lasse sich nicht voneinander trennen. „Wir müssen gleichzeitig gegen Hartz IV, Angriffe auf Geflüchtete und homo- und transphobe Diskriminierung an Schulen kämpfen.“
Alle Fotos von André Groth