Seien wir ehrlich: 2020 war ein beschissenes Jahr zum Daten. Kaum zufällige Flirts in Bars, Clubs oder Cafés, kaum ein Kennenlernen neuer Personen aus dem erweiterten Freund*innenkreis. Schließlich waren Locations die meiste Zeit nur eingeschränkt geöffnet und bargen ein Infektionsrisiko, und Letzteres ist eben unwahrscheinlicher, wenn sich nur der engste Zirkel trifft. Also habe ich mich, da ich inmitten der Pandemie wieder Single wurde, für Online-Dating-Plattformen entschieden. Und ich habe den Entschluss gefasst, keine heterosexuellen Cis-Männer mehr zu daten. Als Vorkehrung für besseren Sex.
In diesen Dating-Apps kann man durch das Profil der anderen Person und ein paar ausgetauschte Sätze im Chat schon einmal abschätzen, ob es potenziell passt, „matcht“ eben, und sich ein Spaziergang mit coronakonformem Abstand lohnen würde. Denn das Verlangen nach Liebe, Nähe und Sex ist bei den Menschen in Deutschland während der Pandemie nicht verschwunden. Es nahm teilweise zu, wie Statistiken zeigen. Prinzipiell griff ich in den letzten Jahren immer mal wieder auf Dating-Apps zurück, die Trennung von einer queeren Beziehungsperson inmitten der Pandemie gab mir dann wieder Anlass dazu. Also setzte ich mich damit auseinander, wen ich eigentlich daten möchte.
Bei einigen Dating-Apps kann man genau angeben, was einem wichtig ist, wie Geschlecht(er), sexuelle Orientierung, politische Einstellung, oder Sternzeichen. Als bisexuelle Person bin ich hinsichtlich des Geschlechts meiner Datingpartner*innen prinzipiell offen: Date ich nicht-binäre oder Trans-Personen, Cis-Frauen oder Cis-Männer? Personen mit beispielsweise bisexueller-, pansexueller-, lesbischer- oder heterosexueller Orientierung? Die Auswahl ist groß und letztendlich sind für Bisexuelle all diese Personen valide Datingpartner*innen.
Keine Dates mit heterosexuellen Cis-Männern mehr
Ich entschied also, mir vom Algorithmus der Dating-App nur noch Personen aus der queeren Community vorschlagen zu lassen, wozu beispielsweise auch bisexuelle oder queere Cis-Männer zählen. Und keine heterosexuellen Cis-Männer mehr zu daten. Der Grund ist so simpel wie gravierend: besserer Sex! Besserer Sex, das klingt erst einmal sehr allgemein. Ist guter Sex nicht etwas, das jede*r anders definiert? Jein.
Beginnen wir zunächst einmal damit, was in der Alltagssprache unter Sex verstanden wird. Denn ich muss mir nicht erst die Wikipedia-Definition von „Geschlechtsverkehr“ durchlesen, um zu wissen, dass Penis-in-Vagina-Sex oft als Äquivalenz zu Sex überhaupt angesehen wird. Natürlich ist diese Definition hochproblematisch und heteronormativ. Trotzdem prägt diese Vorstellung das Alltagsverständnis dessen wie „normaler Sex“ funktioniert. Sie hat sich schließlich als bürgerliche und weiße Sexualpraktik etabliert, die gesellschaftlich bevorteilt wird.
In der Logik dieser Definition von Sex wird alles andere als Vorspiel und als „kein richtiger Sex“ gewertet. Zahlreiche weitere Mythen gehen mit dieser Vorstellung einher, beispielsweise, dass Personen mit Vulva Orgasmen ohne klitorale Stimulation, die sogenannten vaginalen Orgasmen, erleben können. Tatsächlich ist selbst bei vaginaler Penetration die Stimulation des inneren Teils der Klitoris für den Orgasmus verantwortlich. Auch die Annahme, dass „die Orgasmen der Frauen“ komplizierter seien als „die Orgasmen der Männer“, zeigt, wie sehr in diesem heterosexuellen Sex-Skript die cis-männliche Lust im Vordergrund steht. Die Liste könnte noch ewig so weitergeführt werden. Fest steht: Als ich angefangen habe, mit diesen Narrativen aufzuräumen und ich meine Bisexualität entdeckte, hatte ich besseren Sex.
Aber da musste ich erstmal hinkommen. Klassischerweise habe ich meine ersten sexuellen Erfahrungen bis Anfang 20 ausschließlich mit Cis-Männern gemacht. Sei es in romantischen Beziehungen, beim Dating oder bei Hook-Ups – der Sex, den ich mit heterosexuellen Cis-Männern hatte, war oft sehr ähnlich. Der Fokus lag meistens (suprise!) auf der cis-männlichen Befriedigung; meine Lust und meine Orgasmen waren hinten angestellt. Tatsächlich erlebte ich somit erst mit Anfang 20 meinen ersten Orgasmus beim Sex zu zweit. Auch wenn in diesen Begegnungen offen über Sex geredet wurde, vergnüglich verschiedene Sexpraktiken und Stellungen ausprobiert wurden: Der Penis-in-Vagina Sex war als Standard unanfechtbar. Dabei waren Grenzüberschreitungen im Zuge dieser Erfahrungen mit Cis-Männern, egal ob in Beziehungen oder bei Dates, ein fester Bestandteil von Hetero-Sex: Kein Fragen, ob das Küssen oder Anfassen bestimmter Körperteile in Ordnung ist, kein Vergewissern, ob ich gerade wirklich Lust auf Sex habe. Letzteres wurde für mich als Cis-Frau und somit stets sexuell verfügbares Objekt vorausgesetzt. Und das Verhalten kam genauso bei Sexpartnern vor, die sich als Feministen bezeichneten. Später, als ich mit queeren Personen und Cis-Frauen Sex hatte, wurde mir auf einmal klar, wie „guter Sex“ funktioniert: Und zwar mit Konsens! Denn Konsens beim Sex bedeutet, sich für die jeweiligen Sexpraktiken Zustimmung einzuholen, das heißt miteinander zu besprechen, auf was mensch Lust hat.
Sex mit Konsens ist viel besser
Queere Personen sind es gewohnt, beim Sex Fragen zu stellen: Welche Sexpraktiken und Stellungen magst du (nicht)? Welche Sex Toys benutzt du? Bist du eher dominant, Sub oder Switch? Bist du top oder bottom? Auch der Comedian Dan Savage verdeutlicht anhand der schwulen Community, dass hier Sex ohne eine gelungene Kommunikation nicht funktioniert. Sein Rat an die Hetero-Welt: “Wenn du deine Definition von Sex erweiterst, um nicht-penetrative Sexspiele miteinzubeziehen, und du diese Dinge nicht wie tragische Trostpreise behandelst, die du anstelle der erhofften Trophäe erhältst, wirst du besseren Sex haben.“
Nebenbei bemerkt liegen die Vorteile von Sex ohne Penis-in-Vagina Penetration auf der Hand: So wird das Risiko, sich sexuell übertragbare Krankheiten einzufangen oder schwanger zu werden zumindest minimiert. Vielleicht könnte daher sogar auf eine hormonelle Verhütung verzichtet werden?
Aber zurück zu Sex in der queeren Community: dieser muss nicht an sich besser, das heißt einvernehmlicher, diverser, kritischer und kommunikativer sein. Und auch Sex mit hetero Cis-Männern muss nicht per se schlecht, übergriffig und stereotyp sein. Wenn es um Cis-Männer geht, waren es aber meiner Erfahrung in den letzten Jahren nach insbesondere die Queeren und Bisexuellen, die klassische Hetero-Sexskripte kritisch hinterfragen oder ablehnen. Diese Erkenntnis hat sich schließlich auch während meiner Dates in den letzten Monaten bestätigt, was mich zu diesem konsequenten Entschluss bewegte.
Letztendlich denke ich, dass jede*r unabhängig von der sexuellen Orientierung was davon hat, stereotype Sexpraktiken zu hinterfragen, sich unvoreingenommen auf die Suche nach den eigenen sexuellen Vorlieben zu machen und sich mit den Sexpartner*innen darüber auszutauschen. Für mich ist diese Entscheidung, keine hetero Cis-Männer mehr zu daten, schließlich eine Vorkehrung, die aus meinen Erfahrungen resultiert und die ich als bisexuelle Cis-Frau treffen kann. Auch 2021 wird Dating erst einmal nicht leichter werden, vielleicht bleiben mir so aber Enttäuschungen erspart.