Am Sonntag sorgte ein Einsatz der Polizei gegen Klimaaktivist*innen am Flughafen Berlin-Tegel für lange Staus und viel Frust bei den Fluggästen. Wir haben Lukas, einen Aktivisten von „Am Boden bleiben“, bei der Aktion begleitet.
Es ist früh am Sonntagmorgen, während Berlin noch seinen Rausch ausschläft, tummeln sich am Platz der Luftbrücke rund 100 Klima-Aktivist*innen der Gruppe „Am Boden Bleiben“. Einer dieser Aktivist*innen ist Lukas. Er wirkt an diesem Morgen etwas nervös, macht viele Witze. Auch in seiner Bezugsgruppe, einer kleinen Gruppe, die bei Protesten zusammen bleibt und aufeinander achtet, herrscht eine spürbare Unsicherheit. Unsicherheit darüber, was genau heute passieren wird, denn auch die Demonstrierenden haben erst am Sammelpunkt am Platz der Luftbrücke erfahren, wohin die Reise heute gehen wird. Ihr Ziel: Einen der Berliner Flughäfen blockieren.
Keiner weiß genau, wie sich die Polizei verhalten wird, die von dem ersten Treffpunkt scheinbar im Vorfeld erfahren hat und nun mit einem Großaufgebot vor Ort ist. Die Beamt*innen sind auf der Suche nach Veranstaltungsverantwortlichen und kontrollieren mitgebrachte Flyer und Dokumente auf das presserechtlich nötige Impressum. Es kommt zu einer ersten Ingewahrsamnahme, weil ein Aktivist seine „Dokumente“ nicht herausrücken will. Die Polizist*innen sind weit in der Überzahl.
Fliegen ist die klimaschädlichste und unfairste Art der Fortbewegung
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Durch eine „diffuse Anreise“ versuchen die Protestierenden auf ihrem Weg zum Flughafen, die Polizei abzuschütteln. Im Klartext heißt das, dass sie in kleinen Gruppen und über Umwege versuchen, möglichst unauffällig an ihr Ziel, das nun festeht, zu gelangen: Der Flughafen Tegel. Manche ziehen zu diesem Zweck kleine Rollkoffer hinter sich her, andere tragen Reise-Rucksäcke. Lukas Bezugsgruppe beschließt, in Zweier-Gruppen getrennt loszufahren, um weniger Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Die Aktivist*innen der Bezugsgruppe kennen sich von vorherigen Protesten wie der „rebellion wave“ von Extinction Rebellion oder Ende Gelände. Viele sind für die Blockade-Aktion extra nach Berlin gereist. Lukas studiert eigentlich Ökosystem-Management in einer westdeutschen Kleinstadt. „Fliegen ist die klimaschädlichste und unfairste Art der Fortbewegung“, begründet er seine Teilnahme an dem Protest. „Ich persönlich habe nichts gegen das Fliegen an sich, ich habe sogar einen Flugschein für Segelflugzeuge, aber die Luftfahrtindustrie, und gerade kommerzielle Kurzstreckenflüge, sind maßgeblich an der Zerstörung des Klimas beteiligt“, so der Aktivist. Statt weiter auf die Subvention der Luftfahrt zu setzen, sollte die Politik viel mehr in den Ausbau des Schienennetzes und anderer alternativer Verkehrsmittel investieren, so die Protestierenden.
Getreu dem Motto „Die coolsten Vögel bleiben am Boden” hat die Gruppe „Am Boden Bleiben“ den flugunfähigen Pinguin als Wappentier gewählt. Pinguine können nicht nur nicht fliegen, sondern gehören in ihrer antarktischen Heimat auch zu den von der Erderwärmung direkt betroffenen Tieren. Im Gepäck haben die Protestierenden daher Transparente und Pinguinkostüme versteckt, mit denen sie ihrer symbolischen Blockade einen bunten, kreativen Ausdruck verleihen wollen. Damit beabsichtigen sie, gegen die Klimapolitik der Bundesregierung zu protestieren, die ihnen mit dem „Klimapaket“ nicht weit genug geht. Sie wenden sich gegen den ungebremsten Wachstumskurs der Flugindustrie und fordern die sofortige Einstellung aller Inlandsflüge sowie einen Ausbaustopp der Flughafeninfrastruktur.
Schon lustig, dass die Polizei hier die eigentliche Blockade organisiert
Lukas‘ Grüppchen erreicht mit Bus und Bahn den Flughafen Tegel. Wieder wartet dort bereits die Polizei und versucht mit einem Großaufgebot zu verhindern, dass die Aktivist*innen das Flughafengelände betreten. Sie kontrollieren Busse und PKW-Insass*innen und sperren zeitweilig sogar die Autobahnabfahrt zum Flughafen Tegel. Die Polizei kann nicht erkennen, wer von den tausenden Fluggästen überhaupt an der Aktion teilnehmen möchte. Durchgelassen wird nur, wer ein Flugticket vorweisen kann. Eine Familie mit Kindern möchte einen Verwandten vom Gate abholen, auch für sie gibt es kein Durchkommen. Ebenso für ein Rentner*innenpaar, das erfolglos versucht, seine Gäste aus dem Ausland in der Ankunftshalle zu erreichen. Lukas und seine Bezugsgruppe müssen vorerst draußen bleiben. Sie haben kein Flugticket dabei. „Das ist schon ein bisschen enttäuschend, aber immerhin werden wir von der Polizei ernst genommen“, sagt Lukas. „Schon lustig, dass die Polizei hier die eigentliche Blockade organisiert“, sagt er. „Skandalös“ findet die Maßnahme hingegen die Pressesprecherin von „Am Boden Bleiben“, Klara Strauss. „Umso wichtiger ist, dass es viele mutige Menschen ins Terminal geschafft haben und sich dort für eine sozial- und klimagerechte Mobilität einsetzen”, sagt sie. Die Folgen der intensiven Fahrzeugkontrollen sind kilometerlange Staus und genervte Fluggäste, von denen einige die letzten Meter zum Flughafen schlussendlich zu Fuß zurücklegen.
Die Bezugsgruppe lässt sich derweil vom massiven Polizei-Aufgebot nicht entmutigen. Sie laden vor der Polizeikette heimlich gefälschte Tickets aus dem Internet. So schaffen es einige von ihnen doch noch in den Flughafen. Viele haben sich ihr Pinguin-Kostüm übergestreift. Zusammen mit ungefähr 50 weiteren Demonstrierenden bilden sie die angekündigte symbolische Blockade im Terminal A. Symbolisch, weil sie nicht beabsichtigen, tatsächlich Passagiere am Abflug zu hindern. „Wir wollen niemanden daran hindern, sein Flugzeug zu besteigen“ so Sascha, einer der Organisator*innen von „Am Boden Bleiben“. Ziel der Blockaden seien nicht die Passagiere, sondern auf die Problematik der Flugindustrie aufmerksam zu machen. Man wolle zwar den Ablauf stören und auf die Klimakrise hinweisen, jedoch niemanden persönlich belästigen. Die Intention der Aktivist*innen kommt jedoch nicht bei allen Passagieren an. „Protestieren ist ja in Ordnung, aber doch nicht am Flughafen wo die Leute es eilig haben“, findet Walter Heinrich, der an diesem Tag in den Urlaub fliegen möchte.
Gegen 17 Uhr meldet sich Lukas per Handy, dass alle wieder frei sind. Die Stimmung ist wieder „ganz oben“
Die Aktivist*innen vor dem Gelände melden nach ungefähr zwei Stunden eine Mahnwache vor dem Terminal an und dürfen so, im Schutz des Versammlungsrechts endlich das Flughafengelände betreten. Die Protestierenden aus der Blockade beschließen, sich der Mahnwache anzuschließen und beenden ihre friedliche Aktion im Gebäude ohne nennenswerte Zwischenfälle. Umso verwunderlicher ist das Verhalten der Polizei, die, einer Pressemitteilung von „Am Boden Bleiben“ zufolge, kurzerhand die Pressesprecherin der Gruppe, Klara Strauss, verhaftet, obwohl diese sich zu keinem Zeitpunkt am Blockadeort aufhielt. Neben der Pressesprecherin werden an diesem Tag noch zwei weitere Personen in die Gefangenensammelstelle gebracht. Gegen 17 Uhr meldet sich Lukas per Handy, dass alle wieder frei sind, die Stimmung sei dementsprechend wieder „ganz oben“. Lukas und seine Mitstreiter*innen bewerten die Aktion als Erfolg. Weitere werden folgen.