Es ist schwer zu beschreiben, mit was für einem Gefühl ich mich in der letzten Woche am Donnerstagabend vor meinen Laptop setzte, um die erste Folge von „Queen of Drags“ zu schauen. Irgendwo zwischen Skepsis und Neugierde vielleicht. Als die Folge zu Ende war, war ich enttäuscht. Und immer noch wütend.
Die Reaktionen auf die Ankündigung von „Queen of Drags“ im Sommer 2019 hätten sicherlich positiver ausfallen können. Bevor die Sendung überhaupt startete, forderte eine Online-Petition den Rücktritt von Heidi Klum als Jurorin, die bis heute etwa 27000 Menschen unterschrieben haben. Die Initiator*innen kritisierten, dass Pro7 und seine etablierten Stars aus Drag Kapital schlagen wollen, während Promis, die nichts mit der Community und Kunstform zu tun haben, davon profitieren. Es war von kultureller Aneignung die Rede, von „kulturellem Missbrauch“ sogar.
Es ist eine Scheindiskussion, in der Heidi Klum ihre machtvolle Position gegen die Akzeptanz der Teilnehmer*innen eintauscht
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Am 14. November startete die deutsche Version des amerikanischen Originals RuPauls Drag Race mit ihrer ersten Folge. Neben Heidi Klum sind auch Bill Kaulitz und Conchita Wurst Teil der Jury. Die Petition war teilweise effektiv. Obwohl Heidi Klum noch Jurymitglied ist, hat sie zumindest von der Kritik mitbekommen. Und so kann sie es offensichtlich kaum abwarten, ihr durch die öffentliche Kritik angekratztes Ego wieder aufzubauen. In den ersten 20 Minuten der Folge schnappt sie sich eine Gruppe Teilnehmer*innen, um über die Kritik an ihr zu reden. Sie beschreibt, wie sie sich persönlich diskriminiert fühle, weil ihr als weiße, heterosexuelle cis-Frau ihre Jurorinnenrolle abgesprochen wurde. Die Situation erweckt nur den Schein eines offenes Gesprächs. Denn welche der Teilnehmer*innen, die alle auf einen Karriere- und Verdienstboost durch die Sendungen hoffen, wird Heidi Klum in dieser Situation schon kritisieren? Es ist eine inszenierte Scheindiskussion, in der Heidi Klum ihre machtvolle Position gegen die Akzeptanz der Teilnehmer*innen eintauscht.
Was haben Bill Kaulitzs Lidstrich und Heidi Klums Showbusiness Erfahrungen mit einer queeren emanzipatorischen Kunstform zu tun?
Bill Kaulitz, das wird schnell klar, versucht sich durch seine Erfahrungen als Outsider in der Musikindustrie eine Nähe zur Kunstform Drag anzueignen. Seine Schminke als Bandmitglied bei Tokio Hotel wird erwähnt, und einige Teilnehmer*innen betonen, wie sie das in ihrem Werdegang ermutigt hat. Was ich mich nach all dem aber immer noch fragte: Was haben Bill Kaulitzs Lidstrich und Heidi Klums Showbusiness Erfahrungen mit einer queeren emanzipatorischen Kunstform zu tun, die mit Gender und Sexualität spielt? Heidi Klum verdankt ihren Erfolg vor allem binären Geschlechterklischees und einem cis-weiblichen, weißen „Idealbild“. Gender ist für Heidi Klum kein Spiel, zu dem Drag es macht – es ist für sie ihr Leib und Brot. Es überrascht daher nicht, dass nur Teilnehmer*innen in der Show gecastet wurden, die als cis-männlich gelesen und präsentiert werden, ein Kritikpunkt, mit dem sich auch die amerikanische Version des Formats schon auseinandersetzen musste.
Trotzdem schaffen es die Teilnehmer*innen in der Folge über sich und ihre Kämpfe zu erzählen und politische Themen anzusprechen. So beschreibt die afro-brasilianische Queen Chatherrine Lecrey ihre rassistischen Erfahrungen in Deutschland, die bis heute andauern und wie sie als queere Person of Colour eine doppelte Diskriminierung erfährt. Katy Bähm spricht über ihre familiäre Situation als muslimische Drag Queen of Colour. Die Diskriminierung, aus der Drag sich schöpft und das Empowerment, das die Kunstform den Teilnehmer*innen gibt, werden deutlich.

Das Publikum wird langsam an Drag herangeführt. Man will es nicht überfordern
Je länger die Folge läuft, desto deutlicher wird aber, dass die Show primär ein heterosexuelles cis-Publikum anspricht, und nicht mich. Die Zuschauer*innen werden in eine „neue Welt“ eingeführt, zum Beispiel in dem das Prinzip von Tucking erklärt wird. Auch über die „Verwandlung“ in die Drag-Persona wird ausführlich geredet. Einige der Teilnehmer*innen betonen, dass sie gerne als Männer leben und sich nicht als Frauen sehen. Die Ursprünge vom Begriff Drag (Dressed as a girl) im englischen Theater, bei dem Männer Frauenrollen übernahmen, werden erklärt. Dass die Kunstform nicht nur cis-Männern zusteht, sondern auch sich als weiblich identifizierende, nicht-binäre und trans- Personen, bleibt unerwähnt. Wie divers die Dragszene heutzutage ist, wird nicht deutlich. Das Publikum wird langsam an Drag herangeführt. Man will es nicht überfordern.
Der Hauptteil der Sendung besteht aus den Performances der Queens, in denen sie ihren individuellen Drag-Style präsentieren. Für diesen Teil der Sendung hat sich Heidi Klum aufgepeppt, und sieht aus wie ein Schulmädchen, das zu lange mit dem Make-Up Kasten ihrer Mutter rumgespielt hat. Die Jury kritisiert und lobt die Looks und Performances der Queens. Conchita Wurst zeigt sich fair. Die Gastjuroren Olivia Jones lobt die Queen Janisha Jones und erklärt, dass Drag nicht immer eine bildhübsche Illusion einer Frau sein muss. Doch der Blick wird schnell wieder verzerrt. Nach Yonce Banks’ Performance fragt Heidi Klum, ob sie unten „abgeklebt“ sei. Bill Kaulitz vergleicht Candy Crashs Gesichtsausdruck mit dem einer Sex Puppe, was ihn „schon ein bisschen geil gemacht hat“. Die Befürchtungen der Petition haben sich bewahrheitet. Queere Körper werden gefeiert und gleichzeitig objektifiziert. Sie sind hyper-sichtbar als Attraktion und gleichzeitig unsichtbar in ihrer Komplexität.

Während Bambi Mercurys Performance zeigt sie neben der Regenbogenflagge auch explizit die Transgender-Flagge als Zeichen der Solidarität. Die Jury greift diesen Punkt aber nicht auf. Anscheinend sollen nicht alle Buchstaben im LGBTIQ*-Akronym erwähnt werden. Denn die Show bietet eine Plattform für „Männer“, die sich in ihrer Kunst in „Frauen“ verwandeln. Wenn Drag, wie Candy Crash anfangs der Folge beschreibt, uns helfen kann gesellschaftliche Normen zu überdenken, dann tut es diese Show nur selektiv.
Als die Folge zu Ende ist, klappe ich meinen Laptop enttäuscht zu. Enttäuscht, dass die erste Drag-Sendung im deutschen Fernsehen von nicht-queeren Menschen vereinnahmt wurde. Ich hatte das Gefühl, dass mir etwas aufgezwungen, und gleichzeitig weggenommen wurde. Wahrscheinlich hätten sich viele von uns gewünscht, dass wir mehr hinter einem Format stehen können, das uns angeblich repräsentiert. Wenn Heidi Klum für etwas in die queere Geschichte eingehen wird, dann dafür wie Allyship nicht aussieht.
Kann die Show trotzdem Leuten eine Version von Drag näher bringen, die zuvor noch nie etwas davon gehört haben? Wahrscheinlich. Aber die Mitte der Gesellschaft kann nicht der Maßstab sein, an dem wir den Erfolg einer solchen Show messen. Denn am Ende sind es queere Menschen, die entscheiden, wie und ob wir uns in der Mitte der Gesellschaft emanzipieren wollen. Und nicht Pro7 oder Heidi Klum.