Ihr habt ein Kollektiv namens Sestre. Wer seid ihr und was bedeutet euer Kollektiv für euch?
Wir sind zwei Freund*innen, die sich in der Uni kennengelernt haben. Wir haben schnell herausgefunden, dass wir beide eine Vorliebe für die gleichen Künstler*innen und die gleiche Ästhetik haben. Gleichzeitig haben wir realisiert, dass wir uns um dieselben sozialen Themen in Bosnien sorgen. Sestre ist wie ein Ablassventil, welches wir für all die aufgestaute Wut haben und für all die Frustration, die das Leben in Bosnien und im Balkan mit sich bringt. Wir sind keine NGO und sind von niemandem finanziert.
Was genau ist die Arbeit die ihr macht?
Wir haben damit angefangen, dass wir verschiedene Themenpartys in Sarajevos einzigem gay club geschmissen haben, der leider inzwischen geschlossen hat. Wir haben probiert, alternative Musik und kommerzielle Popmusik zu vermischen, um eine breitere Masse an Leuten zu locken und wir denken, wir waren damit ziemlich erfolgreich. Dann haben wir angefangen, Kunst zu kreieren, die die Stellung “der anderen” in Bosnien und Herzegowina erforscht: seien es Frauen, LGBT+, die Arbeiter*innenklasse oder jede*r andere, der oder die nicht den starren politischen Rahmen dieses Landes fällt.
Wie ist es, ein queeres DJ-Team in Bosnien zu sein?
Wie wir schon sagten, wir starteten 2015 und schmissen verschiedene Themenpartys, die alternative und kommerzielle Popmusik mischten. Unsere Geschmäcker haben sich geändert, also sind wir inzwischen komplett zu Techno geswitched. Das bedeutet, dass wir weniger Gig-Möglichkeiten bekommen, da der Mainstream der queeren Szene in Sarajevo nicht zwingend interessiert an Techno ist. Wir finden es allerdings wichtig, den Menschen in Sarajevo zu zeigen, dass Techno ein sehr offenes, progressives Musikgenre ist, das Menschen aus allen Lebensbereichen umfasst. Die Techno-Szene in Sarajevo ist noch immer sehr männerdominiert und wie man es sich vorstellen kann, sind auch die meisten DJs Männer. Es gibt allerdings auch ein paar großartige weibliche DJs und wir sind immer glücklich, diese in Clubs zu sehen.
Versteht ihr eure selber Arbeit als politisch? Was wollt ihr mit ihr ausdrücken?
Ja, es ist definitiv politisch. Wir sehen Bosniens und Balkans Ethnonationalismus als die Grundursache vieler Probleme, denen sich Leute in unserem Land stellen müssen. In unserer Kunst übernehmen wir Symbole und Bilder, die sich nationalistische Gruppen in unserem Land angeeignet haben und zerlegen sie. Für uns ist es sehr wichtig zu zeigen, dass sozialer Aktivismus in Bosnien mit dem breiteren, sozialen Rahmen verbunden ist, in dem wir leben: Unsere Kunst und unser Aktivismus kann nicht genauso sein wie von aktivistischen Gruppen in Deutschland oder in den USA, denn wir führen ein ganz anderes Leben. Das Imitieren oder Nachahmen von Slogans oder Postern, die Teil eines westlichen Aktivismus sind, wäre unehrlich unseren Erfahrungen gegenüber und würde wirklich nur einen winzigen Teil unseres Kampfes abdecken.
Wünscht ihr euch mehr Solidarität von Aktivist*innen aus Ländern wie z.B. Deutschland? Denkt ihr, Aktivist*innen vom Balkan werden von westeuropäischen Aktivist*innen genug gehört?
Solidarität ist immer gut und kann immer verbessert werden, aber wir denken, dass der Schlüssel darin liegt, dass westliche Aktivist*innen anerkennen, dass ihr Wissen auf Balkanländer wie Bosnien möglicherweise nicht anwendbar ist, auch wenn sie in ihrem Land auf einem Feld Expert*innen sind. Über Bosnien zu lesen (oder auch in Bosnien Familie zu haben, während man selber in erster oder zweiter Generation als Bosnier*in im Westen lebt) ist nicht gleichbedeutend damit, in Bosnien zu leben, insbesondere als queere Person, weil es so viele komplizierte Ebenen gibt, wie unsere Gesellschaft funktioniert und es ist nicht das Gleiche wie in westlichen Gesellschaften. Aktivist*innen vom Balkan kriegen generell nicht mal zu Hause besonders viel mediale Aufmerksamkeit, also ist es keine Überraschung, dass es noch weniger im Westen gibt. Es wäre toll, gäbe es eine größere Verbindung zwischen verschiedenen, nicht im Mainstream angesiedelten aktivistischen Gruppen aus dem Westen und dem Balkan.
Welchen Schwierigkeiten begegnet ihr in eurer Arbeit?
Den üblichen, wirklich. Mangel an Zeit und Geld. Wir haben nicht das Privileg, unser Leben der Kunst und dem Aktivismus zu widmen. Da wir zur Arbeit und in die Universität gehen, ist es immer wieder ein Kampf, Zeit zu finden, Content zu kreieren.
Was war euer bester Sestre-Moment bisher?
Wir werden uns immer an die allererste Party erinnern, die wir organisiert haben. Wir haben mit eine*r Freund*in von uns zusammengearbeitet, welche*r Kleidung mit politischer Message designed (ultratanka auf Instagram) und wir hatten keine Ahnung, ob überhaupt irgendjemand kommen würde. Um 1 Uhr morgens war der Club voll und die Energie war unglaublich. Das wird immer eine schöne Erinnerung sein.
Das von Sestre zu Verfügung gestellte Set wurde ursprünglich auf ihrem eigenen Soundcloud-Account veröffentlicht. Seste findet ihr unter soundcloud.com/sestremi sowie auf Instagram unter @sestre.sestre.