War es die Lust am Fahrradfahren oder das Verlangen, etwas zu verändern, das mich dazu brachte, mit dem Kurierfahren anzufangen? Schließlich sehe ich es durchaus als politisch an, der Logistikbranche und der auf Autos ausgelegten Stadt Alternativen aufzuzeigen und einen männerdominierten Beruf auszuüben. Doch je länger ich den Job mache, desto mehr wird mir bewusst, wie politisch es ist, Fahrradkurierin in einer stark sexistischen Umgebung zu sein.
Als Fahrradkurierin liefere ich Dokumente, Briefe und Proben aus. Alles, was auf dem schnellstmöglichen Weg innerhalb der Stadt von A nach B transportiert werden muss. Aber auf dem Fahrrad, auf den Straßen, umgibt mich der permanente Sexismus.
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Mir wurden die vulgärsten Beleidigungen hinterhergerufen. Klar, im Verkehr reagieren Menschen häufig emotional, weil es um Überlebensängste geht. Natürlich fluche ich auch und liebe es! Es ist befreiend. Ich denke, wenn jede*r einmal am Tag laut herausschreien würde, wären wir insgesamt viel ausgeglichener. Doch warum müssen es dauernd irgendwelche abfälligen Wörter über Sexarbeit sein? Wenn du immer wieder zu hören bekommst, dass entweder du oder deine Mutter eine Nutte ist, ob ich nicht einsteigen will oder wie teuer blasen bei mir ist, ermüdet dich das irgendwann nur noch. Es ist auch nicht das eine Hinterherpfeifen oder der Kommentar über meinen Körper, sondern die Häufigkeit dessen. Die permanente Reduzierung.
Eine Studie der Foundation for European Progressive Studies ergab, dass mehr als zwei Drittel der Frauen in den größten EU-Ländern sexistisches Verhalten oder sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz erlebt haben. Im beruflichen Umfeld weiß man meist, wer es war. Das macht es Frauen* leichter, gegen den Sexismus vorzugehen. Vorausgesetzt, sie überwinden die (berechtigte) Angst, dass es ihrem Ruf oder Rang schadet. Doch in meinem Job auf der Straße sind es Fremde. Geschützt in der Anonymität und mit der Gewissheit, dass es sie nicht verfolgt, erlauben die Männer sich mehr.
Ich weiß nicht, ob ich außerhalb der Arbeit Anmachen nicht so stark wahrnehme oder ob das vermeintlich professionelle Aussehen eher dazu einlädt.
Aber es sind nicht nur die Momente beim Fahren, sondern die Strukturen generell, die nerven.
Es fängt mit dem Wettbewerbsgedanken an. Die Aufträge werden über Funk ausgerufen. Wer zuerst darauf ruft, gewinnt. Vielleicht ist auch diese erzeugte Konkurrenz der Grund dafür, dass der Job weiblich gelesene Menschen abschreckt.
Und wenn du die einzige weibliche Person in deinem Arbeitsumfeld bist, ist das ganze Augenmerk auf dich gerichtet. Ich fühlte mich entblößt, als zwei Kollegen aus dem Büro mich letzten Sommer bei 38 Grad begrüßten mit den Worten: „Na, du hast ja ein kurzes Höschen an, willst wohl die Straße unsicher machen?“ Bis zu dem Zeitpunkt hatte ich mir keine Gedanken darüber gemacht, was ich anziehe. Ich sah oberkörperfreie Essenslieferanten und muss sagen, dass mich genauso wenig der Anblick eines 70-jährigen Hinterns in einem Rennradhöschen beglückt. Aber er zieht es eben an, weil sie ihren Zweck erfüllen soll. Und ich dachte, dass meine Hose genauso wahrgenommen wird. Bis dieser Kommentar kam.
Mal wird ein starker Mann über den Funk gerufen, um Möbelstücke oder Ähnliches zu tragen. Mal wirst du gefragt, ob du die Tour wirklich fahren kannst, weil es ja schon ganz schön weit sei. Eine andere Kurierin und ich wurden von Kund*innen weggeschickt, weil diese entschieden, dass wir deren Kunstgalerie nicht abbauen können. Nach langem Diskutieren hatten wir letztlich die Ehre und wurden dafür gelobt, wie schnell wir waren. Doch da war es wieder: Das Gefühl, alles geben zu müssen, nur um den Erwartungen der schwachen Frauen etwas entgegenzusetzen.
Linke Kurier*innenkollektive wie Fahrwerk oder Crow in Berlin versuchen bewusst, dagegen anzugehen. In klassischen Unternehmen wie dem, für das ich fahre, kann davon keine Rede sein. Zwei bis drei Frauen fahren aktuell, jedoch nicht Vollzeit. Was bei 50 Kurier*innen in dem gesamten Unternehmen recht wenige sind.
Diese Unterrepräsentanz ist etwas, womit sich wohl viele Frauen* in körperlichen Berufen auseinandersetzen müssen. So waren vergangenes Jahr nur rund 20 Prozent der Beschäftigten im Handwerk weiblich.
Ich wollte Kurierin werden und hatte dennoch Angst, dass ich es nicht schaffe. Mittlerweile weiß ich, dass ich gut darin bin. Ich liebe das Freiheitsgefühl und ich möchte, dass Mädchen die Furcht davor verlieren, Sport oder andere Leidenschaften auszuüben, weil sie das einzige Mädchen sein könnten. Ich bin froh darüber, dass ich die Angst überwunden und gelernt habe, meine Meinung zu sagen. Ich erwarte nicht, dass sich alle stets perfekt verhalten. Ich fluche auch, wenn ich durch die Stadt fahre. Unter anderem, um ernst genommen zu werden. Das sollte doch wohl drin sein.