Seit ein paar Jahren hat sich ein festes Utensil in der Landschaft bundesdeutscher Großstädte etabliert – die braune Papiertüte mit sieben hellblauen Buchstaben. Primark. Überall sind die zum Teil riesigen Tüten zu sehen. Die Kritik ist vielfältig und allzu gern muss das Modeunternehmen als Symbol für alles, was falsch läuft, herhalten: Wegwerfgesellschaft, unökologisch, Kinderarbeit und so weiter und so fort. Vor ein paar Jahren machte ein Skandal weltweit Schlagzeilen. Ausgebeutete Näher*innen, hieß es, hatten Hilferufe in die Kleidung von Primark genäht. Schnell stellte sich die Story als Fake heraus.
Ich wurde neugierig. Was macht den Erfolg aus? Ist Primark wirklich schlimmer als der Rest der Unternehmen? Irgendwie war ich skeptisch – im Kapitalismus gibt es keine guten. Es gibt nur Konkurrenten.
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Als Linke zu Primark?
Ich ging also ohne jegliche Erwartungen in die Filiale am Alexanderplatz, Berlin. 3 Stockwerke. Hunderte von Menschen. Jung und alt, Schwarz und weiß, groß, klein, Einzelgänger und Großfamilie – so viel Diversität hatte ich in einem Kleidungsgeschäft noch nie erlebt. Selbst ein paar eindeutig als Fashionistas identifizierbare Frauen mit ihren Designerhandtaschen trieben sich durch die vollgestopften Gänge. Ich begann mich durch die Produkte zu wühlen. Schnell merkte ich, dass die Qualität tatsächlich zweifelhaft war – die Stoffe dünn, die Nähte sehr einfach. Aber die Farben! Die Schnitte! Die Preise! Seitdem finde ich regelmäßig Kleidungsstücke in den Ramschhallen, die super sitzen, die bezahlbar sind und, erstaunlicherweise, recht lange halten. Interessant ist, dass ich auf die Kleidung von Primark am meisten angesprochen werde. Meistens mit einem hinterher geschobenen Satz: „Als Linke gehst zu Primark? Das hätte ich nicht gedacht!“
Dabei frage ich mich immer: Wo kaufen die Leute ein, die so etwas sagen? Nähen sie ihre Klamotten selbst? Oder haben sie so viel Geld sich Kleidung zu kaufen, die in Deutschland von gut bezahlten Näher*innen gefertigt wird? Schließlich kostet eine simple Bluse, die unter fairen Bedingungen gefertigt wird mindestens 80 Euro. Eine Jeans mindestens 100 Euro. Für Menschen, die von Hartz-4 leben ein unmöglicher Preis. Derzeit sind im Hartz-4-Satz monatlich 36,45 € für Kleidung und Schuhe vorgesehen. Dafür bekomme ich keine fair produzierte Bluse, aber eine Jeans, ein T-Shirt, einen Pullover und ein Paar Schuhe bei Primark, die zusätzlich noch modischer aussehen als die fair produzierte Bluse.
Nur einer von vielen Ausbeutern im kapitalistischen System
Bei genauem Hinsehen ist das Geschäftsmodell von Primark schlicht besser an die heutigen Bedingungen angepasst als das der Konkurrenten. Sie werfen kein Geld für Werbung mit teuren Models raus, setzen auf Mundpropaganda, produzieren bis Größe 48, gehen kluge Kooperationen ein, treffen den Zeitgeist und bieten von Kleidung bis Weihnachtsdekoration alles an, was das Herz begehrt.
Am Ende des Tages ist die Wahrheit auch, dass die Hallen von Primark in Bangladesch neben denen von anderen Modeunternehmen und selbst denen von Haute Couture Konzernen stehen, deren Kleider für tausende von Euro über den Ladentisch gehen. Mittlerweile hat die Unternehmensleitung „greenwashing“ für sich entdeckt und klebt wirklich jedes „nachhaltig“-Label neben das Firmenlogo, dass auf dem Markt zu finden ist. Das macht sich im Konkurrenzkampf äußerst gut. Primark ist und bleibt eben auch nur einer von vielen Ausbeutern im kapitalistischen System.
Schicke Kleidung sollen sich Arme nicht leisten können
Deswegen ärgert mich die Verachtung oftmals, die immer mit einem bildungsbürgerlichen Abgrenzungsbedürfnis einhergeht. Dabei werden an arme Menschen gerne andere Maßstäbe angelegt – schicke Kleidung sollen sich Arme nicht leisten können. Hinzu kommt, dass Primark und die modische Aktualität der Kleidung dazu beiträgt, äußerliche Klassenunterschiede einzuebnen. Dank Primark ist Armut nicht sofort sichtbar – das passt vielen nicht.
Wenn wir als Linke also zum einen über die Nachhaltigkeit von Mode reden und die Regulierung von Konzernen, dann ist das eine Sache. Den Menschen, die sowieso am unteren Ende der gesellschaftlichen Futterkette stehen, jedoch herablassend zu begegnen, weil sie ihre wenigen Euros lieber in schöne Kleidung investieren, als monatelang auf eine fair produzierte Bluse zu sparen, wäre ein kapitaler Fehler. Abgesehen davon ist es ja seit Neustem überall schwer in Mode die „Arbeiterklasse“ zu suchen. Sagen wir es mal so: Die findet sich eher bei Primark als im Biosupermarkt.
Die vielen Arten der Armenverachtung
Es gibt viele Arten der Armenverachtung. Witze über RTL II und Marzahn, über Fatima und Kevin, über Fast-Food und Tattoos an der falschen Stelle, über zu wenig oder zu viel Make-up, über „Proleten“ und Menschen, die jeden Tag die Drecksarbeit in dieser Gesellschaft machen, sind seit Jahren als Abgrenzung nach unten bekannt. Die Verachtung gegenüber Primark ist jedoch neu dazugekommen.