So wie meine Therapie gelaufen ist, dürfte es nicht passieren. Meine politischen Werte wurden belächelt und ich musste mir ausgrenzende Sprüche anhören. Im Mai diesen Jahres begann ich eine Behandlung, da ich an einer Depression erkrankt bin. Wegen der Corona-Beschränkungen und der allgemein hohen Nachfrage nach psychologischer Behandlung hatte ich fünf Monate auf einen Therapieplatz warten müssen. Weil es mir nicht gut ging, freute ich mich, endlich beginnen zu können. Die ersten Sitzungen verliefen gut, ich fühlte mich verstanden. Rassismus-Erfahrungen waren für mich kein Grund für die Therapie, das waren andere. Aber dann sprach ich zufällig in einer Sitzung über Rassismus.
Meine Therapeutin machte in diesem zuerst allgemeinen Gespräch auf einmal diskriminierende und falsche Aussagen, etwa dass Rassismus gegen weiße Menschen auch ein großes Problem sei. Sie zeigte großes Unverständnis und sprach von Diskriminierung betroffenen Menschen den Schmerz ab. Ich konnte nicht glauben, wie sie so eine gefährliche Wahrnehmung offen äußern kann und argumentierte die ganze Zeit gegen ihre Aussagen.
Je aufgebrachter ich wurde, desto ruhiger und sicherer wurde meine Therapeutin. Mir wurde meine politische Ansicht, dass Rassismus ein strukturelles Problem ist, also in Institutionen und Organisationen verankert ist, abgesprochen. Die Diskussion zog sich durch die ganze Sitzung. Die Psychologin äußerte sich weiterhin rassistisch und ging nicht darauf ein, was ich sagte. Sie beendete die Sitzung lächelnd mit dem Satz: “Sie sind ja auch ganz schön in dieser Black-Lives-Matter-Bewegung drin“.
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Nach dieser Sitzung fühlte ich mich hilflos und überlegte, die Therapie abzubrechen. Ich kontaktierte eine Anti-Diskriminierungsstelle (zum Beispiel gibt es den Bund für Antidiskriminierungs- und Bildungsarbeit) und bekam dort gute Ratschläge. Das bestärkte mich in meinem Entschluss, die Therapie zu beenden. Im letzten Gespräch hatte meine Therapeutin mir noch eine Vermutung ihrer Kollegin mitgeteilt: Diese mutmaßte, dass ich aufgrund meiner Biografie so verletzbar sei, dass mich sogar ihre Meinung zu Rassismus triggern würde. Die Psychologin konnte mir so etwas frei sagen, denn ihre Meinung hatte keinerlei Konsequenz – und ich keinen Therapieplatz mehr. Doch meine Gedanken waren eher darauf fokussiert, wie es anderen Personen in Deutschland in solchen Situationen geht und was man gegen dieses übersehene große Problem tun kann.
Bisher wurde zu rassistischer Diskriminierung und ihren Folgen für die psychische Gesundheit im deutschsprachigen Raum kaum geforscht. Die Psychotherapeutin Leonore Lerche ist eine der wenigen die sich damit beschäftigt hat. Sie schreibt, dass rassistische Diskriminierung oft nicht als Trauma wahrgenommen und benannt werde.
Um mehr zu erfahren über Rassismus in der Psychotherapie unterhielt ich mich mit der Psychologin und Autorin Dileta Sequeira. Sie schrieb 2015 ihr Buch “Gefangen in der Gesellschaft – Alltagsrassismus in Deutschland“. In unserem Gespräch sagt Sequeira, dass viele Klient*innen in der Therapie nicht ernst genommen würden, wenn sie über ihre Rassismuserfahrungen sprechen. Die Erlebnisse würden verharmlost, weil der oder die Therapeut*in nicht begreife, was Rassismus wirklich sei. Dabei müsse man ihn nicht als Randphänomen verstehen, sondern als Problem in der Mitte der Gesellschaft. Als Therapeut*in müsse man wissen, dass Rassismus überall vorhanden ist: in den Strukturen, in den Beziehungen und alltäglichen Begegnungen.
„Wenn wir über Rassismus reden, wird erwartet, dass wir immer sehr höflich und leise sprechen.“
Auf meine Frage, was es mit Klient*innen mache, wenn Psychotherapeut*innen rassistische Aussagen von sich geben, antwortet Sequeira: „Es kann für ein*e Klient*in schwierig sein, wenn signalisiert wird, dass es nicht in Ordnung ist, über Rassismus zu reden. Und wenn wir darüber reden, wird erwartet, dass wir immer sehr höflich und ganz leise sprechen. Wenn wir unsere Gefühle zeigen, riskieren wir, als aggressiv abgestempelt zu werden.“ Das heiße, dass in einer Psychotherapie ohne rassismuskritischen Ansatz erwartet wird, Gefühle zu unterdrücken, fügt die Psychologin hinzu. „Das ist sehr schwierig, weil Personen, die lernen bei Gewalterfahrungen ihre Gefühle zu unterdrücken, gut darin werden, Gewalt auszuhalten.“
Bei jeder anderen Gewaltform, erklärt Dileta Sequeira, würde sie dafür sorgen, dass die betroffene Person vor dem*der Täter*in geschützt wird. Der*die Täter*in müsse das Umfeld verlassen und die betroffene Person müsste an einen sicheren Ort gebracht werden. Bei Personen, die von Rassismus betroffen sind, seien die Gewalt Ausübenden in der Mitte der Gesellschaft, und diese könnten wir nun mal nicht verlassen. Deshalb schlägt Sequeira vor, betroffenen Klient*innen rassismuskritische und empowernde Methoden beizubringen, um mit Ausgrenzung strukturell, zwischenmenschlich, aber auch innerhalb der eigenen Psyche umzugehen.
Dileta Sequeira betont auch, dass es nicht reiche, selbst betroffen zu sein. Auch BIPoC*-Therapeut*innen seien nicht automatisch rassismuskritische Expert*innen, solange sie Rassismus nicht in seiner Gesamtheit verstünden. Dabei gibt es noch ein anderes Problem. Rassismus wird kaum im Psychologiestudium und in der Psychotherapieausbildung thematisiert, kritisiert Sequeira. Zudem existierten zu wenige Meldestellen und freie Vereine, die Hilfe anbieten.
Aber wie kann das besser werden? Welche Möglichkeiten haben Therapeut*innen, mit Rassismus umzugehen und ihn zu verstehen, wenn sie nicht darauf geschult sind? Die Professorin für interkulturelle Psychiatrie und Psychotherapie Meryam Schouler-Ocak und die Ärztin Marion C. Aichberger forderten deshalb in einem gemeinsamen Artikel mehr interkulturelle Kompetenz von Therapeut*innen. Diese bestehe aus interkultureller Sensibilität, Empathie sowie Kulturwissen und könne erlernt werden.
Nach meinem Erlebnis in der Therapie und der Beschäftigung mit dem Thema ist mir noch stärker bewusst geworden, wie tief das Problem in unseren Strukturen verankert ist und wie viele Menschen dazulernen müssen. Deswegen sind Empowerment und ein intersektionales** Denken echt wichtig.
Wenn Personen keine rassismuskritische Psychotherapie finden können, ist es wichtig, dass sie solidarische Räume und gute Empowermentangebote für sich schaffen. Bis dann ein*e Therapeut*in einen Platz hat. Und weiterhin muss immer mehr auf das Thema aufmerksam gemacht werden. Die Dramatikerin Sasha Marianna Salzmann schreibt in dem Essayband “Eure Heimat ist unser Albtraum“: „Wir müssen uns nicht in allem einig sein, wir müssen uns nicht einmal mögen. Aber wir wissen um die Kraft der Allianzen. Wenn wir in Gefahr sind, werden wir uns aufeinander verlassen können.“
*Black, Indigenous and People of Color
**Intersektionalität ist die Überschneidung mehrerer Diskriminierungsformen, etwa Rassismus und Sexismus.