Triggerwarnung: Sexualisierte Gewalt
Eine Spielart von Männlichkeit ist das bewusste nach unten treten. Darin sind viele Rapper Meister. Manchmal geht es gegen Frauen, manchmal behinderte Menschen, manchmal Homosexuelle. Man fühlt sich weniger “schwach”, wenn man vermeintlich “noch Schwächere” unter sich hat. Dass diese Künstler über Nationalismus, Kapitalismus und Armut rappen, rechtfertigt ihre Ausfälle nicht.
Nehmen wir zum Beispiel den Rapper Gzuz von 187 Strassenbande, über den hier auf Supernova auch schon geschrieben wurde. Der Hamburger Rapper ist hoch im Kurs – erreicht Goldstatus. Fans feiern ihn für seine harten Lines. Spätestens seit er den vollen Turn zu Gangsterrap gemacht hat, klingelt die Kasse.
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Auch wegen des Sexismus. 2018 rappt er in “Was hast du gedacht?”: “Bring deine Alte mit, sie wird im Backstage zerfetzt; ganz normal, danach landet dann das Sextape im Netz.” Auf der gleichen LP, Wolke 7, rappt er dazu in “Träume”: “Man sagt, ich bin frauenverachtend; aber Frauen sind Schlampen.” Nur mal so am Rande: Das N-Wort benutzt er auch, obwohl er nicht schwarz ist. Sonst ist das ein absolutes No-Go in der Szene.
Frauen sind bei Gzuz “Schlampen”, “Fotzen”, “Nutten” – natürlich außer seiner Mutter. Wenn andere Frauen es in seine Lines schaffen, dann nur mit fettem Arsch und dicken Titten. Kurz: Frauen sind nur erwähnenswert, wenn sie fuckable sind. Kein Wunder, dass bei den Shows der 187 Strassenbande weit und breit nur Männer am Mic sind. Auf der Bühne sind Frauen, wie so oft im Rap, nur Showeffekt – ähnlich dem Mercedes CL der Crew.
Ja, bei der Strassenband gibt es mehr POC (People of Color) als in vielen feministischen Gruppen – wobei man hier klar sagen muss, dass es auch feministische Gruppen von WOC (Women of Color) gibt. Aber wo sind die Frauen bei der Hamburger Crew? Gzuz unterstützt jedenfalls keine nicht-männlichen Rapper*innen, sondern vor allem seine Kumpels. Und am Ende wundern sich wieder viele, warum es so furchtbar lange dauert, bis auf den Bühnen weniger Männer sondern diversere Line-Up stehen.
Macker-Rapper gehören kritisiert. Ohne, dass Fans gleich als Universalabwehr damit kommen, dass mit Rap so überproportional hart ins Gericht gegangen werde. Es stimmt: Weiße Boygroups können ihren Sexismus unterschwellig in die Welt posaunen und bekommen kaum Shitstorms dafür, während rassifizierte Gangsterrapper als “Rüpel-Rapper” betitelt werden. Auch weil Klassismus im Spiel ist. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass jeder Sexismus kritisiert gehört.
Denn bei wem landen denn die frauenfeindlichen Bilder? Bei denen, die sich mit Gzuz identifizieren und seine Musik feiern. Ein Philosophie-Student hört vielleicht auch 187 Strassenbande, aber der Großteil der gebildeten Mittel- und Oberschicht geben sich keinen Gangsterrap. Und wenn, dann nur ironisch, performativ, denn diese Lebensrealität tangiert sie nicht. Wer die Hamburger Jungs tatsächlich hyped, kann man in den Konzerthallen sehen: Vor allem junge Menschen; vor allem junge Männer.
Ähnlich wie bei Gzuz war auch meine Mutter über Jahre alleinerziehend, bei uns gab es zeitweise in Bier gebackene Mettbröchten mit Ketchup oder eine Aldi-Familienpizza für vier Personen. Ich habe letztere zu Objekten geschnitzt, damit ich langsamer esse und satt werde. Freunde hörten Rap, dazu gingen Joints rum. Zwar gab es damals keine Strassenbande, dafür aber erst Kool Savas, später dann Aggro Berlin und Frauenarzt.
Ich habe anfangs mitgelacht, bin also auch diese Generation “Arschficksong”. 2002 rappte Sido in dem Song auf der “Aggro Ansage Nr.1”: “Es fing an mit 13 und einer Tube Gleitcreme; dann brauch man nicht erst lockern, sondern kann ihn gleich rein schieben; Kathrin hat geschrien vor Schmerzen – mir hat’s gefallen.” Das Lied lief rauf und runter. Ich wurde von vermeintlichen Freunden zum Analsex gedrängt. Da hatte ich ausgelacht.
Sexismus, der in Texten für arme Jugendliche steckt, wird von ihnen reproduziert. Dann trifft es eben die Mädchen, die mit ihnen abhängen. Die sind oft eben auch chancenlos im System Kapitalismus. Sexismus wie der von Sido oder Gzuz tritt sie verbal aber noch weiter nach unten. Das muss angesprochen werden können – ohne Abwehrreflexe.
Unangenehm wird es, wenn Linke versuchen, Vergewaltigungslines wie die von Gzuz zu rechtfertigen. Wenn er als Klassenkämpfer gefeiert und aufgelegt wird, ohne auf möglicherweise anwesende Betroffene Rücksicht zu nehmen. Laut einer Langzeitstudie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugendliche haben 40 Prozent der Frauen in Deutschland seit dem 16. Lebensjahr Gewalt oder sexualisierte Gewalt erlebt.
Wenn dann gesagt wird, man solle chillen und das sei halt eine andere Lebensrealität, ist das erst Recht klassistisch. Armut und Bildungsbarrieren sind zwar Gründe für diskriminierende Weltbilder. Aber lange nicht bei allen armen Menschen. Und selbst wenn, dann sind Bildungsbarrieren eine Erklärung für Sexismus, aber keine Rechtfertigung für ihn, falls er zugänglich angesprochen und kritisiert wurde.
Ich bin die Letzte, die den Finger gegen andere Feministinnen hebt und sagt, sie sollen keinen Gangsterrap hören. Mir wird ebenfalls gesagt, ich dürfte bestimmte Dinge doch gar nicht konsumieren, müsste immer kritisch und politisch sein. Während diejenigen, die mich outcallen, völlig unkritisch problematische Favoriten haben und sie empfehlen.
Auch ich habe meine Guilty Pleasures, meine persönlichen Widersprüche auf meinen Playlists. Songs, die ich nicht mal laut auf der Straße hören würde, um andere nicht zu konfrontieren. Ich werde mich aber nicht hinstellen und Macker-Rapper für ihren Klassenkampf oder Hass auf die Polizei feiern, wenn sie gleichzeitig von Vergewaltigung texten. Wenn ich sie wegen ersterem zitiere, dann mache ich auch ihren Sexismus zum Thema. Das ist nicht so eine entspannte Haltung. Aber ich muss auch nicht relaxed bleiben, wenn ein Kristoffer Jonas Klauß (Gzuz) oder ein Paul Hartmut Würdig (Sido) verbal nach Frauen treten.