Ein Newsletter mit dem Bild eines angeschwollenen Klumpen Mensch, darunter: „Unsere kleine Katharina ist da!“. Es ist der fleischgewordene Versuch einer Medienmacherin, die Leser*innenschaft durch digital hergestellte Nähe an ihre Marke zu binden. Sie ist frischgebackene Mutter. Wer will sowas sehen? Ich finde den Anblick des Neugeborenen einer Fremden im Arbeitskontext unangemessen und verschiebe die E-Mail in den Papierkorb.
Arbeit ist scheiße. Im Kulturprekariat, also dem Teil der kreativen Arbeitswelt, in der es kaum Festanstellungen, Altersvorsorge und Urlaubstage gibt, gilt dies genauso wie im Handwerk oder in der Sexarbeit. Aber die beruflichen Profile in Sozialen Medien vermitteln häufig ein anderes Bild. Sie müssen es, denn Bäckereien verkaufen ja auch keine freshen Mettbrötchen mit ordentlich Zwiebeln, wenn sie mit staubtrockenen Mehlklumpen im Schaufenster werben.
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Die eigenen Emotionen steuern, ist Teil des Jobs
„Danke für die tolle Einladung zur Vernissage!“ als Antwort auf eine Pressemail kann ernst gemeint sein – oder auch schlichtweg emotionale Arbeit, die digitale Uniform für eigene Gefühle quasi. Der Begriff „emotionale Arbeit“ stammt von der Soziologin Arlie Russell Hochschild. Er bezeichnet emotionale Leistungen in Arbeitsverhältnissen, durch die Ziele einer Firma verwirklicht werden sollen. Die Dienstleistungsbranche kann nur existieren, indem die Dienstleistenden ihre Gefühle managen. Also: Das Lächeln einer Bäckerin, damit du wiederkommst und mehr Simit kaufst. Die freundliche Callcenterstimme, die dafür sorgt, dass du deinen Handyvertrag nicht kündigst. Das Steuern der eigenen Emotionen ist Teil des Jobs. Heute wird der Begriff im feministischen Diskurs auch verwendet, um zum Beispiel über die emotionalen Leistungen von Frauen in Beziehungen zu sprechen: Trösten, Geburtstage planen, die Allergien von Verwandten dritten Grades für das Weihnachtsessen erinnern. Darüber schlägt die Erfinderin des Begriffs übrigens die Hände über den Kopf zusammen.
Sorgfältig die eigene Digitalpräsenz pflegen, bis nur noch ein emotionsloser Klumpen aus Anzug und Arbeit übrig bleibt, ist Ausdruck des kapitalistischen Abgrunds. Seine eigenen Artikel posten, die Homepage neu designen, bloß kein verheultes Selfie posten, das ist ja deine digitale Visitenkarte, blabla. Ja, ist es. Aber sich akribisch daran zu halten, lässt das Menschsein in den Hintergrund rücken und spielt der neoliberalen Vereinzelung in die Hände. Wir sind schließlich mehr als Arbeit und sollten das auch online sein dürfen. Eine Trennung der eigenen Existenz in digital und analog ist nicht mehr zeitgemäß. Der französische Philosoph Bruno Latour plädierte bereits in den 1980er Jahren dafür, technologische Errungenschaften nicht losgelöst von den kulturellen Bedingungen zu denken, in denen sie entstehen. Er sagt, dass sie genau so stark auf Gesellschaft wirken wie umgekehrt. Deshalb macht es heute keinen Sinn mehr, zwischen Interaktionen im Interwebz und offline zu unterscheiden, als herrschten dort unterschiedliche Machtverhältnisse und Wertesysteme.
Ganz oldschool für deine Arbeitsrechte auf die Straße gehen
In der ganzen Verselfiesierung sollten wir auch Arbeitskämpfe nicht vergessen. Good, old Gewerkschaften haben vielleicht kein sexy Instagram. Aber ihre Serviceleistungen wie Rechtsberatung können dabei helfen, wenn es zu Konflikten mit Auftraggebern kommt, die nicht zahlen. Oder sie gehen ganz oldschool auch für deinen Arbeitskampf auf die Straße, was extrem wichtig ist. Denn digitale Nähe zu einflussreichen Personen mit Zugang zu finanziellen Ressourcen, sprich: Leuten mit Money, die dir Aufträge geben sollen, sichern keine Arbeitsrechte im Kulturprekariat 4.0. Und die braucht es dringend.
Auch beim digitalen Verkauf der eigenen Arbeitskraft gehört es zum guten Ton, sich die gefühlsmanipulierende Uniform überzustreifen. Shoppe meine Texte, indem du meine Selfies likest. Emotionale Arbeit ist es auch, auf Social Media sein nacktes Selbst zu einer Marke zu performen, bis von Menschlichkeit nichts mehr übrigbleibt. Es ist das „Ich kann leider nicht kommen, so schade!“, obwohl man sehr wohl Zeit hätte, aber einfach keinen Bock hat. Berechtigterweise, denn Freizeit geht vor. Leider bedeuten die Kontakte, die man auf Veranstaltungen nach Feierabend knüpfen kann, Kapital. Und die kriegt man beim Kaffeetrinken oder eben via Smartphone, indem man das Pic einer einflussreichen Person liked, von der man sich Jobs erwünscht. Oder aber indem man die eigenen Artikel in den sozialen Netzwerken teilt und so den Auftraggebern, für die man sie geschrieben hat, dabei hilft, weitere Zielgruppen zu erreichen. Unentgeltlich, versteht sich.
Geschäftliche Beziehungen zwingen einen aber auch zur Unsichtbarmachung eigener Emotionen auf Social Media. Kann ich mein verkatertes Selfie an einem Montag posten, oder denken potentielle Auftraggeber dann, dass ich meinen Shit nicht together habe? Sollte ich mein Life auf Instagram lieber mit totalem Nonsense-Content oversharen, um die Follower zu füttern, aber bloß nicht zu edgy zu sein? Ein schmaler Grat.
Eine Influencerin, die ihre Follower anpöbelt
Eine Influencerin hat diesen Widerspruch zum Kern ihrer Marke gemacht. Subversiv-erfrischend und saulustig verweigert Instagram-Star Wana Limar den Durst nach aalglatt wegregulierten Emotionen. Wenn sie von ihren Followern genervt ist, weil diese immer wieder danach fragen, welchen Highlighter sie sich ins Gesicht klatscht, um zu glänzen wie ein Fußballpokal, pöbelt sie diese in ihren Stories auch mal an. Aus Marketingsicht ist es ein absolutes No-Go, sein Publikum zu beschimpfen. Dem Algorithmus bereitet man damit auch keine Freude. Aber es mach Limar liebenswürdig, dass sie sich weigert, ihre Gefühle zu regulieren, nur um noch mehr Geld zu verdienen.
Authentisch könnte man es nennen, und einen Lichtblick für Haltung im digitalen Gemenge aus sinnentleertem Oversharing, das User zum Shopping verleiten soll. Limar gibt sich selbstironisch – ihr persönliches Branding, dieses Enfant Terrible-Image, geht auf. Es lässt sich vermarkten. Ihre Follower lieben sie für ihre Selbstironie und die Feminist*innen, die Social Media-Nutzung nicht per se für Verrat an der Sache halten, fressen ihr aus der Hand. Sie hat aus dem lakonisch-lässigen Umgang mit diesem Widerspruch eine Marke gemacht. Der Spätkapitalismus 4.0 beißt sich in den Schwanz.
Finstas: Wo seminberühmte Leute Nudes und Drogenselfies teilen
Eine europaweit renommierte PR-Beraterin packt, sobald man sie offline trifft, die lustigsten privaten Geschichten aus, obwohl man sie kaum kennt. Auf ihrem sehr beliebten, digitalen Auftritt könnte sie die wohl kaum raushauen, da sie es sich sonst wohl mit Kunden verderben würde. Semiberühmte Leute richten sich Finstas ein. Das sind private Instagram-Accounts, zu denen nur exklusive Leute Zugang haben. Dort erscheinen Nudes, Drogenselfies oder Content darüber, wie prekär die Kulturbranche ist, was niemand laut sagen kann, denn sonst wäre die Auftragslage im Handumdrehen dünn wie meine vor Nervosität abgeknabberten Fingernägel, weil ich als dreißigjährige Freiberuflerin immer noch nicht weiß, ab wann ich endlich in die Rentenkasse einzahlen kann. Im Zeitalter gegenseitiger Kontrolle im digitalen Raum bedeuten Finstas ein Stück eigene Freiheit. Und ein Ort, an dem sich der Last emotionaler Arbeit entledigt wird.
Die eigene Person als Marke zu etablieren, ist Ausdruck der Neoliberalisierung. Leider Gottes ist dies im Kulturprekariat mit seinen ungleichen Machtverhältnissen nützlich bis unabdingbar. Denn auch Linksliberale checken nur, was du machst, wenn du darüber redest. Und zwar oft, viel, laut und auf allen Kanälen, denn Ressourcen sind begrenzt. Es bleibt kompliziert.