Ihr seid in unterschiedlichen Bewegungen aktiv. Was hat Euch dazu bewogen, als antirassistische und antifaschistische Koalition gemeinsam zur Teilnahme an der #unteilbar Demonstration am 24.08 in Dresden aufzurufen?
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Newroz Duman: Wir sind mit der Gefahr eines neuen Faschismus konfrontiert, daher brauchen wir neue Koalitionen. Wir, die schon lange in den jeweiligen Feldern aktiv sind, haben uns in neuer Konstellation zusammengeschlossen: Betroffene rechter Gewalt, Migrantinnen, Antifaschistinnen, Feministinnen, lokale Initiativen…

Vincent Bababoutilabo: Dabei geht es auch darum, gemeinsam einen neuen politischen Stil zu entwickeln und uns der Stärke bewusst zu werden, die wir jetzt schon haben. Im Mittelpunkt steht unser Wissen über Rassismus, Neofaschismus und die – nicht selten erfolgreichen – migrantischen Kämpfe der letzten Jahrzehnte. Wenn Migrantinnen über ihre Geschichte sprechen und zusammen mit Antifas ihr Wissen über Nazis und die Rolle des Staates entfalten, oder wenn Geflüchtete ihre Kenntnis der Globalisierung und ihrer eigenen Entrechtung aussprechen, entsteht eine neue politische Kraft.
Ulrike Sommer: Auch etwas anderes ist wichtig: Der Rassismus und die faschistischen Potentiale sind eine Konstante von staatlicher Politik in Ost und West. Es ist schließlich nicht die AfD, die immer neue Asylgesetze beschließt, den NSU deckt, die Seenotrettung kriminalisiert oder die Bildung von rechten Netzwerken in Polizei und Militär hinnimmt. Entrechtung, Verdrängung, Gewalt vollziehen sich tagtäglich in der sogenannten “Mitte” der Gesellschaft.
Ihr lebt teilweise in Sachsen und wart außerdem auf Tour durch Dörfer und kleine Städte. Was ist eure Erfahrung und was wollt ihr dem Rechtsruck entgegensetzen?
Newroz Duman: Wir haben in unserem Aufruf gesagt: “Sachsen ist schlimmer und schöner als viele denken”. Das ist auch der Eindruck von unserer Swarming-Tour, auf der wir mit vielen Menschen aus Lagern und mit Aktivistinnen über Rassismus und ihre Widerstandsstrategien gesprochen haben. Es ist unglaublich mutig, wie die Leute dem Rassismus täglich die Stirn bieten. Aber sie werden kriminalisiert, eingeschüchtert und angegriffen. Der Rassismus und die faschistische Dynamik sind erschreckend.

Ulrike Sommer: Wir haben gemerkt, dass uns vieles verbindet. Entrechtung und Gewalt trifft nicht alle gleich, aber der aufkommende Faschismus richtet sich gegen uns alle. Abschiebungen, Zwangsräumungen oder Polizeigewalt zielen darauf ab, uns zu vereinzeln und zu verunsichern. Dagegen anzukämpfen ist nicht immer einfach. Solidarität ist die wichtigste Waffe gegen die Faschisierung der Gesellschaft. Es geht uns aber nicht nur darum, dieses Gefühl zu stärken, sondern auch ganz praktisch füreinander „Backup“ zu sein.
Vincent Bababoutilabo: Ich habe neun Jahre in Sachsen gelebt und kann mich nur anschließen. Wichtig ist zudem ein Perspektivwechsel hin zu den Menschen, die eine Gesellschaft der Vielen leben und verteidigen. Migrantinnen haben in Kassel bereits 2006 den Zusammenhang zum Naziterror hergestellt, als die Polizei noch von “Dönermorden” sprach. Antifas weisen seit Jahrzehnten auf rechte und autoritäre Tendenzen der “Mitte” hin und auf die Rolle und Terrorbereitschaft von Nazinetzwerken. Zum Beispiel in Kassel, wo Regierungspräsident Lübcke erschossen wurde. Und wer kann besser von der Normalität und Alltäglichkeit rassistischer Entrechtung und Diskriminierung berichten als Geflüchtete? Deswegen ist es so wichtig, dass wir uns zusammenschließen mit unserem Wissen, unseren Erfahrungen und unseren Widerstandsstrategien.
Wie sieht eine gemeinsame Organisierung bei drei Gruppen aus, die jede für sich schon bundesweit vernetzt sind?
Vincent Bababoutilabo: In erster Linie geht es darum, uns besser zu vernetzen und gegenseitig zu unterstützen. Wir wollen Dinge bündeln und in aller Vielfalt sagen: “Das alles hier gehört zusammen und ist Teil eines gemeinsamen Kampfes.”
Ulrike Sommer: Uns verbindet eine konkret-alltägliche Praxis: Antifa-Arbeit, Unterstützung für Geflüchtete… Wir sind die, die 365 Tage im Jahr vor Ort sind, in Sachsen, Brandenburg und überall. Wir haben unterschiedliche Ausgangspunkte, aber das gleiche Ziel.
Newroz Duman: Die Leute müssen sich kennen lernen, gerade auch Migrantinnen und Antifas oder deutsche Linke. Das ist nicht nur eine politische Frage, sondern eine soziale Aufgabe. Räume schaffen, Empowermentstrukturen organisieren, Begegnungen ermöglichen, sich zuhören, voneinander lernen und gegenseitig Mut machen. Klingt banal, ist aber revolutionär! Denn das Wissen liegt auf der Straße. Es muss aufgeschnappt und politisiert werden.
Wie geht es nach der Demo bei Euch weiter?

Vincent Bababoutilabo: Ein wichtiges nächstes gemeinsames Projekt ist das Tribunal, das vom 1. bis 3. November in Chemnitz und Zwickau stattfindet. Damit gehen wir an den Ort der Täterinnen, in die Städte, in denen der NSU gut vernetzt lebte und wo im Oktober 2018 Rechte Hetzjagden auf Migrant*innen verübten. Dort fordern wir gemeinsam mit den Betroffenen Gerechtigkeit ein.
Ulrike Sommer: Wir gehen zwar am Samstag, eine Woche vor der Landtagswahl auf die Straße. Aber dieser Termin ist nur der Auftakt. Rechte Kräfte im Parlament werden alle Möglichkeiten nutzen, um unsere Arbeit noch stärker zu kriminalisieren. Deswegen ist es wichtig, dass wir in der neu geschlossenen Konstellation unsere Solidarität verteidigen.
Newroz Duman: Wichtig ist auch, weiter dafür zu kämpfen, dass linke Forderungen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Wenn die Frage lautet: offene Grenzen oder soziale Gerechtigkeit, ist die Frage falsch gestellt. Migrationsbewegungen müssen als Widerstand gegen die globalen Ausbeutungsverhältnisse und die ihnen zugrunde liegende nationalstaatliche Ordnung verstanden werden. Es geht in diesen Kämpfen um Bewegungsfreiheit, um soziale und politische Rechte. Flucht und Migration lassen sich für uns nicht nur mit einer humanitären Asylpolitik beantworten.