In einer Zeit, in der jedes Signal des menschlichen Körpers vermessen wird, drängen Apps wie Clue und Lilly auf den Markt. Die Programme vermessen den weiblichen Zyklus und generieren daraus Informationen für die Nutzerinnen. Zum Beispiel, wann Sex ohne sonstige Verhütungsmittel gefahrlos ist. Oder, wann gerade der beste Zeitpunkt ist, um schwanger zu werden. Die Apps stellen diese Berechnungen aber nicht umsonst an. Nur: Wie verdienen die Firmen ihr Geld? Wer kauft Daten darüber, wie oft jemand Sex hat und wie die Konsistenz des Zervix-Schleims dabei war? Eine Recherche.
Wenn wir über Verhütung reden, dann geht es immer auch um eine selbstbestimmte Sexualität. Ersteres ist Grundlage für das zweite. Meistens. Das Reden darüber ist trotzdem manchmal gar nicht so einfach. Auch in linken, emanzipierten Kreisen nicht. Nehmen wir die Pille: für die einen ist sie eine feministische Revolution. Das Wunderallheilmittel, die sexuelle Befreiung mit Packungsbeilage. Andere erzählen von Lustlosigkeit und Gefühlsschwankungen, klagen darüber, nicht mehr sie selbst zu sein.
Meine Freundin und ich haben lange mit der Pille verhütet. Irgendwann wollen wir damit aufhören. Die Gründe: Zum einen der Wunsch auszuprobieren, was eigentlich passiert, wenn man die Hormone absetzt, die seit Ewigkeiten den Körper modulieren. Zum anderen: Die Pille belässt die gesamte Verantwortung für die Verhütung bei der Frau. Sie muss daran denken, sie trägt auch die Konsequenzen, wenn sie die Einnahme vergisst. Meist tragen Frauen auch noch die Kosten. Aber was sind die Alternativen? Die Antwort: there is an app for that.
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Apps haben längere Öffnungszeiten als jede Frauenärztin
Wir haben uns eine Anwendung heruntergeladen. Das in Pink und Lila gehaltene Programm dokumentiert den weiblichen Zyklus und bestimmt, wann Sex möglich ist und wann zusätzlich besser ein Kondom benutzt werden sollte. Digitale Zyklustracker sehen gut aus. Das Beste: sie haben längere Öffnungszeiten als jede Frauenärztin. Die Programme basieren auf Methoden der natürlichen Empfängnisverhütung. Wenn es der Benutzerin um Verhütung geht, ist besondere Vorsicht geboten und auch eine ärztlich Beratung ist unumgänglich. Das sagen die meisten Programme ihren Benutzer*innen aber nicht so klar.
Damit die Apps genaue Berechnungen anstellen können, verlangen sie allerlei Daten. Nicht nur, an welchen Tagen die Blutungen einsetzten, wird dort eingetragen. Der Algorithmus verlangt von der Benutzerin Informationen darüber, wie oft sie ausgeht, wieviel sie trinkt, ob sie raucht oder Medikamente nimmt. Wie oft sie geil wird, wann bzw. ob sie Sex hatte und in welchen Positionen, ob sie reine Haut hat, ob sie gut geschlafen hat. Die App will auch wissen, welche Konsistenz der Zervixschleim hat – zur Auswahl stehen beispielsweise „cremig“ oder „fadenziehend“.
Die Benutzer*innen verraten dem Programm also ganz schön viel über unser Privatleben. Wo Daten entstehen, da entstehen im Kapitalismus auch immer Begehrlichkeiten. Spätestens hier stellt sich die Frage: Was macht die App eigentlich mit all diesen Informationen? Die Programme sind meist kostenlos. Und schwer gefragt: Nach einer Studie der Columbia University sind Zyklusapps die viertbeliebteste Apps unter Erwachsenen und die zweitbeliebteste unter Frauen in der Kategorie „Gesundheit“. Längst sind große Firmen eingestiegen, haben ihre eigenen Algorithmen programmiert und eigene Apps auf den Markt gebracht. Sie werden dies wohl kaum aus selbstlosen Gründen oder für besseren Sex für uns alle getan haben. Die Frage ist also: Wie lässt sich aus Blut und Sex Geld machen?
Was machen die Apps mit unseren Daten?
Wir fragen bei den Herstellern nach. Die App „Clue“ hat ihren Sitz mitten in Kreuzberg. CEO und Gründerin des Programms geht offensiv damit um, dass die App allerlei Daten einsammelt. „Wir wollen es für alle einfacher machen, über die weibliche Gesundheit zu reden“, sagt Ida Tin. In dem Programm können, wie in einem sozialen Netzwerk, Daten mit anderen geteilt werden. „Für eine Frau in einer Beziehung wird es über ‚Clue Connect‘ einfacher, mit ihrem Partner über ihre Periode, Stimmungsschwankungen oder fruchtbare Tage ins Gespräch zu kommen“, meint Tin. Die App teilt die Informationen zu Studienzwecken mit ausgewählten Instituten, aber nicht mit privaten Werbeanbietern, versichern die Programmierer*innen.
Christian Maas hat die App myNFP programmiert. Auch seine Freundin hatte irgendwann keine Lust mehr, die Pille zu nehmen. Sie fing an mit natürlicher Verhütung, hatte jedoch das gleiche Problem wie viele anderen Frauen: Es gab keine gute Webseite oder Software, mit der man regelkonform seine Zyklen aufzeichnen könnte. Und Zyklen auf Papier? Viel zu umständlich. Daraufhin bastelte Maas das Programm myNFP. Diese verzichtet zwar auf Werbung, kostet aber auch Geld. Dafür werden die Daten der User nicht getrackt. Andere Apps würden die Daten an Firmen weiterverkaufen.
Profit mit unseren Körpern
Wie das genau funktioniert, beschäftigt ein Kollektiv aus Brasilien. Die Gruppe hat einen Online-Ratgeber mit dem Titel „Chupados“ herausgegeben, in dem sie über verschiedene Apps und ihre Geschäftsmodelle schreiben. Die Gruppe versteht sich als feministisch, ein Mitglied der Gruppe, Varon, begründet das: „In feministischen Diskursen geht es viel um Konsens und darum geht es auch beim Thema Daten. Wenn wir nicht wissen, was nach unser Einwilligung, eine App zu benutzen, mit den Daten passiert oder wir nicht richtig informiert werden, dann hat das auch etwas mit Konsens zu tun“. In ihrer Untersuchung beliebter Zyklusapps fand das Team aus Aktivist*innen, Autor*innen und Technolog*innen heraus, dass die meisten Programme ihr Geld mit der Produktion und Analyse von Daten erwirtschaften. Mit anderen Worten, sie verdienen Geld mit Informationen über die Körper der Nutzer*innen, die aus ihren Profilen und Interaktionen mit der App stammen.
Die Daten werden verwendet, um Konsumentenprofile zu erstellen, die dann an Anbieter, die zielgerichteten Anzeigen schalten, verkauft werden. Und die Firmen wollen noch mehr: Erste Vibratoren, die Daten messen, speichern und automatisch weitergeben können, sind bereits auf dem Markt. Auch smarte Tampons, die mit Endgeräten wie Handys oder Computern verbunden werden können, gibt es bereits. Das ist ziemlich heikel. Da die Programme Zugriff auf intimste Daten haben, kann es also durchaus sein, dass einem dann das passende Sexspielzeug für die geheimen Vorlieben auf Facebook angezeigt wird oder Babymode, wenn es doch mal nicht geklappt hat mit der richtigen Verhütung.
Was tun? Sparsamer umgehen mit den eigenen Daten? Das Problem dabei: Eine Studie von Stiftung Warentest prüft verschiedene Zyklusapps. Das Ergebnis lässt sich wie folgt zusammenfassen: Je mehr Daten die Algorithmen zum Verarbeiten bekommen, desto sicherer wird die Verhütung. Beschränken sich die Apps in der Errechnung der unfruchtbaren Tage nur auf Informationen zu den Tagen der Blutung und ziehen keine zusätzlichen Daten wie Temperaturmessung hinzu, sinkt die Verhütungssicherheit enorm.
Feminismus in der Tech-Branche?
Dadurch entsteht ein Dilema, findet auch die feministische Sexualwissenschaftlerin Elena Wessenburg, die wir treffen. Auf der einen Seite reihen sich die Zyklusapps ein in den neoliberalen Trend zur Vermessung, Bewertung und Monetarisierung des noch kleinsten Körpersignals. Sie passen in eine Zeit, in der Krankenkassen jenen, die ihre Leistungsdaten bei den täglichen Leibesübungen direkt übermitteln, Rabatte auf ihre Versicherungen gewährt. Auf der anderen Seite sind sie auch ein Erfolg: „Der Tech-Branche ist es lange schwer gefallen, überhaupt auf die Bedürfnisse von Frauen einzugehen“, sagt Wessenburg. Ein Beispiel? Die App HealthKit ist auf vielen Apple-Produkten vorinstalliert. Sie ermöglicht es, gesundheitliche Daten der Nutzer wie Herzschlag, Blutdruck oder Gewicht zu beobachten. Jedoch: „Die Bedürfnisse von etwa der Hälfte der Menschheit hat der Konzern lange ignoriert, erst seit 2015 ist es möglich, Daten zu der weiblichen Gesundheit, also Menstruation oder Zervixschleim, überhaupt eintragen“, erzählt Wessenburg.
Menstruation ist immer noch ein Tabuthema. Wenn darüber geredet wird, dann hinter vorgehaltener Hand. „Mit Tampons wird im deutschen Alltag oft noch hantiert wie mit einem Päckchen Heroin“ schreibt die Spiegel-Redakteurin Angela Gruber über Situationen, in denen sich Kolleginnen diese geheimnistuerisch über den Schreibtisch zuschieben. Schuld sind natürlich nicht die Frauen, sondern das Patriarchat. Die Schriftstellerin Gloria Steinem bringt das auf den Punkt: Wenn Männer bluten würden, wäre die Menstruation „ein beneidenswertes, maskulines Ereignis: Die Männer würden damit prahlen, wie lang und wie viel sie könnten“. Auch die Sexualwissenschaftlerin Wessenburg meint: „Weibliche Gesundheit ist viel zu oft zweitrangig belichtet“. Deshalb seien die „Menstruapps“ nicht einfach zu verteufeln. Es ginge aber darum, zu verhindern, dass „erneut irgendwelche Männer mit der weiblichen Gesundheit Geld machen“.
Eine andere Zyklusapp ist möglich
Es bleibt ein Dilemma. Was tun? Marie Kochsiek ist Soziologin und Entwicklerin, sie hat sich intensiv mit Zyklusapps auseinandergesetzt. Sie plädiert in einem Interview mit Netzpolitik.org dafür, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und Apps zu entwicklen, die mit offener und freier Software funktionieren und auf die Bedürfnisse der User*innen eingehen.
Wenn es der User*in um Verhütung geht, ist ganz besondere Vorsicht geboten und eine ärztliche Beratung und Begleitung unumgänglich. Auch hier sind Zyklus-Apps mehr Hilfsmittel als selbständige Alleskönner. Auch Verhütungsmittel für den Mann sind eine Alternative, die stärker erforscht werden sollte. Solange das aber Zukunftsmusik ist, wird es für uns wohl keine perfekte Methode geben. Kein Sex ist schließlich auch keine Lösung.