Jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit fahre ich an einer dieser riesigen Berliner Brandschutz-Hauswände vorbei, die früher mit Street Art geschmückt waren. Seit Juni wird weltweit Gay Pride gefeiert. Nun steht auch in Berlin der Christopher Street Day (CSD) an und die Wand ist komplett in Regenbogenfarben bemalt. In der Mitte prangt das Logo von Ralph Lauren, einer Luxus-Marke für Rich-Kid-Poloshirts. Auf meinem Weg zur Arbeit kommt dann rechts das zukünftige Zalando-Outlet: eine 100-Meter-Fensterfront, beklebt mit bunt und auf queer gestylten Models, dazu der Spruch: „Celebrating Berlin Pride 2019 with our LGBTQI+ Community“. Man könnte meinen, wir seien in queer paradise angekommen und sollten doch endlich aufhören, zu meckern. Aber: Als queere Person macht mich das LGBTQIA*-Marketing der großen Firmen wütend.
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Klar, Repräsentation ist wichtig. Je sichtbarer Menschen aller sexuellen Orientierungen und Identitäten in der Öffentlichkeit werden, desto mehr gewöhnt sich der heterosexuelle Mainstream an ihre Präsenz – und desto größer wird die Akzeptanz. Hoffentlich. Zu Repräsentation und Sichtbarkeit gehört für mich auch, dass queere Menschen in politischen Positionen vertreten sind, in großen Medien als Expert*innen zu allen möglichen Themen sprechen, dass sie Lehrer*innen, Schauspieler*innen und Bauingenieur*innen sein können. Und solange es gigantische Werbung an Brandschutzwänden gibt, gehört es auch dazu, dort sichtbar zu sein.
Für Unternehmen ist die LGBTQIA*-Community ein Absatzmarkt
Doch wem diese „Repräsentation“ am meisten nützt, sind immer noch die Firmen, die solche Werbung produzieren. Für Unternehmen ist die LGBTQIA*-Community ein Absatzmarkt geworden und Diversity eine Marketingstrategie. Das heißt: Ralph Lauren und Zalando verdienen Geld damit, sich queerfreundlich darzustellen. Auch Adidas fährt diese Strategie mit dem Regenbogen-Sneaker. Oder Katjes: am Alex hängt zur Zeit eine gigantische Werbetafel mit zwei normschönen, als hetero durchgehenden knutschenden Frauen, die ein Regenbogen-Weingummi in die Kamera halten. Damit bedient die Süßigkeiten-Firma eine weit verbreitete sexuelle Fantasie von Heteromännern, kann sich gleichzeitig als super offen und fortschrittlich darstellen – und sich bei etwa einer Million Queers anbiedern, die am Samstag in Berlin CSD feiern werden. Mit eigenen Wagen dabei auf der Parade in der Hauptstadt: Coca Cola, Nike, Paypal, Vodafone.
An der realen Lebenssituation von queeren Menschen ändert das alles wenig. Ein kleine und unvollständige Auswahl an Beispielen: Heteromänner verdienen immer noch deutlich mehr als schwule Männer und als Frauen jeglicher sexueller Orientierung sowieso. Dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) zufolge gab ein Viertel der befragten Trans*personen in einer Studie an, weniger als 1000 Euro im Monat zu verdienen – unter den Nicht-Binären waren es sogar 40 Prozent. Lesben, Schwule und Bisexuelle sind wesentlich häufiger arbeitslos als Heteros, obwohl sie im Durchschnitt besser ausgebildet sind und sie leiden doppelt so häufig an Depressionen.
Ich will kein Aushängeschild von Firmen sein, die ihre Angestellten ausbeuten
Ich selbst wurde schon unzählige Male sexuell belästigt und angefeindet, wenn ich mich in der Öffentlichkeit zärtlich mit einer Frau gezeigt habe. So schwierig es ist, Gewalt und Belästigung gegen queere Menschen statistisch zu erfassen, weisen die Zahlen doch darauf hin, dass viele andere Queers Ähnliches und Schlimmeres erleben: Die Bundesregierung antwortete auf eine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Ulle Schauws, dass im vergangenen Jahr 313 politisch motivierte Straftaten gegen LGBTIQA-Personen verübt wurden. 91 davon waren Gewalttaten. Laut BMFSFJ gaben 58 Prozent der befragten Trans*personen an, in den zurückliegenden 12 Monaten diskriminiert oder belästigt worden zu sein. Die Staatsanwaltschaft Berlin ordnete 50 Fälle von Hasskriminalität im Jahr 2018 als trans*feindlich ein, darunter Schläge, Tritte und Messerstiche. Die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher sein, weil gerade bei Verbrechen gegen queere Menschen die Hürde höher liegt, diese zu melden.
Ein Werbeplakat mit hotten Queers aufzuhängen, sind einfach verdiente Punkte. Aber was tut Zalando, um etwas an den realen Lebensverhältnissen dieser Community zu ändern? Nichts. Stattdessen protestieren Zalando-Angestellte immer wieder über extrem schlechte Arbeitsbedingungen bei dem Versandhandel. Ralph Lauren lässt seinen 170-Euro-teuren Pride-Hoodie genauso in asiatischen Sweatshops produzieren, wie die meisten Klamottenfirmen. Solange wir in einer kapitalistischen Gesellschaft leben, werden große Firmen immer ihre Arbeiter*innen ausbeuten – cis-Menschen, Heteros und Queers. Daran ändert auch queeres Marketing nichts. Und solange das so ist, habe ich keine Lust, als Mitglied der queeren Community von irgendeiner solchen Firma als Aushängeschild benutzt zu werden. Mag Zalando behaupten, dass sie mit uns feiern wollen – ich will bestimmt nicht mit Zalando feiern.