Ächzend versuche ich, vorwärts zu robben. Auf mir liegen fünf Menschen und geben ihr Bestes, mich daran zu hindern. Irgendjemand kitzelt mich an den Füßen. Ich fluche. Dann kriege ich mit beiden Händen einen Unterschenkel zu fassen und ziehe mich daran nach vorne. Meine Jogginghose verrutscht bedenklich, die raue Sportmatte brennt auf dem Hüftknochen – aber schließlich habe ich es geschafft! Schwitzend und außer Atmen tauche ich am anderen Ende des Menschentunnels auf. Doch das war nur die Aufwärmübung vor dem Kampf.
Ziemlich nervös komme ich an einem Mittwoch Abend in dem Nachbarschaftszentrum in Berlin-Schöneberg an, in dem sich alle zwei Wochen eine Gruppe zum Playfight trifft. Ich habe keine Ahnung was mich erwartet, außer dass es um’s Raufen, Toben, Rangeln geht. Um viel Körperkontakt mit fremden Menschen also, ohne Technik und fast ohne Regeln – außer denen, auf die man sich vorher individuell einigt. Das Besondere an der Gruppe: Sie ist nur für Frauen, Lesben, Trans*-Personen und intergeschlechtliche Menschen offen – kurz FLTI*.
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Für Leute aus der Kinky-Szene ist es ganz normal, vorher Absprachen zu treffen
„Ich war mal bei einem gemischtgeschlechtlichen Playfight-Treffen aber ich habe mich gar nicht wohl gefühlt“, erzählt Noa. Die 28-Jährige mit den kurzen blonden Haaren und der eckigen Brille hat schon immer gerne gerauft – als Kind fast jeden Abend mit ihrer Schwester. Doch die bekannteste Gruppe Berlins überzeugte sie nicht: „Es war voller Geschlechterzuschreibungen und Rollenklischees, es ging viel darum, sich zu beweisen. Manche Männer haben sich nicht an Absprachen gehalten und so richtig voyeuristisch geglotzt, wenn zwei Frauen miteinander gekämpft haben“.
Letzten September gründete Noa deshalb eine neue Playfight-Gruppe. „Erst dachte ich, es kommt bestimmt niemand“, erzählt Noa. Doch dann schrieb eine Freundin von ihr einen Post über die Gruppe auf FetLife, einem sozialen Netzwerk für die BDSM und Kinky-Community. Inzwischen sind 45 Menschen auf dem E-Mail-Verteiler. „Viele Leute aus unserer Gruppe sind deshalb auch in der Kinky-Szene unterwegs“, erklärt Noa. „Für die ist es ganz normal, vorher Absprachen zu treffen. Und sie bringen ihr eigenes Repertoire mit: Kratzen, Beißen, Schlagen…“
„Auch Kratzen, Beißen? Mit der Zunge über’s Gesicht schlecken…?“
Heute Abend sind wir zu sechst. Manchmal kommen bis zu dreizehn, sagt Noa. Einiges läuft in dieser Gruppe anders, als bei anderen Rauf-Treffen: Zu Beginn sitzen wir alle im Kreis, jede Person erzählt kurz, wie sie heißt, welches Pronomen sie für sich verwendet und wie es ihr gerade geht. Noa (Pronomen: sie) hat in einer Woche Lehramts-Examen und möchte „aus ihrem Kopf raus“, will es aber heute trotzdem lieber etwas langsam angehen lassen.
Nachdem ich bei ein paar Kämpfen zugesehen habe, traue ich mich endlich in die Mitte der Matte. Ich fordere Sasha mit den Augen auf. Sasha (kein Pronomen) atmet noch schwer vom letzten Kampf. Die orangeroten, zum Dutt gebundenen Locken kontrastieren farblich mit der lila Hotpants aus Samt; über die Oberschenkel breiten sich Tattoos aus, die an den Knien hinter schwarzen Schonern verschwinden, wie man sie vom Rollschuhfahren kennt.
Wir knien uns gegenüber. Alle anderen schauen gespannt zu, bereit, uns beim Kampf von Kanten und Heizungsrohren am Rand abzuschirmen. „Gibt es etwas, was du nicht möchtest?“, fragt Sasha.
„Ich mag es nicht, am Po angefasst zu werden“, sage ich. „Und meine Brüste sind heute empfindlich“.
„Ansonsten ist alles ok für dich?“, hakt Sascha nach. „Auch Kratzen, Beißen? Mit der Zunge über’s Gesicht schlecken…?“
„Äh – Ich denke schon. Wenn nicht, sage ich Stopp“.
„Du kannst auch zwei mal mit der Hand auf die Matte hauen, dann ist der Kampf sofort vorbeit“, erklärt mir Noa vom Rand aus.
Eine super Übung, auch beim Sex offener zu kommunizieren
Sasha will nicht an den Füßen gekitzelt werden. „In’s Gesicht schlagen nur, wenn du weißt, was du tust“, sagt Sasha. Dann gehe ich planlos aber knurrend zum Angriff über, Sasha hält meine Hände fest, ich winde mich los, wehre mich fuchtelnd, kurz darauf rollen wir ineinander verhakt über den Boden, ich ächtze, dann bin ich über Sasha und schaffe es, Sashas Handgelenke auf die Matte zu drücken. Sasha klemmt mich fest mit den Beinen ein: Patt. Wieder rollen wir, Sasha beißt mich fest in den Oberschenkel – aua, verdammt! – dann bietet sich mir die perfekte Gelegenheit, Sasha auf den Po zu hauen. Ich haue zaghaft. Bei mir selbst darf Sasha das schließlich nicht.
„Ich darf das, oder?“, vergewissere ich mich.
„Ja. Süß, wie du zögerst“, amüsiert sich Sasha.
Als ich spät Abends wieder auf der Straße stehe, bin ich ausgepowert und glücklich. Ich bin beeindruckt, wie gut man beim Playfight lernt, auf sich selbst und auf andere zu achten – und dass es gerade deshalb so viel Spaß macht. Eigentlich eine super Übung, auch beim Sex offener zu kommunizieren, denke ich.
„Für mich geht es beim Playfight viel darum, meine eigenen Grenzen kennen- und artikulieren zu lernen“, sagt Noa, bevor wir uns verabschieden. „Und das in einem geschützten Rahmen. Eigentlich mag ich Schlagen zum Beispiel gar nicht, aber hier habe ich mich sicher genug gefühlt, das einmal mit Sasha auszuprobieren“. Andere, sagt sie, kommen auch einfach weil sie Lust haben, sich auszutoben. „Es kann aber auch eine sehr erotische Komponente haben“.
Zuhause unter der Dusche entdecke ich die Abdrücke von Sashas Zähnen auf meinem Oberschenkel, die sich in den nächsten Tagen zu einem handtellergroßen blauen Fleck verfärben werden. Als er zwei Wochen später langsam verblasst, habe ich schon wieder Lust auf Raufen.