Polizei in Essen: Machtmissbrauch mit Ansage
Bei der Polizei geht „ein bisschen die Angst um“. Nein, das ist keine Satire. Einen Tag nach dem die Nazi-Chatgruppen im Essener Polizeipräsidium aufgeflogen sind, erklärte ein Polizist in der „WAZ“: „Ich kenne zwei der Kollegen, die suspendiert wurden, aber selber keine Nachrichten verschickt haben. Die beiden sind ganz weit weg davon, Rassisten zu sein“. So weit weg, dass ihnen die Bilder von Hakenkreuzen, von Geflüchteten in Gaskammern und der Erschießung von Schwarzen entweder egal waren oder sie belustigt haben.
Er kenne solche Chatgruppen, sagt der Beamte, denn: Er war selbst mal in einer. Dort würden sie „auch mal einen derberen Witz teilen oder ein Foto mit einer rechten, aber nicht verbotenen Meinung“ posten, wie es in der „WAZ“ heißt. Der Beamte will die Gruppe aber irgendwann verlassen haben. Ob er sie auch der Extremismus-Beauftragten Sylvia Richter, der Ehefrau des Polizeipräsidenten Frank Richter, gemeldet hat? Was genau in der Gruppe gepostet wurde? Ob er den „rechten Meinungen“ widersprochen hat? Steht leider nicht im Artikel.
Es ist nur ein weiterer Hinweise auf rechte Chatgruppen in der Essener Polizei. Doch eigentlich braucht es die Hinweise gar nicht mehr. Es gab mehr als genug in den vergangenen Jahren. Wenn es den politischen Willen geben würde, Rassismus und extrem rechte Ideologien bei der Essener Polizei aufzudecken, hätten sie das tun können. Erst im Juni entbrannte im Zuge des rassistischen Polizeimordes an George Floyd in den USA eine Debatte um Rassismus bei der Essener Polizei. Das Ergebnis? Eine Resolution im Stadtrat, die sich hinter die Polizei stellte. Opfer rassistischer Polizeigewalt wurden vom Polizeipräsidenten zu Tätern erklärt: „Betroffene polizeilicher Maßnahmen wollen hier sehr häufig durch den Missbrauch des Vorwurfs von Polizeigewalt und Rassismus vom eigenen Fehlverhalten ablenken“, sagte er.
Immer die gleichen Narrative
Im Februar, März und April dieses Jahres sind Betroffene rassistischer Polizeigewalt an die Öffentlichkeit gegangen. Ein Mann, der von der Polizei Essen in Gewahrsam genommen wurde, gab an misshandelt und rassistisch beleidigt worden zu sein. Im März wird eine fünfköpfige schwarze Familie auf einer Wache in Essen verprügelt und gedemütigt. Eigentlich wollte die Mutter der Familie lediglich den Diebstahl ihres Portemonnaies anzeigen. „Haben sie gestohlen oder wurden sie bestohlen?“ sollen die Beamten sie gefragt haben. Später knieten sie auf ihr: „Ich kann nicht atmen“, rief sie den Beamten zu.
Im Juni 2019 wird der psychisch erkrankte Adel B. von der Polizei erschossen und die Narrative von Polizei und Staatsanwaltschaft decken sich mit einem anderen Fall aus Essen: Mikael Haile. Er wurde im April 2017 ebenfalls von der Polizei in seiner Wohnung erschossen. Dabei war die Polizei lediglich wegen eine Ruhestörung zu der Wohnung des schwarzen, nach Deutschland geflüchteten Eritreers gekommen. Am Ende heißt es, Haile sei mit einem Messer auf die Beamten zugestürmt. Der Schuss ins Herz, der Haile das Leben kostete, soll Notwehr gewesen sein.
Es ist das selbe Narrativ knapp zwei Jahre später. Adel B. will sich das Leben nehmen, steht mit einem Messer auf der Straße. Zwei Beamte richten die Waffen auf ihn. Als er nach Hause will, folgt ihm die Polizei bis zu seiner Haustür. Er geht hinein, die Beamten folgen ihm und erschießen ihn durch die fast geschlossene Tür. Er schreit noch ein paar Mal auf, dann verstummt er und stirbt. Danach heißt es: Adel B. sei mit einem Messer auf die Beamten zu gestürmt. Anwohner*innen allerdings haben etwas anderes beobachtet und das auch gefilmt: Es sind die Polizist:innen, die Adel B. hinterher rennen. Am Ende stellt die Staatsanwaltschaft den Fall trotzdem wegen Notwehr ein, weil er die Beamten durch einen offenen Türschlitz mit dem Messer angegriffen haben soll.
Rassifizierung durch die Politik des NRW-Innenminister
Ende April 2020 ebenfalls in Essen wird die Familie von Omar Ayoub Opfer von rassistischer Polizeigewalt. Er will mit seiner Familie das Fastenbrechen feiern, als die Polizei wegen einer Ruhestörung bei ihm klingelt. Als er sie nicht rein lassen will, verschaffen sie sich mit Gewalt Zutritt zum Haus. Am Ende hat Ayoub den Arm gebrochen, Hämatome am Rücken und wird als „Dreckslibanese“ bezeichnet. Als er zur Wache gebracht wird, sprechen die Polizisten unter sich und fragen: „Was ist das für ein Clan? Ja, Ayoub-Clan.“
Es ist die Folge einer Rassifizierung, die NRW-Innenminister Herbert Reul wissentlich in Kauf nimmt – und das öffentlich auch so sagt: „Ich bin mir bewusst, dass die Gefahr besteht, ausländerfeindliche Ressentiments zu bedienen und ganze Familien in Sippenhaft zu nehmen. Das stimmt, das ist das Problem. Aber die Chancen sind größer als die Risiken.“ Familie Ayoub hat mit angeblichen „Clans“ nichts zu tun. Doch die Sprache prägt das Denken. Die Law-and-Order-Politik von Herbert Reul hat rechten und rassistischen Ideologien in der Polizei zusätzliches Selbstbewusstsein gegeben. Beamte können ohne eine Konsequenz, Menschen in bestimmten Stadtteilen nach äußerlichen Merkmalen kontrollieren – und das auch ganz offen so sagen.
Rechte Parolen: Man muss nur hinhören wollen
In der „WAZ“ zeigte im Juni ein Polizeibeamter seine rassistischen Denkmuster: „Sieben von zehn Personen“, denen er in bestimmten Stadtteilen begegne, seien Migranten, meint er. Es gibt eine Möglichkeit, das als Polizist festzustellen: Er führt „verdachtsunabhängige Kontrollen“ gegen die sieben angeblichen Migrant*innen durch. Vorher schließt er vom Aussehen auf eine angebliche Herkunft der Person. Das ist Racial Profiling. Machtmissbrauch mit Ansage.
Der Beamte bestätigt in aller Selbstsicherheit, was dutzende Menschen seit Jahren über die Essener und Mülheimer Polizei berichten: Einzelne Kollegen würden „intern ordentlich Dampf ablassen und Sprüche klopfen“. Ein Jahr zuvor bekamen etwa zwei Mitarbeiter*innen des Jugerdzentrums AZ Mülheims bei einem rechtswidrigen Polizeieinsatz zu spüren, was es bedeutet, wenn Polizisten „Sprüche klopfen“. „Die Perle packen wir auch noch ein“, sagte eine Beamter zu einer AZ-Mitarbeiterin, die wegen Widerstands vor Gericht stand, aber freigesprochen wurde. Dem anderen Mitarbeiter habe man, nach dem er „in seinem Blut lag“, im Polizeiwagen vorgeschlagen, die Bands Böhse Onkelz und Frei.Wild, die auch Anklang in der rechten Szene finden, anzuhören.
Die Polizei hofierte über Jahre die extrem rechte Gruppe „Steeler Jungs“. Über ein Jahr ließ die Polizei die Rechten ohne Anmeldung durch Steele, einem Essener Stadtteil, „spazieren“. Es häuften sich Angriffe, auch auf bekannte Antifaschist*innen. Im Februar 2019 ließ sich ein Polizist mit den Steeler Jungs auf einem Foto ablichten. Der Beamte wurde nur in einen anderen Stadtteil versetzt. Anfang 2020 verbietet die Polizei per Auflage gar das Fotografieren der Nazis, weil die radikal linke Gruppe Antifa Essen West eine Informationsbroschüre zu den Strukturen der „Steeler Jungs“ veröffentlichte.
Rassistische Beamte ermitteln gegen rassistische Beamte
In von der Polizei besonders stark kontrollierten und als „Problemviertel“ markierten Stadtteilen stellten die Forscher*innen Jan Wehrheim, Lena Wiese und Moritz Rinn fest, dass Racial Profiling dort an der Tagesordnung ist. Sie führten dazu Interviews mit Polizeibeamten, aber auch zahlreichen Anwohner*innen, die die Annahme der Wissenschaftler*innen bestätigten. Und gerade im Licht der angeblichen „Clan“-Kriminalität zeigte sich, wie vor allem Shisha-Bars öffentlich als Orte von Kriminalität gebrandmarkt werden. Oft fand die Polizei nicht mehr als unverzollten Tabak. Ob man den nicht auch in jeder x-beliebigen Bude im Ruhrgebiet unter der Theke findet?
Dem Ganzen setzen aber die Ermittlungen die Krone auf, die jeweils in den Fällen von rassistischer Polizeigewalt auch gegen Polizeibeamte geführt werden. Aus „Neutralitätsgründen“, wie es im Polizeisprech heißt, werden die Ermittlungen gegen die Essener Polizei regelmäßig in Bochum geführt. Kollegen ermitteln gegen Kollegen, und auch die Bochumer Polizei ist in den vergangenen Jahrenerst vor wenigen Tagen wieder durch rassistische Polizeigewalt aufgefallen. Eine Woche bevor die Chatgruppe im Polizeipräsidium Essen öffentlich präsentiert wurde, erhob ein 16-Jähriger Schüler Vorwürfe von rassistischer Polizeigewalt gegen die Bochumer Behörden.
Der Pressesprecher der Polizei erklärte: „An dem Einsatz waren zwei ganz erfahrene Polizeibeamte beteiligt, die sich in jeder Form korrekt verhalten haben.“ Beamte hätten sowohl ihren Dienstausweis als auch Polizeiweste und ihre Waffen gezeigt? Waffen zeigen? Einem 16-Jährigen Schüler? Als der Junge weitergehen wollte, weil er Angst hatte und die Beamten sich nach seiner Aussage nicht ausgewiesen hätten, brachten die Beamten ihn zu Boden. Die Polizisten hielten ihn offenbar für einen Drogendealer, ein gängiges Stereotyp gegen rassifizierte Menschen, das von der Polizei stets verwendet wird, um Racial Profiling zu rechtfertigen.
Was wir brauchen? Mehr Autoritätsverluste
Im Juni 2016 musste die selbst organisierte Geflüchtete-Initiative Refugee Strike Bochum eine Demo absagen, weil sie aufgrund des Verhaltens der Polizei nicht mehr für die Sicherheit der Menschen garantieren konnten. „An unserem offiziell angemeldeten Versammlungsort mussten wir mit ansehen, wie die Polizei zwei Menschen in die Ecke drängte, sie durchsuchte und in Gewahrsam nahm. Wir waren schockiert über Berichte, dass ein älterer Mann von der Polizei angegriffen wurde“, erklärte die Initiative damals. Und die Polizei? War sich wieder mal keiner Schuld bewusst und unterstellte „eine nicht unerhebliche Anzahl aggressiver, gewaltbereiter Personen“ bei der Demonstration. Es sind die gleichen Polizist*innen, die nun in den Fällen von rassistischer Polizeigewalt gegen ihre Kolleg:innen aus Essen ermitteln, die aber selbst behaupten, sich nicht rassistisch zu verhalten.
Es hat dutzende Hinweise gegeben, denen die Essener Polizei hätte nachgehen können. Rassistische Beleidigungen, Racial Profiling, unverhältnismäßige Polizeigewalt, erschossene Menschen. Es fehlt der Wille, dem nachzugehen, gerade dann wenn die Polizei zum Täter wird. Am Ende erklärt sie sich wie Essens Polizeipräsident Frank Richter selbst zum Opfer: „Einige, die sich schändlich verhalten haben – das wird eine Auswirkung haben auf meine Beamten, die jeden Tag anständig rund um die Uhr ihren Dienst versehen. Da wird ein Autoritätsverlust vorhanden sein, und das haben die einfach nicht verdient.“ Was wir brauchen, sind also mehr Autoritätsverluste, denn nur da ist die Polizei anscheinend verwundbar.