Der Wedding kommt. Hört man. Liest man. In meinen Ohren klingt das wie „Dein Untergang kommt“. „Im Kommen“ heißt: Maries und Felix-Konstantins aus Westdeutschland kommen, die sich auf Okcupid als „open minded“ bezeichnen, aber mit Schweißhänden ihre Umhängetaschen festhalten, sobald ein Schwarzkopf auf der Müllerstraße an ihnen vorbeiläuft. „Im Kommen“ heißt: die Mieten sind doppelt so teuer, der Baklavaladen am Leopoldplatz muss schließen, hier ein Beet, da ein Coworkingspace. Der Falafelladen kann natürlich bleiben, der Mantıladen auch, aber nur wenn er vegetarische Mantı anbietet. „In“ ist, wo alman drin ist. Ergo ist Untergang für Berlin Kanax aus der Unterschicht angesagt.
Leider machen Marie und Felix-Konstantin auch keinen Halt vor dem Weddinger Sprech, konkreter gesagt: unserem Soziolekt (Wer an dieser Stelle nicht weiß, was ich meine und es sich auch nicht vorstellen kann, der kann sich mal was von der Linguistin Heike Wieser durchlesen, z.B. „Ich mach disch Messer.“). Dieser Sprech wird sich neuerdings von almans zu eigen gemacht. Dadurch wird der Weddinger Sprech nicht salonfähig, aber die Imitation des Weddingers schon. Doch ganz ehrlich, wenn ein alman, der mit mir flirtet, die Frage „Ey, willste Latte Macchiato oda was, ya?“ stellt, dann verdient er höchstens nur eine Gegenfrage als Antwort:
„Möchtest du einen Korb oder dein Gesicht in das Wasser?“
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Die Imitation vom Weddinger Sprech erschwert gesellschaftliche Teilhabe
Bekannte, die einen mit „Bruda, was los hier, ya?“ auf politischen Veranstaltungen begrüßen, gibt es mittlerweile auch. Einmal denkt man nicht an die eigene Herkunft, schon wird man auf solch eine Art und Weise daran erinnert. Es raubt einem die Energie, sobald man mitbekommt, dass der Weddinger Sprech und somit man selbst nachgeahmt wird – ob ich dann eine Diskussion darüber führe oder nicht. Solche Menschen erschweren mit ihrer Imitation die gesellschaftliche Teilhabe: Man muss sich fragen, ob man so einen Raum wieder betreten möchte und die Gefahr eingehen möchte, dass man imitiert wird und meistens auch die einzige migrantische Person in dem Raum ist.
Was dieses „Bruder“ sein soll, konnte man mir bislang auch nicht erklären. Ist Deutsch nicht eine achso differenzierte Sprache? Sie kann zwar nicht zwischen Tante mütterlicherseits und väterlicherseits unterscheiden, aber immerhin zwischen Bruder und Schwester. Man könnte mich und andere weibliche Mitmenschen also zumindest mit „Schwester“ ansprechen. Aber bevor ihr loslegt, eine Empfehlung frei nach der Maxime „Benutze nur Wörter mit denen du es ernst meinst“ ausspricht: Man sollte das Konzept von Sisterhood verinnerlichen. Das kommt in einer heteronormativen, individualistischen Gesellschaft, in der es nur ein Ich oder ein Wir mit Schatzi gibt, weniger vor. Somit ist Sisterhoood eine echte Herausforderung für möchtegern „Schwestern“.
Dass die Leute „Bruder“ sagen und es lustig finden, dass sie eine „Erkan und Stefan“- Assoziation haben, zeigt wie wenig sie von Geschwisterlichkeit ohne Blutsverwandschaft verstehen – und erst recht, wie wenig sie sie wertschätzen. Aber gut, das sollte einen nicht wundern in einem Land, dass die Staatsangehörigkeit noch bis zum Jahr 2000 nach dem Jus sanguinis verteilt hat, also: nur wer „deutsches Blut“ hat ist Deutscher.
Inşallah, halal oder haram sind sakral für manche Menschen
Die Imitation hat sich mit dem Anstieg des antimuslimischen Rassismus in den letzten Jahren noch erhöht. Eine Imitationswelle überflutet jetzt auch noch das Sakrale. So wie für euch Bio-Siegel oder Aluminiumräder heilig sind, so sind es für Andere und insbesondere für einige Muslimin*innen, religiöse Elemente, beispielsweise Wörter wie Inşallah, halal oder haram. Wörter, die von vielen Menschen benutzt werden, da sie schwer ins Deutsche zu übersetzen sind.
Ich kenne viele Menschen, die diese Wörter außerhalb ihrer vier Wände nicht benutzen, die sich selbst zensieren. Sobald sie diese in der Öffentlichkeit aussprechen würden, würde der Islamismusvorwurf auf sie einstürzen. An Flughäfen oder in den öffentlichen Verkehrsmitteln wird alles mit einem „Allah“ aus dem Mund muslimisch gelesener Menschen als Terrorismusgefahr eingestuft. Ihr hingegen benutzt sie, um eure „interkulturellen Kompetenzen“ zum Vorschein zu bringen und seid vermutlich so dreist, dass ihr dann auch noch in eurem Lebenslauf Arabisch als Sprachkenntnis angebt.
Noch heftiger wird es, wenn ich mich daran erinnere, dass letztens eine junge Frau lachend „Valla billa Jobcenter“ sagte, als ich sie fragte, wie sie sich ihren Urlaub leisten könne. Als ich das einem Freund, dem Journalisten Cem Bozdoğan erzähle, meinte er: „Valla billa Jobcenter? Valla Grundgesetz, valla billa Feminismus hört man aber niemanden sagen.“ Dadurch wird deutlich, wie sehr Form und Inhalt sich gegenseitig beeinflussen, welche Bilder es von Menschen gibt, die so sprechen: Menschen, die Wörter wie „Valla“ benutzen, beschäftigen sich mit dem Jobcenter, nicht mit dem Grundgesetz oder Feminismus, das machen ja bekanntlich almans.
Spart euch die Gegenargumente und hört euch Hip-Hop an
Die Gegenargumente, die ihr bei der Lektüre hattet, könnt ihr euch übrigens sparen. Klar habe ich auch schon gegen mich und meine Wahrnehmung argumentiert. Es könnte ja auch ein Zeichen von Solidarität und Anerkennung sein, eine Form von Integration seitens almans in den Wedding und überhaupt.
Die Imitation des Weddingers ist kein Stilmittel wie ihr es aus dem Deutschunterricht kennt. Trotzdem ambivalent das Ganze, denkt ihr jetzt? Soll ich euch mal was verraten? Nein, es ist nicht ambivalent, es ist eindeutig und offensichtlich. Es ist Spott, der eure Privilegien implizit verdeutlicht. Während Weddinger*innen mit so einem Sprech ein Hauptschulabschluss und Unwissenheit unterstellt wird, seid ihr hip und sprachlich begabt, vollzieht Sprachregisterwechsel, so die gängigen Interpretationen.
Wenn ihr es dennoch ernst mit der Anerkennung der sprachlichen Vielfalt meint, dann sorgt dafür, dass dieser Soziolekt so viel Anerkennung findet und wertgeschätzt wird wie bildungsbürgerlicher Sprech. Schließlich sind beides Sprechweisen bestimmter Millieus und keine ist besser als die andere.
Wenn ihr euch immer noch denkt, was will die denn? Dann hört euch Ebows Album an. Das fängt mit Hengameh Yaghoobifarahs Skit an: „An alle almans und cis Heten, die sich migrantische, nicht weiße und queere Ästethiken aneingnen. Wir tragen dies mit Stolz, aber auch mit Stigma.“