Ich stehe an der Rezeption von „The Student Hotel“ und warte auf Nora. Das Semester hat angefangen. Ich habe noch keine Wohnung gefunden und überlege nun, mich hier für ein paar Monate einzumieten. Sage ich jedenfalls. Nora soll mir eine Führung geben. Die Rezeption heißt hier „Check Point“, das steht zumindest auf den Leuchtschildern über den zwei runden gelben Metallstehtischen gegenüber des Eingangs. Daneben hängt ein roter Stromkasten an der Wand und darüber noch ein Leuchtschild: „Too hot to handle“.
„Kannst du mal bitte da weg gehen, wir machen hier ein Shooting!“, herrscht mich eine große blonde Frau von der Seite an, die gerade einer anderen Frau in einen sehr dünnen beigen Trenchcoat hilft und einer Dritten mit einem durchsichtigen Schminktäschchen um den Bauch auf Englisch Anweisungen gibt, während eine Vierte in weißem Jeans-Overall Fotos macht. Ich stolpere zurück und bin verunsichert, wo ich warten soll, wenn nicht an der Rezeption – sorry, Check Point. Da kommt zum Glück Nora.
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4000 Studierende auf der Warteliste für einen Wohnheimplatz
„The Student Hotel“ ist eine Hotel-Kette mit zur Zeit dreizehn Filialen in Europa, elf weitere sind in Planung. Anfang Oktober, kurz vor Semesterbeginn, hat ein Ableger in Berlin eröffnet, erst kürzlich auch einer in Dresden. Das Konzept: Ein Hotel, in dem sich neben Touristen und Businenss-Leuten auch Studis einmieten können – entweder nur kurz oder für gleich für ein ganzes Semester. Nachdem ich am Telefon die Option „Mit den Reservierungshelden verbinden“ ausgewählt habe, erfahre ich, dass im Berliner Student Hotel ein 16-Quadratmeter-Studizimmer mit Gemeinschaftsküche für vier Monate durchschnittlich 783 Euro pro Monat kostet.
Das neue Student Hotel wurde zu einer Zeit an einen Ort gebaut, an dem es Studierende besonders schwer haben, eine Wohnung zu finden. Dem Studentenwohnreport des Finanzunternehmens MLP und dem Institut der deutschen Wirtschaft zufolge, steigen an keinem anderen Hochschulort in Deutschland die Mieten so schnell wie in Berlin. Seit 2010 sind sie jedes Jahr durchschnittlich um fast acht Prozent gestiegen, im vergangenen Jahr lag der Anstieg bei fast neun Prozent. Auch die Zahl der Studierenden in Berlin ist seit 2010 so schnell gestiegen wie sonst nirgends, nämlich um fast 30 Prozent. Wohnheimplätze gibt es dabei nur für fünf Prozent der Studierenden. Die Wartezeiten für die einzelnen Studiwohnheime betragen mindestens zwei bis drei Semester, auf der Warteliste stehen derzeit 4000 Studierende.
Immer wieder fragen Leute nach Notübernachtungsplätzen
„Wir, die wir regelmäßig das AStA-Büro betreuen, machen seit September die Erfahrung, dass immer wieder Leute nach Notübernachtungsplätzen und Hilfe bei der Wohnungssuche fragen“, sagt Tilman Schneider von der Studierendenvertretung (AStA) der Freien Universität Berlin. Auch jetzt, seit das Semester schon einen Monat läuft, kämen noch Studis, um nach Notunterkünften zu fragen. Tatsächlich hat das Studierendenwerk 50 Notschlafplätze eingerichtet. Das bedeutet: mehrere Matratzen werden zusammen in noch nicht sanierten Wohnheimzimmern auf den Boden gelegt. Sie werden Wochenweise an Studierende vermietet für jeweils fünf Euro pro Nacht plus 50 Euro Kaution. Jana Judisch, Sprecherin des Studierendenwerks, teilt auf Anfrage mit, dass derzeit nur zwei Plätze genutzt werden. „Wenn sie von den Bedingungen erfahren, sagen die Meisten: Dann schlafe ich doch lieber bei meinem Kumpel auf der Couch.“
Bevor Studierende diese Entscheidung treffen können, müssen sie jedoch erst einmal von den Notschlafplätzen mitbekommen. Auf der Website stehen keine Informationen dazu, auch Jana Judisch bestätigt, man müsse sich persönlich an das Studierendenwerk wenden, um davon zu erfahren. Tilman Schneider hat den Eindruck: Das Studierendenwerk gibt die Informationen zu den Notschlafplätzen nur auf sehr hartnäckige Nachfrage heraus. „Ende September ist eine Person zu uns ins Büro gekommen, sie war total verzweifelt“, erzählt er. Es sei eine Person of Color gewesen, sie sprach deutsch mit Akzent. „Sie hatte alle Schritte durch, war den ganzen Tag unterwegs gewesen und wurde immer wieder weggeschickt – auch beim Wohncenter vom Studierendenwerk.“
Play Area, Break Out Area, Co-Working Space
Im Student Hotel verbindet man mit Studileben offenbar etwas anderes. Auf dem Tisch, an den ich mich aus der Shooting-Schussbahn geflüchtet habe, liegen gelbe Postkarten mit der Aufschrift: „Let the student in you never die“. Auf der Website heißt es: „Wir sind The Student Hotel, eine weltweite Gemeinschaft, die über den studentischen Geist miteinander verbunden ist – offen, neugierig und bereit, sich weiterzuentwickeln.“ Dann kommt Nora: Klein, Mitte dreißig, brauner Pferdeschwanz, schlichtes Olivgrünes Kleid. „Deutsch oder Englisch?“, fragt sie mich, nachdem wir uns bereits beide in fließendem Deutsch vorgestellt haben. „Ähm… wie du möchtest“, antworte ich. „…Deutsch?“ – „Oh, das kommt selten vor!“, sagt Nora. Ob das daran liegt, dass hier vor allem internationale Studierende wohnen? Nein, sagt sie, das sei ganz gemischt, aber sie betreue hauptsächlich Businesspartner.

In dem Bereich neben der Rezeption stehen ein Kicker, eine Tischtennisplatte und eine flamingorosa Sofagarnitur. Das sei die „Play Area“, erklärt mir Nora – steht auch in großen Leuchtbuchstaben an der Wand. Daneben kommt hinter einer halbverspiegelten Glaswand ein kleiner Fitnessraum, den ich als Gast kostenlos mitbenutzen darf. Wir biegen in dem breiten Gang im blanken Beton-Look um die Ecke, kommen vorbei an „Meetingräumen“, dem „Silent Co-Working-Space“ und der „Break Out Area“, übersetzt: Wohnzimmer.
49 Euro für Geschirr, Besteck und Pfanne
Nicht nur der Fitnessraum und der „Co-Working-Space“ sind in der Monatsmiete inbegriffen. Alle Gäste bekommen auch gratis ein „Designer-Fahrrad“ geliehen. Außerdem gibt es Veranstaltungen für die Studis. Kinoabende, zwei mal die Woche Yoga. Andere Dinge wiederum muss man extra bezahlen – zum Beispiel die Küchenutensilien.
Die knalligen Farben, Schriftzüge und Leuchtschilder aus dem unteren Stockwerk haben es nicht in die Gemeinschaftsküche im zweiten Stock geschafft. Jeweils sieben bis zehn Studierende teilen sich eine Küche. Ein Gefrierschrank und zwei große Kühlschränke stehen hier nebeneinander, befüllt mit acht Litern Milch und mehreren offenen Salamipackungen, von draußen kommt graues Tageslicht und Baustellenlärm herein. Die Küchenzeile und der Herd sind bis auf wenige Krümel leer. Pfannen, Geschirr und Besteck gibt es nämlich nicht in dieser Küche – außer man mietet sie für einmalig 49 Euro.

Fast jede WG hat ihr eigenes System, wie sie die Hausarbeit aufteilt. Ich frage Nora, wie das hier mit dem Putzen abläuft. „Das sind alles erwachsene Menschen, da kann man ja drüber reden“, antwortet sie irritiert, als hätte ich gesagt, die Küche sei dreckig. Sie erzählt mir von den „Kitchen Buddies“: Hotelmitarbeitende, die sich einmal im Monat mit allen Studis treffen, die zur selben Küche gehören und gemeinsam darüber reden „wie es so läuft“. Wahrscheinlich so etwas wie ein angeleitetes WG-Plenum, denke ich. Scherzhaft fügt sie hinzu: „Und wenn es zu dreckig ist, dann gibt‘s eben kein Freibier“.
Ein Bier für zehn Euro
Sogar im Wäschekeller finden sich die Schriftzüge wieder. „Lost Socks“ steht in Buchstaben aus Stahl an der Wand, an denen man tatsächlich in der Waschmaschine zurückgebliebene Socken daran hängen kann. Eine Wäsche kostet 3,50 Euro . Nora zeigt mir, wie man in der Student Hotel App verfolgen kann, ob sie schon fertig ist. Man kann sich sogar eine Waschmaschine per App reservieren.

Bevor ich gehe, schaue ich noch an der Hotelbar mit dem kaugummi-hellblauen Tresen und den flamingorosa Barhockern vorbei. Wieder gibt es Leuchtschilder: „happy hour 5 – 7 pm“, „freakin‘ good cocktails“, „crazy“. Der Mann hinter der Bar sieht sehr jung aus, spricht Englisch mit mir und ist an diesem Vormittag unter der Woche wenig beschäftigt. Auf der Karte stehen „International Beers“ und „German Beers“, deren Namen ich noch nie gehört habe, die meisten kosten fünf oder sechs Euro für 33 Zentiliter, eins sogar zehn. Ich bestelle einen Espresso. Zwei Euro fünfzig sagt der junge Mann und hält mir wie selbstverständlich ein Kartenlesegerät hin. Leicht verunsichert reiche ich ihm das Kleingeld, das ich schon abgezählt in der Hand halte.
„Together we can be heroes, Berlin“
Das Einzige, was ich auf meiner Besichtigung noch nicht gesehen habe sind Studierende. Dabei wohnen, Nora zufolge, zur Zeit 130 von ihnen hier. Im weitläufigen Bar-Bereich sitzen drei Personen zwischen 30 und 50 Jahren vor ihren Laptops, ein etwa 60-jähriger Mann und eine junge Frau vor einem Bier. Alle, die ich anspreche, sagen mir, dass sie normale Kurzzeit-Hotelgäste sind. Plötzlich steht eine junge Kellnerin neben mir und fragt mich freundlich aber bestimmt, ob sie mir helfen könne. Es ist Zeit zu gehen.
Nur noch ein kurzer Blick auf den Shop neben dem Check-Point: Dort gibt es neben Kombucha-Matcha-Limonade und Aktivkohle-Zahnpasta T-Shirts für 19, 95 Euro auf denen steht: „Together we can be heroes, Berlin“.
Tilman Schneider vom FU-AStA kann dem Student Hotel wenig Heldenhaftes abgewinnen. Er findet es „perfide, wie Unternehmen aus der Wohnungsnot von Studierenden Profit schlagen und das von politischer Seite als akzeptable Lösung verkauft wird“.