Sobald mein Nachname fällt, lautet die darauf folgende Frage meistens: „Ach, du kommst aus dem Ostblock. Woher denn genau?” Das ist nervig, aber lange noch nicht alles. Insbesondere Männer überhören im weiteren Gesprächsverlauf, dass ich in Deutschland geboren und nicht mal großartige Sprachkenntnisse besitze. „Eltern aus Polen und Russland?! Wow, heißer Mix!” Man könnte annehmen, sie sprechen von einem Cocktail: Ein Schuss Kokosnussmilch, Ananassaft, frisch gepresste Zitrone, Pfefferminzblätter und zwei Zentiliter Likör. Fertig ist der Exotic Dream. Nein, sie sprechen von mir, teilweise auch von meiner Mutter und unseren “angeborenen Eigenschaften”.
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Denn plötzlich bin ich nicht mehr nur ihre Kommilitonin, Arbeitskollegin, Patientin, Schülerin oder Nachbarin, sondern eine langbeinige Schönheit, die es kaum noch abwarten kann, endlich geheiratet zu werden oder Männer auf eine ganz besondere Weise zu verwöhnen. Hohe Wangenknochen und breite Gesichter verleihen osteuropäischen Frauen angeblich das reizende Aussehen. Wie auch die Maße in 90-60-90, prahle Haut, üppige Lippen und hell-leuchtende Kulleraugen. Osteuropäische Frauen erfüllen für diese Männer sämtliche normative Schönheitsideale. Wir werden dadurch aber lediglich zum Objekt der Begierde. Das sagt natürlich niemand so. „Traumfrau” klingt aus männlicher Perspektive wohl etwas erstrebenswerter.
„Wenn es schon mit der Tochter nicht klappt, dann vielleicht mit der Mutter.”
Erst wenn unsere Enkel erwachsen sind, verwandeln wir uns schlagartig in dicke Babuschkas mit hässlichen Kopftüchern. „Russische Frauen haben ein anderes Haltbarkeitsdatum. Das sieht man auch bei deiner Mutter”, sagte Tobias aus meiner alten Klasse, nachdem er sie auf unserem Abiball sah. Auch sonst war es für mich nicht überraschend, wenn Männer in meinem Alter sie angafften oder mich nach ihrer Telefonnummer fragten. „Wenn es schon mit der Tochter nicht klappt, dann vielleicht mit der Mutter. Ihr steht ja auf deutsche Männer.” Seine Reaktion erklärt vermutlich, warum ich sie lange vor meinen Freunden versteckt habe. Dass Typen sich erlaubten, meine Mutter aufgrund ihrer Herkunft zu sexualisieren, ertrug ich nicht.
Dieses osteuropäische Frauenbild begegnet mir nicht nur in persönlichen Gesprächen, sondern auch in TV-Formaten, Tageszeitungen, Internetportalen, Werbeclips, Lehrmaterial oder auf Facebookseiten: Von Hans-Jürgen, der in Moskau seine Zukünftige sucht bis hin zu Ratgebern, die empfehlen, wie man mit russischen Frauen umgehen soll. Alle berichten sehr begeistert über eine auffällig große Anzahl von attraktiven Frauen, die auf erstklassigem, genetischen Erbmaterial beruht. Wie problematisch eine Weltanschauung ist, die Menschen in eine Schublade steckt, scheint auch im 21. Jahrhundert noch nicht angekommen zu sein. Ebenso, dass Schönheit subjektiv, nichts angeborenes ist und ich deswegen auch keine langen Beine, ausgeprägte Wangenknochen oder reine Haut habe. Was für mich übrigens total ok ist.
Frauen aus dem Ostblock leiden gerne für ihre Männer
Neben optischen Merkmalen werden mir bei der Bekanntgabe meines Nachnamens auch Charaktereigenschaften angedichtet. Es ist die Vorstellung einer perfekten Ehefrau und Mutter als Trostspenderin oder Wegweiserin. Als Beschützerin des “starken, männlichen Geschlechts”, die im Hintergrund hart dafür arbeitet, dass ihr Ehemann, Vater, Bruder oder Cousin wie ein Held aussieht. Für sie zu leiden, macht Frauen aus dem Ostblock nämlich glücklich.
Ein Image, das auch in russischen Märchen oder in der Literatur so vorkommt. In “Die Froschkönigin” ist der Frosch nicht wie im deutschen ein Prinz, sondern eine verzauberte schöne Frau. Ihr Mann, der Zarewitsch Iwan, hätte besser auf sie hören sollen, denn dann wäre ihnen viel Unglück erspart geblieben. In vielen Geschichten rettet der gute Rat der Frauen die Männer. Bewahrt sie davor, in einen Ziegenbock verwandelt zu werden, lässt sie in Krisen Ruhe schlafen und erhält sie am Leben. Oder Dichter wie Nikolai Nekrasow, der Frauen zu Heldinnen werden lässt, weil sie sich für ihre Männer aufopfern. Sie sind nicht unterdrückt, sondern mit ihrem “bitteren Schicksal als Ehefrau” zufrieden. Eine vom Mann völlig unabhängige Rolle bekommen Frauen eher selten. Der Heroismus der Selbstaufopferung hält sich bis heute im osteuropäischen Frauenbild und wird offensichtlich in die Köpfe meiner männlichen Mitmenschen gespült.
Wir wollen ausländische Männer
Angeblich wollen wir ausländische Männer. Die sich deswegen, wie sie selbst sagen, als galante Männer inszenieren. Und ziemlich gute Chancen bei uns haben, weil wir Männer aus dem Ostblock nicht heiraten wollen. Ob man diese Aussage mit knapp über 600 Brautvisen, die die amerikanische Botschaft im vergangenen Jahr ausgestellt hat, beweisen kann, wag ich doch stark zu bezweifeln. Ebenso sind unsere Väter und Brüder nicht automatisch bei der Mafia. Punkt. Lustigerweise kenne ich auch keine einzige Frau, die völlig gleich wo auf der Welt sie zu irgendeinem Zeitpunkt mal gelebt hat, den Hausputz als Vergnügen empfindet. Vielleicht liegt es eher daran, dass unbezahlte Sorgearbeit immer noch hauptsächlich von Frauen übernommen wird.
Geschmacklos angezogen bin ich übrigens nicht, weil meine Vorfahren zu Sowjetzeiten keinen einfachen Zugang zur Weltmode hatten. Eher, weil ich pleite bin, meine Mitbewohnerin und ich aus einem Schrank leben und der Anspruch “mit Stil kleiden” im Winter irgendwie schnell unwichtig wird.