Teile der in Deutschland lebenden Muslim*innen fasten diesen Monat von der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang. Viele verzichten während dieser Stunden auf Essen, Trinken, Zigaretten und Sex. Am Abend wird das Fasten mit einem Mahl, Iftar, gebrochen. Häufig kommen Familie und Freund*innen zusammen, um gemeinsam zu speisen.
In Eigenberichten von queeren Muslim*innen wird der Monat Ramadan als die heilige aber einsame Zeit beschrieben. Der britische LGBT*IQ-Aktivist Sabah Choudrey teilte beispielsweise in einem Video mit, besonders in einer Zeit wie Ramadan, die mit vielen sozialen Elementen verbunden ist, sei es als queerer Muslim schwierig, sich dazugehörig zu fühlen. „Ich fühle mich sehr isoliert während dieser Zeit. Die Community kommt nicht von selbst zu uns“, sagt er*sie. Für Choudrey bedeutet Ramadan, sich Zeit für Reflektion zu nehmen. Über die Beziehung zu sich selbst, den Charakter, das Essen und Trinken sowie die Sexualität und Spiritualität.
Die Community verschafft sich immer mehr Sichtbarkeit
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Der Zentralrat der Muslime in Deutschland schätzt, dass hierzulande fast die Hälfte der Muslim*innen fasten. Das wären, nach Schätzungen aus dem Jahr 2016 des US-amerikanischen Pew-Instituts, etwa 2,5 Millionen Menschen. Wie viele davon queer sind, lässt sich schwer feststellen. Offiziell gibt es dazu keine Statistiken. Ich habe mit mehreren queeren Muslim*innen, die in Deutschland leben gesprochen. Sie alle gehören einer Community an, die es eigentlich schon gibt, seitdem hier muslimische Menschen leben. Mein Eindruck ist – und das ist der einer atheistischen, queeren und weißen Autorin – die Community verschafft sich gerade immer mehr Sichtbarkeit.
In den vergangenen Jahrzehnten gab und gibt es immer wieder Eigeniniativen dieser Community. Die öffentlich sichtbaren agieren hauptsächlich in Berlin. Zum Beispiel die Partyreihe Gayhane, die seit 20 Jahren in Berlin queere Partys mit orientalischer Musik veranstaltet. Vereine wie die Lesbenberatungsstelle für Personen mit Migrationshintergrund LesMigras oder GLADT, eine Selbstorganisation von Schwarzen und of Color Lesben, schwulen, bisexuellen, trans*, inter* und queeren Menschen sind Beispiele für institutionalisierte Orte. Queer-muslimische Autor*innen, wie zum Beispiel Hengameh Yaghoobifarah publizieren regelmäßig über Themen der Community. Und letztes Jahr luden mehrere queere und nicht queere Berliner Vereine gemeinsam in Neukölln zum Fastenbrechen ein, wie unter anderem das Zentrum für Migranten, Lesben und Schwule (MILES), Al-Ischrad, eine religiösen Gemeinschaft mit Moschee und das Arabische Kulturzentrum AKI e.V.
Das deutschlandweit erste Ramadan-Festival hostet Veranstaltungen zu queeren* Identitäten.
Seit kurzem versuchen zwei neue Projekte in Berlin, queere Muslim*innen zusammenzubringen. Das deutschlandweit erste Ramadan-Festival, das Noon Festival, hostet noch bis Ende Mai Veranstaltungen zu Themen der queeren*, of colour und muslimischen Identität. Panelgespräche, Filmvorführungen, eine Drag Show und Partys sind im Programm. Kuratiert wird es unter anderem von Erkan Affan, der*die sich als Genderqueer definiert. Affan wurde in London sozialisiert und hat im Rahmen seines*ihres Studiums „Gender und Migration“ die queere türkisch-sprechende Gemeinde Deutschlands untersucht. Er*sie selbst fastet nicht, dennoch hat er*sie als Muslim*in eine Verbindung zur Ramadanzeit.
Für den Imam Christian Awhan Hermann ist Ramadan eine Zeit der Entschleunigung in der er Geschehnisse überdenkt und sich vor allem auch auf den digitalen Kommunikationskanälen zurücknimmt. Er hat Ende letzten Jahres den Verein KALIMA mitgegründet, der sich zu einer Anlaufstelle für zeitgemäß lebende, inklusiv denkende Muslim*innen und LGBTIQ*-Muslim*innen entwickeln möchte. Zentral sollen Beratungen, Seelsorge und religiöse Praxis werden. Hermann definiert sich als schwul und ist in Deutschland geboren worden. Vor zwei Jahren hat er zum Islam gefunden. Vergangenen August hat er die Ausbildung zum Imam abgeschlossen. Vorher hat Hermann als LGBT*IQ-Aktivist Seelsorgearbeit für queere Menschen gemacht und war als Teil der „Schwestern der Perpetuellen Indulgenz“ aktiv.
„Der Islam ist nicht anti-queer“, sagt Affan
KALIMA und das Noon Festival sind zwei Selbstinitiativen, die zeigen, dass queere Muslim*innen Räume benötigen, in denen sie sich geschützt miteinander austauschen können. Denn: diese Bevölkerungsgruppe lebt in einer Gesellschaft, die sie mehrfach diskriminiert und ihnen teilweise abspricht, dass beide Identitäten zusammengelebt werden können. Affan beschreibt es so: „Ich werde von Muslim*innen und Nicht-Muslim*innen gefragt: wie kannst du queer sein und auch muslimisch? Ist nicht die ganze Idee vom Islam sehr anti-queer? und ich finde: nein, ist sie nicht.“
Dennoch, viele queere Menschen und vor allem Feminist*innen kritisieren Aspekte der muslimischen Glaubenspraxis. Auch Hermann und Affan setzen sich mit dem, was aktuell mehrheitlich praktiziert wird auseinander. Sie beide stören sich an heteronormativen Auslegungen der muslimischen Literatur. „Ich habe das Gefühl, meinen Glauben nur leben zu können, wenn ich entweder ein Mann oder eine Frau bin. Ich finde, man muss keinem bestimmten Geschlecht zugehörig sein, um berechtigt zu sein, seinen Glauben zu praktizieren“, sagt Affan. Ihn*sie irritieren generell genderspezifische Praktiken in muslimischen Gemeinden.
Es gibt aber nicht nur einen Islam sondern viele Formen des Islams
Imam Hermanns Kritik ist eine andere. Ihn stört „diese Tendenz, dass Muslime anderen Muslimen erzählen müssen, wie sie Ramadan zu feiern haben. Es gibt aber nicht nur einen Islam sondern viele Formen des Islams.“ Deshalb solle Ramadan auf unterschiedliche Weise zelebriert werden dürfen. Hermann moniert, Geschlechtergerechtigkeit würde am Abend wenn das Iftar zubereitet wird, nicht von allen Muslim*innen bedacht. „Es ist schon sehr schön, wenn sich die Frauen ums Essen kümmern wollen“, sagt er. Bei der Hausarbeit sollten aber generell alle Geschlechter gleichermaßen mithelfen. Am Abend des 25. Mai ludt Herrmans Verein dazu ein, gemeinsam in einem Berliner Restaurant fastenzubrechen. „Wir werden einen Tisch reservieren und es wird die Möglichkeit geben, Fleisch oder auch vegetarisch zu essen.“
Im Berliner be’kech anticafé, können Besucher*innen noch bis Ende des Monats am Noon Festival partizipieren. Am 31. Mai seht die Abschlussparty bevor. „Wir fokussieren uns auf Themen, die sich auf nicht-weiße queere Erfahrungen in Berlin beziehen. Die Diskriminierungserfahrung einer Trans*frau of Color in einem Club zum Beispiel. Oder wie es eine queere of color Community in Deutschland geschafft hat, die New Yorker Vouging-Szene nach Deutschland zu bringen“, sagt Affan. Alle Einnahmen des Festivals werden an die Organisation “Black & Pink Crescent” gespendet, die sich für queere Muslim*innen, die inhaftiert sind, einsetzt. Das Noon Festival soll eine Serie werden, wünscht sich Affan. Das nächste Mal kann er sich vorstellen, mit anderen Berliner Organisationen zusammenzuarbeiten.
KALIMAS Vision ist, dass nächstes Jahr während der Ramadan-Zeit Informationsveranstaltungen in einem eigenen Moscheeraum stattfinden. Aktuell ist der Verein noch auf der Suche nach Räumlichkeiten.