Jan-Lukas Kuhley hat ein halbes Jahr als Freiwilliger in Rojava gekämpft. Seine Sicht auf den US-Truppenauszug
Vor uns schüttet ein Bagger den Wüstensand vor der letzten IS-Hochburg Hajin zu meterhohen Schutzwällen auf. Es ist stockfinster. Wir warten, bis kein Mond mehr am Himmel zu sehen ist. Die Anspannung lässt mich keinen klaren Gedanken fassen. Am Horizont blitzen regelmäßig Autoscheinwerfer auf und verschwinden dann wieder. Der Feind ist in Bewegung. Mindestens 1000 Dschihadisten vermutet die US-Militärführung noch in der kleinen Stadt, um die wir gerade unseren Belagerungsring ziehen. Es ist der Überrest des selbsternannten Kalifats.
Der Vormarsch mit mehreren hundert YPG- und YPJ-Kämpfer*innen findet in der Nacht statt. Meine Einheit ist einer kleinen Schutztruppe zugeteilt und behält die Umgebung im Auge. Dutzende Fahrzeuge und auch ein paar richtige Panzer sichern den Aufbau unserer Stellungen.
Ein Hubschrauber wird lauter. Mir fällt ein Stein vom Herzen.
Als ich ein Geräusch höre, löst sich meine Anspannung. Ein Hubschrauber nähert sich und wird lauter. Die USA unterstützen unseren Vormarsch aus der Luft. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Ein Kampfhubschrauber in der Hinterhand, das gibt Sicherheit. Das Rattern der Rotoren bleibt während der Operation unser ständiger Begleiter.
Das alles ist nun über ein Jahr her. Ich hatte sechs Monate als Freiwilliger in Rojava gekämpft. In Hajin werden heute die Trümmer beseitigt und der IS verschanzt sich auf einem Gebiet von wenigen Quadratkilometern. Ihr Ende als Territorialmacht steht kurz bevor.
Für mich heißt es heute wieder Plenum statt Schlachtfeld aber natürlich ist der Krieg für mich noch immer sehr präsent. Wenn ich heute in Deutschland über die dortige Revolution spreche, kann ich mich mit meinen Diskussionspartner*innen meist sehr angeregt über die gesellschaftlichen Entwicklungen vor Ort austauschen. Frauenbefreiung, ökologische Schutzmaßnahmen und die demokratische Selbstverwaltung in Nordsyrien sind der deutschen Linken wohl bekannt. Schon ganz interessant, was die Kurd*innen da so machen, heißt es oft. Doch über die außenpolitischen und vor allem militärischen Bedingungen dieser Revolution gibt es kaum Wissen – geschweige denn so etwas wie eine Haltung. Besonders deutlich wird dies gerade jetzt, wo die USA ihren Abzug aus Syrien bekannt gegeben haben.
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Die deutschen Buchkommunist*innen wollen nur ihr eigenes Weltbild bestätigen
Ganz Rojava droht nun, wie zu Beginn des vergangenen Jahres schon dem Kanton Afrin, ein Einmarsch der türkischen Armee und der mit ihr verbündeten dschihadistischen Gangs. Die Präsenz internationaler Militärs verhinderte bislang den Vormarsch türkischer Bodentruppen nach Rojava. Dann kam der Tweet von Donald Trump – Rückzug der US-Streitkräfte, am besten schon gestern.
Als ob sie nur darauf gewartet hätten, begannen sogleich die deutschen Buchkommunist*innen damit, Stellungnahmen zu verfassen und ihre theoretischen Konzepte gegen die tatsächlichen revolutionären Errungenschaften in Nordsyrien ins Feld zu führen. Diese gut belesenen, selbsternannten Antiimperialist*innen – meist Männer – wollen oft gar keine solidarische Kritik äußern. Die analytischen Standpunkte der kurdischen Freiheitsbewegung interessieren sie überhaupt nicht, Begriffe wie PKK, YPG oder PYD verwenden sie völlig wirr und oder einfach gleich synonym. Oft geht es ihnen nur darum, ihr eigenes Weltbild zu bestätigen – und die Revolution in Rojava muss dafür herhalten. Sie legen einfach ihre dogmatische Theorieschablone auf den dortigen Kontext und alles was nicht nicht reinpasst, ist „Reformismus“ und „Verrat an der Revolution“, Viele westliche linke Konzepte wie Klassenstandpunkte, Religionskritik und Nationalismus haben in Rojava aber eine ganz andere Bedeutung als hierzulande. Das ist diesen Kritiker*innen aber nicht mal einen Gedanken wert.
Ein großer Knall und dann ist alles perfekt
Das „strategische Bündnis“ mit dem US-Imperialismus sei ein Fehler gewesen, erklärten sie. Dabei bestanden auf Seiten der Führung der YPG/YPJ-Streitkräfte zu keinem Zeitpunkt Illusionen über die strategischen Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit den USA. Auch ließ man sich nicht von ihren Absichten täuschen. Das Bündnis bestand genau so lange, wie es beiden Seiten taktische Vorteile zum erreichen der eigenen Ziele geboten hatte.
Mich nervt die Revolutionsromantik in Teilen der deutschen Linken. Manchmal hört es sich so an, als sei Revolution so etwas wie ein großer Knall und dann wäre alles perfekt.
Revolutionen sind gesellschaftliche Prozesse, die nicht im luftleeren Raum stattfinden. Militärische und diplomatische Bemühungen schaffen die Garantien, welche Gesellschaften zur Transformation benötigen. Es gibt Widersprüche nach innen und nach außen. Vor jedem Schritt muss hinterfragt werden, ob dieser uns dem Ziel näher bringt und bestehende Fortschritte absichert. Die politisch bewusste Bewegung in der Region weiß das sehr genau. Kein Mensch muss ihr erklären, dass sich einstige Verbündete schnell gegen einen richten können.
Im Krieg setzen sich nicht die besseren Argumente durch – sondern die stärkere Armee
Rojava ist von Feinden umringt. Es muss im Durcheinander des Syrienkrieges zwischen einer Vielzahl von Interessen den eigenen Freiraum behaupten. Und das funktioniert seit Jahren. Es werden ständig Verhandlungen geführt und Übereinkünfte getroffen, nicht nur mit den USA, sondern auch mit dem Assad-Regime, Russland und auch Frankreich. Nur durch diese diplomatische Vermittlungsarbeit konnte Rojava so erfolgreich werden und dabei die eigene Autonomie sicherstellen.
Eine YPG-Einheit, die in Kooperation mit einem Kampfhubschrauber der imperialistischen US-Armee gegen die Barbarei des IS ins Felde zieht, passt jedoch nicht in das romantische Bild, das sich deutsche Linke von der Revolution in Rojava machen. Aber so ist der Alltag. Die Sicherheit Rojavas kann derzeit nur in Zusammenarbeit mit internationalen Militärs gelingen. Und es war mir damals tatsächlich egal, welche Nationalflagge auf dem Hubschrauber zu sehen ist, solange es der taktischen Zusammenarbeit der Revolution zweckdienlich war. Denn leider setzen sich im Krieg nicht die besseren Argumente durch, sondern die stärkere Armee.
Praktische Solidarität mit realen Grabenkämpfen
Die demokratischen Kräfte Syriens (SDF) haben keine eigene Luftwaffe. In modernen Kriegen ist jedoch die Luftüberlegenheit die Basis der militärischen Stärke. Diese Lücke konnten die SDF durch eine Kooperation mit der US-geführten Anti-IS Koalition schließen. Wie diese Kooperation die Ziele der Revolution verraten hätte, konnte mir bislang keiner erklären.
Der Eindruck bleibt, dass innerlinke Grabenkämpfe und „antiimperialistische“ Identitäten wichtiger erscheinen als praktische Solidarität mit den ganz realen Grabenkämpfen, an denen Linke beteiligt sind.