Das neue Jahr hat begonnen und so geht auch der Wettkampf um den Riot Award wieder los. Diese Trophäe aus der linken Szene ist allerdings nicht nur ein lustiges Online-Projekt, sondern kann gefährliche Dynamiken entfachen. Das Prinzip dahinter: Je krawalliger der Aktivismus, desto besser. Ein Jahr lang können Aktivist:innen ihre militanten Aktionen auf der Webseite des Awards melden. Verschiedenen Aktionen werden jeweils Punkte („Flames“) zugewiesen. Wenn Aktivist:innen etwa eine Barrikade bauen, gibt das 50 Punkte, brennende Autos bringen 100 Punkte. Am Ende des Jahres erhält dann der Ort mit den meisten Punkten den versprochenen „digitalen Funpokal“. Vergangenes Jahr gewann der Dannenröder Wald, gefolgt von Leipzig und Berlin. Insbesondere auf Twitter machten die humorig formulierten Statements der Betreiber:innen des Riot Awards die Runde. Doch auch im real life ist der Pokal Thema, zumindest in linksradikalen, aktivistischen Kreisen. Vereinzelt berichtete auch die bürgerliche Presse. Dabei gehört der Riot Award abgeschafft. Dafür gibt es mindestens vier gute Gründe.
1. Der Riot Award ist inhaltsleer
Auf die Inhalte hinter dem militanten Verhalten, das der Award fördern will, kommt es nicht an. Über Inhalte sprechen die Juror:innen erstaunlich wenig. Dabei ist linke Militanz kein Selbstzweck. Militanz, die mehr als Selbstbespaßung sein will (wobei Selbstbespaßung auch mal okay sein kann!), bearbeitet gesellschaftlich diskutierte Inhalte. Sie unterstreicht die Dringlichkeit, spitzt die Konflikte zu, radikalisiert den Protest. Die Black-Lives-Matter-Proteste sind ein gutes Beispiel dafür. Oder die Kämpfe für Klimagerechtigkeit im Hambacher- und im Dannenröder Wald. Zwischenerfolge durch Militanz sind möglich. Gewinnen lassen sich solche Kämpfe jedoch momentan nicht ohne entsprechende gesellschaftliche Debatte, statt durch den Einsatz von Gewalt allein.
2. Unkritische Haltung gegenüber patriarchalen Gewaltvorstellungen
Die Gewalt, die in solchen Protesten angewandt wird, ist nichts Schönes, Geiles oder Lustiges, von dem im amüsiert-neckischen Tonfall berichtet wird. Gewalt ist etwas Hässliches, Abstoßendes. Auch verändert sie den, der sie ausübt. Das bedeutet nicht, dass Gewalt nicht notwendig sein kann, unter anderem auch als Notwehr. Fetischisieren sollte man sie trotzdem nicht. In dem neckischen Tonfall der Award-Ausschreibung schwingt aber genau das mit. Außerdem neigen insbesondere Männer dazu. Über den problematischen Zusammenhang von linker Militanz und Männlichkeit (in Bezug auf Antifa-Gruppen) schreibt Jeja Klein in der Zeitschrift Analyse und Kritik: „Maskulines, dominantes Gehabe gilt in Antifakreisen oft als schiere Notwendigkeit im Angesicht eines gewaltaffinen politischen Gegners. Es wird darum nicht als Kennzeichen einer patriarchalen Persönlichkeit gedeutet und kann daher in Antifacliquen und -gruppen permanent reproduziert werden, ohne auf größere Kritik zu stoßen“.
Militanz besitzt also das Potenzial, die patriarchalen Zustände der linken Szene zu untermauern. Und tut das oftmals auch. An Auseinandersetzung damit fehlt es meist – so auch beim grundsätzlich unkritischen Riot Award.
3. Der Riot Award nutzt Gamification
Ein Blick auf das Konzept hinter dem Award erklärt die Faszination, die manche dafür haben: Gamification. Der Begriff stammt eigentlich aus der Werbeindustrie. Er beschreibt das Phänomen, dass Prinzipien von Gamedesign in nichtspielerischen Bereichen angewandt werden. Bekannte Spieleprinzipien wie klare Regeln, machbare Herausforderungen, symbolische Belohnungen für erreichte Ziele und eine poppige Optik wirken auch beim Riot Award ansprechend. Militante Aktionen sind auf der Webseite im Computerspiel-Stil in „Direct fight“ oder „Rampage“ eingeteilt.
Das kann seltsame Blüten treiben, da Gamification immer eine Hierarchie von Spieler:innen und Spielleiter:in schafft. So ärgerten sich die Betreiber:innen des Riot Award auf Twitter über den ausfallenden Tonfall von Aktivist:innen, die ihre Aktionen heruntergespielt sahen, da sie keine Punkte erhalten hatten. In der Praxis beweisen sich altbekannte theoretische Erkenntnisse: Gamification beruht auf psychologischen Grundannahmen des Behaviorismus. Demnach können Lernprozesse durch ein Reiz-Reaktionsschema herbeigeführt werden. Für die gelöste Matheaufgabe gibt’s einen Schokoriegel. In der Anwendung droht das immer wieder auf Konditionierung oder gar Dressur hinauszulaufen.
4. Konkurrenzdenken in der linken Szene
Das Element des Wettbewerbs (zwischen Städten), das im Riot Award ebenfalls auftaucht, hat in linker Politik nichts zu suchen – ob man es nun als bürgerlich, patriarchal oder unsolidarisch bezeichnet. Natürlich darf linke Politik militant sein, natürlich darf sie auch Spaß machen. Stark am Riot Award bleibt immerhin die deutlich positive Bekenntnis zu Militanz, die eine mit dem bürgerlichen Status Quo unversöhnliche Politik macht. Auch erhielten durch den Riot Award gelungene militante Aktionen in einigen Städten mehr Aufmerksamkeit. Wenn militante Politik selbst aber zum kompetitiven Spiel ohne ausreichende Selbstreflexion verkommt, hat das nur noch wenig mit sozialem Kampf und Widerstand zu tun. Und darum sollte es doch eigentlich gehen.