Sachsen? Sind doch alles Nazis! Es gibt viele Vorurteile über den Osten der Republik. Doch auch in der sächsischen Provinz setzen sich Antifaschist*innen gegen rechte Strukturen zur Wehr. Am Samstag machte die Marktplatztour von #wannwennnichtjetzt in Plauen halt (lest den nd-Text hier).
Wir haben mit fünf jungen Plauener*innen gesprochen, was sie von der Stadt halten, welche Klischees sie nerven und wie man linke Strukturen im Freistaat unterstützen kann.
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„ES GIBT VIELE COOLE LEUTE HIER“
Eva (24), angehende Studentin
Selbst die New York Times berichtete über den Aufmarsch der neonazistischen Partei „Der Dritte Weg“ am 1. Mai in Plauen. Wie war das für euch?
Seit diesem Tag ist die Außenwahrnehmung auf jeden Fall anders. Plötzlich wissen alle, wo Plauen ist.
In ein paar Wochen wird gewählt. Wie ist die Stimmung in der Stadt?
Ziemlich polarisiert. Es gibt viele AfD-Wähler. Traurig machen mich vor allem die Mitläufer. Beim Aufmarsch des „Dritten Wegs“ am 1. Mai haben sich einige Plauener den Nazis angeschlossen. Das fand ich erschreckend. Es gibt aber auch viele Menschen, die überhaupt nichts mit den Rechten angefangen können.
Nervt dich das Alle-Sachsen-sind-Nazis-Klischee?
Ja, auf jeden Fall! Erst vergangenes Wochenende habe ich gehört, wie jemand in Berlin sagte: „Sachsen? Einfach eine Mauer drumherum bauen, dann ist das Problem gelöst“. Das ist so dumm. Nicht alle Sachsen sind Nazis. Es gibt hier viele coole Leute – und die sollte man unterstützen.
Wie denn?
Die Region nicht aufgeben, bei Demonstrationen auch mal in die Provinz fahren oder noch besser: nicht nach Hypezig, sondern aufs Dorf ziehen und dort Politik machen!
„WENIGER SCHEUKLAPPEN ALS IN BERLIN“
Du bist von Berlin nach Plauen gezogen. Warum?
Mir war Berlin zu schnelllebig und oberflächlich. Deshalb bin ich ins „Dorf“ gekommen. Hier hat man viel mehr Nähe und geht nicht mit Scheuklappen durch die Straßen. Man vernetzt sich untereinander viel besser als in Großstädten. Ich kenne hier viele bunte Menschen und wurde offen empfangen, als ich hergezogen bin. Leider geht das in den Medien meist unter.
Was nervt dich an der Berichterstattung?
Die Medien berichten nicht darüber, dass es noch andere Seiten gibt. Klar, es gibt Probleme mit Rechten. Aber: In Plauen existieren auch viele Organisationen, Vereine und Einzelpersonen, die gegen rechts kämpfen.
Am 1. Mai marschierten Nazis im NSDAP-Style durch die Stadt, die Bilder gingen um die Welt. Wie hast du den Tag wahrgenommen?
Ich war dabei – natürlich auf der Gegenseite. Ich fand es erschreckend, dass dieser Aufmarsch von Polizei, den Behörden und vielen Mitmenschen geduldet wurde. Die Demonstration sah aus wie in den Geschichtsbüchern. Und was das Ganze noch schlimmer gemacht hat: Die Menschen, die sich den Nazis entgegenstellten, wurden als die Unruhestifter dargestellt.
Wie kann man Antifaschist*innen in Plauen unterstützen?
Zum Beispiel durch Aktionen wie die #wannwennnichtjetzt-Tour. Dadurch wurde ein Netzwerk geschaffen und die Städte unterstützen sich nun untereinander. Das finde ich super!
„MIR GEFÄLLT PLAUEN SEHR GUT“
Wie gefällt dir Plauen?
Mir gefällt die Stadt sehr gut. Ich bin aus Eritrea geflohen – erst in den Sudan, dann nach Libyen und Italien. Vor drei Jahren kam ich nach Plauen. Hier habe ich erst die Schule beendet und danach eine Ausbildung angefangen.
Man hört viele negative Dinge über die Stadt. Was denkt du darüber?
Ich hatte bis jetzt keine Probleme. Ich war unter 18 als ich hierhin gekommen bin. Viele Menschen haben mir geholfen; die meisten Plauener sind sehr nett. Ich habe viel Kontakt mit meinen Klassenkameraden, Kollegen und den Lehrern und Lehrerinnen. Ich will auf jeden Fall in Plauen bleiben.
Warum bist du heute bei der Marktplatztour von #wannwennichtjetzt?
Mir gefällt, dass hier unterschiedliche Menschen zusammenkommen. Und natürlich, weil Musik gespielt wird und man Basketball spielen kann.
„ALTKLUGE BEMERKUNGEN BRINGEN UNS NICHT WEITER“
Paul (20) macht gerade sein Fachabitur
Du bist Antifaschist und lebst in Plauen. Hattest du deshalb oft Probleme?
Einmal wurde ich von einem Auto verfolgt – das war schon echt gruselig. Aber als weißer Deutscher bekommt man viele Sachen nicht mit. Bei nicht-weißen Menschen sieht das anders aus: Es gibt gewalttätige Übergriffe, Anfeindungen auf der Straße, misstrauische Blicke.
Nerven dich die Klischees über Sachsen?
Ja! Bei bestimmten Ereignissen – wie den Ausschreitungen in Chemnitz oder dem Aufmarsch des „Dritten Wegs“ in Plauen – sind die Stimmen in den Medien immer ganz laut. „Oh mein Gott, das geht ja nicht“, heißt es dann. Stimmt ja auch, aber es nervt, dass die Aufmerksamkeit nur bei bestimmten Ereignissen da ist. Wir sind diesen Verhältnissen jeden Tag ausgesetzt. „Der Dritte Weg“ macht hier Stadtteilarbeit. Die Leute sollten permanent den Fokus darauf legen. Altkluge Bemerkungen wie „War ja klar, dass so etwas in Sachsen passiert“ bringen uns nicht weiter.
Wie könnte man es besser machen?
Über coole Aktionen wie diese Tour oder Blockaden gegen Naziaufmärsche berichten. Wenn das nicht passiert, wird unsere Arbeit unsichtbar gemacht. Und liebe Leute von außerhalb, fahrt doch mal hier hin! Oder macht Urlaub in der sächsischen Provinz und unterstützt dort linke Gruppen. Das würde wirklich helfen.
Reicht das? Müsste nicht auch offensiver gegen Nazis vorgegangen werden?
Es ist wichtig, dass sich Antifas wehren können. Nazis gehen über Leichen. Ich selbst möchte keine Gewalt anwenden, sehe aber Gewalt in bestimmten Situationen als legitim. Deshalb finde ich es gut, dass sich Menschen offensiv gegen Nazis stellen und nicht vor körperlichen Auseinandersetzungen zurückschrecken.
„ALS LINKE BEKOMMT MAN EINEN STEMPEL AUFGEDRÜCKT“
Lizzy (17) hat gerade die Schule beendet
Du bist in Plauen geboren und aufgewachsen. Wie war das so?
Ich habe hier viele alternative Menschen kennengelernt und bin in linken Orten aktiv, wie zum Beispiel im Kulturzentrum Malzhaus oder im Hausprojekt Schuldenberg. Ich engagiere ich mich auch im Jugendclub. Wenn der „Dritte Weg“ mal wieder aufmarschiert oder Aktionen macht, stelle ich mich ihm zusammen mit vielen anderen entgegen.
Bekommt man als Linke manchmal Probleme in der Stadt?
Wenn man sich links engagiert, bekommt man direkt einen Stempel aufgedrückt – und zwar, weil man sich für eine offene Gesellschaft engagiert. Man bekommt zu hören, dass man „extrem“ sei, manipuliert wäre und die rosarote Brille aufhabe. Oft heißt es auch, dass man als Teenager doch andere Probleme haben müsse. Aber ich bin nicht naiv: Ich träume von einer Welt, in der einiges anders läuft.
Die AfD könnte bei den anstehenden Landtagswahlen stärkste Kraft in Sachsen werden. Macht dir das Angst?
Klar, aber ich kenne es jedoch nicht anders. Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Deshalb tue ich mein Möglichstes, dass es besser wird.
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Dieser Artikel ist Teil unserer Serie „Linker Osten“. In den kommenden Wochen werden wir bei Supernova über Menschen berichten, die sich in Sachsen und Brandenburg rechten Strukturen entgegenstellen.