Ein linkes Straßenfest irgendwo in Leipzig. Auf dem Hinterhof eines Hausprojekts sitzt ein frech aussehender Typ*, der sich als Shoob aka. Shoobird vorstellt. Wir quatschen entspannt als uns jemensch unterbricht: „Shoob, du bist dran. Jetzt!“ „Oh, alles klar. Ja, ich muss dann mal.“ Er zwinkert mir zu, geht auf die Bühne und schnappt sich die Gitarre, kramt einen Bierdeckel aus der Hosentasche, auf den er vorher noch eine Setliste gekritzelt hatte. Dann fängt er an in die Menge zu grinsen. „Na dann mal los..“
Du hast eine ungewöhnliche Laufbahn als Künstler* hingelegt: Nach dem Abitur hast du einen erfolgreichen Abschluss an der angesagten Musikakademie „Deutschen POP Berlin“ gemacht und danach eine eigene Musikschule und ein Produktionsstudio gegründet. Jetzt verdienst du dein Geld als Straßenmusiker*. Wie bist du „auf der Straße“ gelandet?
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Das Ganze hat mit meiner ersten Rap-Crew angefangen. Ich war 12 Jahre jung. Wir haben uns nach der Schule bei mir zu Hause, damals noch in Leipzig, getroffen und Freestyle-Tapes aufgenommen. Dann kamen die ersten Auftritte, Band- und Gesangserfahrungen. Das ging von Funk und Reggae, über Crossover, Punk und Elektro. Ich war nie wirklich genretreu, sondern hatte vor allem Bock auf Mukke machen und Auftritte. Inzwischen bin ich als Singer-Songwriter unterwegs. Ich habe als Kind kleine Gedichte und Lieder geschrieben und während meines Studiums in Berlin begonnen, eigene Ideen umzusetzen, aufzunehmen und zu produzieren. Das ganze Business mit Musikschule und eigener Produktion war zwar interessant und lief gut, war aber auch auf eine Art zu unkreativ und viel zu bürokratisch. Ich hatte keinen Bock als Dienstleister zu arbeiten. Ich wollte raus aus den vorgegebenen Strukturen und das habe ich dann auch gemacht. So kam ich zur Straßenmusik und wurde bald als Liedermacher gebucht und für Radio-Interviews eingeladen. Jetzt bin ich hier.
Das klingt nach krassem Lebenswandel durch starken Freiheitsdrang.
Ja, ein ganz großes Thema ist für mich die Selbstbestimmung. Das liegt nah am Anarchismus, also dem Kampf um Herr*schaftslosigkeit. Aber ich kämpfe nicht nur gegen Herr*schaft im Sinne von Regierungen oder Polizei, sondern eben vor allem um die seelische und ansozialisierte Unterdrückung. Von dieser will ich mich selbst und am liebsten alle Menschen um mich herum gleich mit befreien. Dazu versuche ich erst einmal, mich zu hinterfragen und zu verstehen. Ich lese viel und gerne, glaube aber auch an die Bildung durch das Leben. Soll heißen: Am meisten lerne ich durch die Menschen, mit denen ich mich umgebe. Ich höre zu, frage nach und führe Gespräche. So habe ich gelernt, meinen Konsum zu hinterfragen. Egal ob Geld, Ernährung, Klamotten, Wohnraum oder Drogen. Ich bin kritisch geworden im Bezug auf meine Privilegien wie Hautfarbe, Herkunft und Gender. Ich arbeite ständig an meiner Kommunikation und Wortwahl und entwickle sie weiter. Ich lerne, mich möglichst hierarchielos in Gruppen zu organisieren und gemeinsam Aktionen und Projekte umzusetzen. Das alles sind Skills, die ich nicht auf einer Uni oder Schule erworben habe, sondern eben – wenn du so willst – „auf der Straße“.
Und was willst du damit erreichen?
Ganz romantisch ausgedrückt: Ich träume von einer Welt ohne zentralistische Weltmächte, die über das Leben vieler anderer bestimmen. Ich wünsche mir Selbstbestimmung für alle Menschen dieser Welt. Meine ganz persönliche Aufgabe sehe ich darin, neue Lebensrealitäten zu erschaffen. Ich möchte Alternativen real machen, indem ich sie selbst vorlebe – angefangen in den alltäglichsten Situationen, wie beim Containern oder Musik machen. Aber auch in Projekten wie in der Lebensgemeinschaft in Brandenburg, in der ich lebe.
In einem deiner Songs heißt es: „Ich sing nicht für dein Handy, nein, ich sing für dich. Ich singe nicht in deinen Bildschirm. Ich sing in dein Gesicht. Ich singe nicht für deine Likes, ich singe nicht für deine Klicks.“ Du bist nicht auf Facebook, Instagram oder Twitter zu finden. Wieso machst du da nicht mit?
Ich empfinde diesen ganzen Virtualisierungsprozess als eine Entmenschlichung. Und ich bin gerne Mensch. Für mich ist dieser Online-Darstellungsdrang der Wurmfortsatz unserer Konsumgesellschaft. Der Versuch, sich und die Kunst zu kommerzialisieren ist ein Hinweis auf einen Mangel an Selbst- und Weltvertrauen und auf das typische Kompensierungs-Syndrom unserer Zeit. Außerdem sehe ich Kommunikationsmedien als ein Werkzeug und genau das sollten sie auch bleiben. Für mich sind sie das aber nicht, weil sie krasse soziale und psychische Auswirkungen haben. Und sie beginnen, meine Daten für was auch immer zu verwerten und damit wird mein Wert als Mensch, Musiker*in oder Kunstschaffende*r auf einmal abhängig von meinen Klicks und Likes ist. Ich finde das entwürdigend und entmenschlichend. Pfui!
Das Mitmischen auf Online-Portalen ist in der Musik-Branche inzwischen aber totaler Standard, um gebucht zu werden. Booker*innen können nach Likes und Klickzahlen sehr einfach beurteilen, was für eine Reichweite Künstler*innen haben. Wie kommst du ohne all das überhaupt an Gigs?
Mir geht es als Musiker* schon lange nicht mehr darum berühmt zu werden, auf den größten Bühnen zu spielen und die fettesten Touren zu planen. Das fühlt sich für mich mittlerweile alles viel zu fremdbestimmt an. Dazu habe ich mich nie wirklich entschieden, sondern es von einer Konsumgesellschaft eingebläut bekommen. „Das sollte mein Ziel als Musiker*in sein, da wollen alle hin!“. Bullshit! Ich will einfach für Menschen spielen, die mir zuhören wollen. Also wende ich mich an mein Umfeld, bin viel unterwegs und spiele überall. So treffe ich Menschen, die mich buchen und weiterempfehlen. Ich habe an eine Website gedacht, einfach um Menschen einen Einblick in mein Schaffen zu gewähren. Mehr eine Sammlung als ein „Profil“. Ansonsten läuft bei mir alles über SMS, Email und von Angesicht zu Angesicht.
Ist es auf Dauer nicht frustrierend zu sehen, dass andere Musiker_innen durch ihre (Online-) Selbstdarstellung die größeren, bekannteren, „besseren“ Auftritte spielen als du?
Es frustet mich, weil sie die Maschine weiter füttern, ja. Es entsteht ein Klima von Druck und Konkurrenz. Ich möchte meinen „Erfolg“ nicht mit anderen vergleichen. Das wäre unfair. Meine Ansprüche sind so niedrigschwellig, dass ich am Ziel bin, bevor andere „Labelvertrag“ sagen können. Ich bin mega happy und dankbar, wo ich bin. Ich wünsche allen Kunst- und Musikschaffenden mehr Entspannung und Selbstbestimmung in ihrem Tun. Aber ich kann mich auch sehr für Andere freuen, die ihre Ziele erreichen – auch wenn es Ziele sind wie 10.000 Klicks auf YouTube. ein Label-Release oder der*die 1000000ste Facebook-Follower*in. Meinetwegen, alle gehen ihren Weg. Ich persönlich habe mich dazu entschieden eher ohne Geld, Fame und Tamtam auszukommen, um möglichst unabhängig davon zu sein. Solange ich weiß, dass das was ich mache gut ist, brauche ich nichts und niemanden, die*der mich dafür liked.
Und zum Schluss noch einmal ganz platt: Glaubst du, dass du mit deiner Arbeit als Künstler* die Welt verändern kannst?
Ich glaube nicht an diesen „Ja-aber-gerade-DIE-sollten-dich-doch-hören“-Mist. Ich sehe mich nicht als den*die bekehrende*n Priester*in und darin auch nicht meine Aufgabe. Ein Mensch, der zu meinem Konzert mit nem 3er BMW kommt und ne Coca Cola trinkt, wird nach meinem Gig nicht auf sein McDonalds-Menü verzichten. Ist ja auch okay, selbst Schuld halt. Aber es ist ein schmaler Grad zwischen Unterhaltung und Inspiration.
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Mit seinen Texten schickt Shoobird mich an diesem Nachmittag vom Leipziger Hinterhof aus auf interessante Reise, bei der laut seiner Eigenbeschreibung „wortakrobatischer Piratenfolk mit tanzakustischer Philosophie“ zusammen kommen. Immer wieder muss ich lachen, dann werde nachdenklich und am Ende bin ich positiv überrascht, wie viel politischer Tiefgang in seine „Typ-mit-Gitarre“-Klischeenummer reinpasst. Frech, provokant und die Grenzen des Publikums spielerisch austestend. Als ein Kerl* vom Orga-Team des Events meint, Shoobird solle doch bitte jetzt eine Pause einlegen und später weiterspielen, antwortet der nur: „Ich spiel weiter. Geht doch, wenn ihr wollt.“ Mit einem neckischen Lächeln blickt er das Publikum an und spielt beeindruckend unbeeindruckt seinen Gig zu Ende.
* = Das * soll in diesem Text darauf aufmerksam machen, dass zum Beispiel „Frau“ und „Mann“ gesellschaftliche Konstruktionen sind, keine biologischen Wahrheiten