Wenn mir Leute erzählen, sie sehen sich als „Weltbürger*in“ oder „nur Mensch“, weiß ich nicht, ob ich lachen oder kotzen soll. Das manche den Luxus haben, dermaßen ignorant zu sein, während andere um ihr Leben fürchten, beweist ironischerweise das Gegenteil ihrer Behauptungen: niemand ist „nur Mensch“.
Ich verstehe natürlich, dass manche gutherzige Menschen sowas aus Naivität sagen und sich nix böses dabei denken. Der Satz: „Rassismus ist grausam, wir sind doch alle nur Menschen und sollten die gleichen Rechte haben“ ist überhaupt nicht schlimm, denn er erkennt das Problem an und nutzt „nur Menschen“ als Soli-Begründung, statt als Rassismusleugnung.
Das Problem fängt erst an, wenn „Nurmenschen“ versuchen, Sexismus, Rassismus und andere Unterdrückungssysteme mit einer inexistenten Friede-Freude-Schokokuchen-Realität zu verstecken – und sich dabei noch grinsend als tolerant inszenieren.
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Beweisstück Nummer 1: Als William Tonou Mbobda starb, sprachen Mitarbeiter des UKE sowie Zeug*innen von rassistischen Ressentiments des mutmaßlich verantwortlichen UKE-Sicherheitsdienstes. „Wenn es kein Schwarzer gewesen wäre, wären sie nicht so hart rangegangen“, sagte ein Mitarbeiter des UKE der taz. Alle Zeichen deuteten darauf hin, dass der BWL-Student wegen Rassismus starb.
Dann tweetete das einzige Schwarze Mitglied des Bundestages, Karamba Diaby, eine Trauerbekundung. Sie enthielt den Satz: „Er war ein Schwarzer Mensch, wie ich.“
Im Konzentrationslager realisierte ich, dass ich Bosniakin und Muslima bin
Fast alle Kommentare unter dem Tweet kann man so zusammenfassen: „Warum schreiben Sie ‚Schwarzer‘? Er war einfach nur ein Mensch, wie ich auch.“ Ich wollte diesen Ignorassisten durch den Bildschirm ins Hirn schreien: „Wenn Mbobda ein ‚Mensch wie du‘ wäre, wäre er nicht tot.“ Die nächste Welle von Mentalexkrementen kann man so zusammenfassen: „Sie sind Schuld an Rassismus, weil sie Menschen in Schwarz und Weiß einteilen“.
Gefolgt wurde es von Kommentaren mit AfD-Werbehetzerei. Das waren keine naiven Leute, es ging um eine gezielte Strategie, Rassismus unsichtbar und undiskutierbar zu machen.
Beweisstück Nummer 2: Während des Gerichtsprozesses gegen einen serbischen Kriegsverbrecher wurde eine Genozid-Überlebende gefragt, welche Ethnizität sie hätte. „Ich dachte, ich wäre eine Bürgerin der Welt, der freien Welt“, sagte sie. „Aber als ich im Konzentrationslager Omarska ankam, realisierte ich, dass ich Bosniakin und Muslima bin.“
Man kann Weltbürger*in und „nur Mensch“ sein, bis man von der grausamen Realität eingeholt wird. Manche haben den Luxus, eben nicht aufgrund ihrer bloßen Identität diskriminiert, vertrieben, ermordet zu werden. Schön für sie. Aber dann sollten sie mal reflektieren.
Manche sind Weltbürger*innen, andere Dritteweltbürger*innen
Nachdem sie mich zum Bosnienkrieg in den Neunzigern ausfragte, sagte mir eine Deutsche: „Schade, dass du dich als Bosnierin siehst. Ich sehe mich einfach als Mensch“. Wow Alte, voll tolerant und weltoffen. Willst du jetzt nen Keks? Ich sehe mich nicht als Bosnierin, ich bin es. Ob ich will oder nicht.
Ihr Satz fühlte sich an wie ein Schlag ins Gesicht. Erst verlangte sie, dass ich alte Wunden aufreiße, um ihr den Krieg zu erklären. Nachdem ich Herz, Nerven und Energie in die Erklärungen investierte, bewies sie, dass ihr all das egal war indem sie mit ihrem arroganten Nurmenschsein auf unser Leid schiss. Was ich dabei hörte: „Leugne dich selbst, deine Erfahrungen, deine Identität. Werde zur Norm. Und die Norm bin ich – wie immer.“
Ich bringe es mal aufn Punkt: „Ich bin Weltbürger*in“ ist ein Luxusdenken, das niemandem zukommt, der*die bei jedem neu entdeckten Massengrab hofft, endlich die Knochen der ermordeten Familie zu finden. Manche sind Weltbürger*innen, andere Dritteweltbürger*innen.
Nurmenschen tun so, als würden Marginalisierte das Problem erst erschaffen
Menschen, die Ungerechtigkeit und Diskriminierung benennen, werden als „Spalter*innen“ beleidigt. Nurmenschen tun so, als würden Marginalisierte und ihre Mitstreiter*innen das Problem erst erschaffen, weil sie ja auf Unterschiede hinweisen. Die gleiche Logik versteckt sich hinter vermeintlicher „Colorblindness“.
Aus diesem Kumbaya-Rassismus entstehen dann rassistische Ablenkungsmaneuver wie „All lives matter“ gegen „Black lives matter“. Rassismus, Sexismus und andere Unterdrückungssysteme funktionieren unter anderem, weil sie für Unbetroffene weitgehend unsichtbar sind.
Nurmenschen sind Leute, die solche Systeme stärken, indem sie diese Unsichtbarkeit erhalten und den Kampf für Gerechtigkeit sabotieren, in dem sie Ungerechtigkeit leugnen – egal ob unbewusst und ignorant oder bewusst und strategisch.
People of Color müssen Rassismus verstehen, um zu überleben – Weiße nicht
Unterdrückungssysteme stellen Perspektiven, Werte und Erfahrungen der dominanten Gruppe in den Mittelpunkt und machen sie zur Norm, so das sich alle „anderen“ daran orientieren, messen und anpassen müssen. Viele Weiße betrachten sich deshalb auch nicht als Weiße, sondern als Menschen – weil dies für sie das gleiche ist. Weil sie sich dieses Aspektes ihrer Identität nicht mal bewusst sind. Sie müssen nie an ihr Weißsein denken, werden nie damit konfrontiert. People of Color müssen Weißsein und Rassismus verstehen, um zu überleben. Weiße haben das nicht nötig. Rassismus kann ihnen egal sein, und oft ist er das auch. Das gleiche gilt für Sexismus und andere Unterdrückungssysteme.
Über 20 Prozent der Menschen in Deutschland haben einen Migrationshintergrund. Trotzdem sind mindestens 96 Prozent der Journalist*innen ohne Migrationshintergrund. Ich rede oft mit Redakteur*innen über Gerechtigkeit und Repräsentation im Journalismus (die meisten nennen es dann „Vielfalt“). Wenn ich anspreche, dass ihre Redaktion fast ausschließlich aus Menschen mit der gleichen Copy/Paste-Herkunft besteht, und dass es ihnen gut tun würde, mal von Menschen zu lernen, die in Armut aufgewachsen sind, einen Migrationshintergrund oder eine Behinderung haben, wird oft gesagt: „Aber ich will Menschen nicht in Kategorien stecken.“ Dass weißdeutsche Akademikerkinder auch Teil einer „Kategorie“ sind, fällt solchen Redakterur*innen offenbar nicht auf. Dass sie die Jobs fast immer an andere weißdeutsche Akademikerkinder vergeben, auch nicht.
Auch weißdeutsche Akademikerkinder sind Teil einer „Kategorie“
Es gibt natürlich überhaupt nix schlimmes daran, weißdeutsches Akademikerkind zu sein. Da wir aber alle von Herkunft und anderen Identitätsfaktoren geprägt werden, gibt es Dinge, die weißdeutsche Akademikerkinder sogar beim besten Willen nicht verstehen. Genauso wie ich manche Dinge aus ihrer Lebensrealität niemals verstehen werde (zum Beispiel, wie man 100 Euro für diese hässlichen skandinavischen Rucksäcke ausgeben kann). Deshalb sollten wir mal alle offen sein, voneinander lernen und Unterschiede nicht unter den Teppich kehren.
Was mich am meisten dabei nervt ist, dass sich Nurmenschen trotz solchem Kotzmagnetismus allen Ernstes gut fühlen. Dass sie implizit diejenigen schlechtreden, die versuchen, auf Ungerechtigkeit hinzuweisen – denn die sprechen ja Unterschiede an, statt sich in selbstgerechter Wohlfühlignoranz rumzuwälzen. Und dass sie denken, sie hätten was originelles oder intelligentes beigetragen, wenn sie Antidiskriminierungsdiskussionen mit ihrer Realitätsferne sabotieren. Peak Privilege. Es ist ihr Zuhause, und wir „anderen“ haben nur in den Schubladen Platz.