Ich arbeite seit 13 Jahren im Krankenhaus, genauer gesagt im OP. Ich bin operationstechnische Assistentin. Was ich während meiner Ausbildung verinnerlicht habe? Jeden Menschen, den ich betreue, so zu behandeln, als wäre ich selbst der Patient. Genauso geht es meinen Kolleg*innen auf Station. Doch seit geraumer Zeit ist das fast nicht mehr möglich.
Die Bedingungen in deutschen Krankenhäusern haben sich so stark verändert, dass es nicht nur personell zu extremen Engpässen kommt, sondern man als Pflegekraft im Krankenhaus fast täglich an seine physisch und psychischen Grenzen gelangt. Doch warum ist das so?
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Im Krankenhaus geht es schon längst nicht mehr um das Wohlergehen der Menschen.
Im Krankenhaus geht es schon längst nicht mehr um das Wohlergehen der Menschen. Es geht um Gewinne. Der Kapitalismus lässt grüßen. Die zunehmende Profitorientierung führt dazu, dass heute von „Profitliegern“ und „Kostenliegern“ gesprochen wird, also: Gewinne und Verluste, die man mit kranken Menschen generiert. Willkommen im Unternehmen Krankenhaus.
Doch wie sieht der Arbeitsalltag des Personals aus? Als operationstechnische Assistentin habe ich eine 39-Stunden-Woche. Zusätzlich dazu leiste ich Bereitschaftsdienste. Das heißt ich verbringe an mehreren Tagen im Monat 24 Stunden im Krankenhaus. Nach meiner regulären Schicht halte ich mich für Notfälle bereit. Das gehört zu meinem Job.
Man könnte meinen, wenn ich also in meinem Bereitschaftsdienst arbeite, dann tue ich das, weil ein Mensch dringend eine Operation benötigt, die nicht aufzuschieben ist. Doch die Wahrheit ist: Viele Stunden meines Bereitschaftsdienstes verbringe ich damit, die übrig gebliebenen Operationen abzuarbeiten. Hinzukommen die wirklichen Notfälle. Klingt anstrengend? Ist es auch.
Durch den Personalmangel, sei es krankheitsbedingt oder weil Stellen nicht mehr besetzt werden, leiste ich bis zu neun Bereitschaftsdienste im Monat. Neun Tage im Monat, an denen ich mein Bett mit Glück für drei Stunden sehe. Es gibt Monate, in denen ich über 200 Stunden in der Klinik verbringe. Die Konsequenz: Ich habe kaum noch soziale Kontakte außerhalb des Krankenhauses. Entweder ich schlafe oder ich arbeite.
Ich habe kaum noch soziale Kontakte außerhalb des Krankenhauses.
Trotz allem versuche ich, den mir anvertrauten Menschen, die bestmögliche Pflege zukommen zu lassen. Denn: Wenn ich nicht funktioniere, kann das für die Patient*innen fatale Folgen haben.
Bei den Kolleg*innen auf Station sieht es nicht besser aus. Oft ist ihre Lage sogar schlimmer. Bei der Planung des Dienstplans werden Überstunden schon mit eingeplant, auch sie sind chronisch unterbesetzt. Und was heißt das für die Patient*innen? Grundbedürfnisse, wie Hilfestellungen bei der Körperpflege oder dem Essen, werden auf ein Minimum reduziert. Die Patient*innen werden im Akkord abgearbeitet.
Betrachten wir eine chirurgische Normalstation mit 30 Betten, zwei Pflegekräften pro Schicht und einem Operationsaufkommen von zehn Operationen am Tag. Der extreme Personalmangel sorgt dafür, dass eine Pflegekraft nur damit beschäftigt ist, die Patient*innen in den OP zu bringen und wieder abzuholen. Die zweite Pflegekraft kümmert sich alleine um die restlichen Patient*innen auf Station. Wir reden hier von frisch operierten, teilweise überwachungspflichtigen und bettlägerigen Menschen. Sie sind oft nicht in der Lage alleine zu trinken, zur Toilette zu gehen oder sich einfach nur auf die Seite zu drehen. Neben der direkten Arbeit mit den Patient*innen müssen sich die Kolleg*innen auch noch um die medizinische Dokumentation kümmern. Kurzum: Arbeiten am Limit.
Vor nicht allzu langer Zeit habe ich selbst miterlebt, wie eine Kollegin, die seit 20 Jahren nur in der Notaufnahme arbeitet, wegen krankheitsbedingter Ausfälle eine komplette Station übernehmen musste. Als sie die Frühschicht ablöste, war sie nur noch froh, dass alle Patient*innen noch am Leben waren.
Es wäre schön, wenn jede Pflegekraft nur drei bis vier Stunden mehr pro Woche arbeiten müsste.
Und nun müssen wir uns von Gesundheitsminister Jens Spahn anhören: „Wenn von einer Millionen Pflegekräften 100.000 nur drei, vier Stunden mehr pro Woche arbeiten würden, wäre schon viel gewonnen“. Obwohl Spahn Teile der Aussage revidierte, war mein erster Gedanke, als ich das las: Es wäre schön, wenn jede Pflegekraft nur drei bis vier Stunden mehr pro Woche arbeiten müsste. Diesen Punkt haben wir jedoch schon längst überschritten. Nur durch den Einsatz der Kolleg*innen, die den Personalmangel seit Jahren kompensieren, sind wir nicht schon viel früher an einem Punkt wie heute angelangt.
Doch wieso lasse ich so etwas mit mir machen? Wieso springe ich für Schichten ein, obwohl ich frei habe? Wie kann ich nur unter solchen Bedingungen arbeiten? Die Antwort ist einfach: Ich liebe meinen Job. Und so blöd es auch klingen mag: Ich will Menschen helfen. Pflegekraft zu sein, ist nicht einfach nur ein Beruf. Es gibt einen inneren Beweggrund für die Arbeit, der sich nicht in Worte fassen lässt.
Dennoch: Der Druck im Berufsalltag ist so hoch, dass viele Kolleg*innen ihm nicht mehr standhalten können. Wer es sich finanziell leisten kann, flüchtet sich in Teilzeitbeschäftigung. Andere orientieren sich komplett um und verlassen den Beruf. Und wieder andere kämpfen. Auch ich habe beschlossen, mich zu wehren.
Als ich mich vor zwei Jahren entschieden habe, aktiv zu werden, wusste ich nicht was ich tun kann. Ich habe mich weiterentwickelt, dazugelernt und helfe mittlerweile Kolleg*innen dabei, sich zu engagieren. Ich bin ein Teil der Menschen, die etwas bewegen. Die zeigen, dass es richtig ist, sich zu organisieren und zu vernetzen.
Ein Krankenhaus darf kein Wirtschaftsunternehmen sein.
Schon lange geht es bei unserem Kampf nicht mehr nur um bessere Bezahlung, unsere Arbeitsbedingungen und Entlastungen in einzelnen Krankenhäusern. Es muss sich grundlegend etwas verändern. Wir müssen wegkommen von Ökonomisierung und Profitorientierung. Ein Krankenhaus darf kein Wirtschaftsunternehmen sein. Und vor allem brauchen wir eine gute Gesundheitsversorgung, die an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet ist und nicht an Profiten.
Und es tut sich etwas: In Berlin, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und dem Saarland wurden unlängst erfolgreiche Entlastungskämpfe geführt. Und wir machen weiter. Denn die Erfahrungen zeigen uns: Es lohnt sich, zu kämpfen.
Julia Holzhauser ist operationstechnische Assistentin in einem Krankenhaus im Saarland und bei ver.di aktiv.