Vor 2015 war das mit dem Mindestlohn noch Witz und Kommunismus. Wir arbeiteten im Osten neben Schule und Studium für fünf Euro pro Stunde. Am krassesten wurde mir das bewusst, als ich paar Monate Nachtschicht für diesen Betrag in einer Jugendherberge in Chemnitz als Wächterin, Putzfrau und Anbaggermaterial für besoffene Männer anheuerte.
Nach jeder Schicht lief ich um sieben Uhr morgens nach Hause und seufzte leise in meine Heimwegkippe, weil ich sage und schreibe in sieben Stunden 35 Euro verdient hatte. Über das Wort “Nachtzuschlag” konnte ich nur weinen. Wenigstens hatte ich mich während meiner Schichten reichlich an der Eistruhe und Eiern fürs Frühstück bedient (falls meine ehemaligen Arbeitgeber mitlesen: Versteht dies als Satire).
Aus der Jugendherbergserfahrung nahm ich dennoch etwas fundamental Wichtiges mit: Ich stellte fest, dass ich fortan nur noch nachts arbeiten wollte. Nachts arbeiten ist, als würde man sich austricksen. Der Kopf ist Brei, man wird müde-benebelt und was man tut, rauscht nur so an einem vorbei. Sobald man irgendwann, zwischen fünf und acht, im Bett liegt, hat man es eigentlich schon wieder vergessen, die Feierabendmüdigkeit lautet hier Dummheit und komaartiger Schlaf. Es sei denn, vor dem Fenster muss eine Kindergartentruppe Posaune spielen, es ist mal wieder Karneval, Bäume müssen sinnloserweise abgesägt werden oder Nachbarn schreien sich an, wie es dem jeweils anderen denn GERADE SO GEHT UND WAS IST JETZT MIT NADINE EIGENTLICH?
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Nachts zu arbeiten bedeutet ein Leben voller Ausreden und ohne schlechtes Gewissen.
Nachtarbeit ist natürlich auch anstrengend, aber man ist einfach nicht auf der Höhe, mitzubekommen, dass man gerade ausgebeutet wird wie alle anderen auch, weil normalerweise würde man nachts eh schlafen und Teile von einem tun das auch. Nachts zu arbeiten bedeutet ein Leben voller Ausreden und ohne schlechtes Gewissen. Man kann so lange schlafen wie man will, kann immer sagen “Ich habe die ganze Nacht gearbeitet”, was beeindruckender klingt, als “Ich habe den ganzen Tag gearbeitet” (wow, wie außergewöhnlich) und sieht die Welt als wäre sie auf den Kopf gestellt. Wach sein, wenn andere schlafen, schlafen, wenn andere leben.
Ich träume von einer Welt, die auch für Nachtarbeitende eingerichtet ist. Es gäbe spezielle Plätze in Bahnen, damit man nicht mit den Besoffenen konfrontiert wird. Mit denen, die auf Arbeit fahren, wenn man selbst gerade von selbiger kommt, konfrontiert man sich gern, weil es ein geiles Gefühl ist, dass man den Scheiß schon hinter sich hat. In der Nachtarbeiterwelt hätten Fressläden immer auf, dann könnte man noch fix einkaufen, sich selbst überraschen und sich etwas Leckeres neben das Bett legen für das morgendliche 15 Uhr. Behördenkram könnte man auch direkt erledigen, aber Nachtarbeitende erledigen in der Regel keinen Behördenkram, weil sie ihr Leben nicht im Griff haben. Bei bestimmten Jobs kann man auch saufen “während der Arbeitszeit” und da kommt die liebe Gastro ins Spiel.
Ich arbeite am liebsten in Clubs. Hallo, ich bins, die Garderobenfrau. Neben Sauferei (falls erlaubt) bedeutet das: Mehr Lohn, Trinkgeld (wenig, aber in guten Läden wird unter allen aufgeteilt), beschissen aussehen dürfen und rabiater Umgang mit fiesen Gästen. Nach einem Jahr in diesem Job wusste ich auch endlich, dass man “Garderobe” mit zwei “r” schreibt. Bei meiner ersten Schicht rannte ich heulend raus, weil Gäste zu ihren Jacken wirklich ein weirdes, emotionales Verhältnis haben, was sie durch Nerverei, Drohungen, Beleidigungen und sogar Gewalt zum Ausdruck bringen und das konnte ich wirklich nicht ahnen. Eine Kollegin faltete die Arschlöcher damals auf beeindruckende Weise zusammen und ich wollte wie sie sein. Heute tut ich das, aber dafür brauchte es ein wenig.
Garderobenjobs sind die uncoolsten Positionen in Clubs, die meisten wollen lieber an die Bar, weil das sexier ist.
Garderoben haben ein System, das man erstmal verstehen muss. Gäste aber auch. Gäste lügen. Gäste sind dumm. Gästen muss man begegnen wie kleinen Kindern. Die Aussage “Ich habe meine Marke verloren” kann man direkt überhören. 9 von 10 Leuten, die das behaupten, haben sie nicht verloren, sind nur zu faul oder zu besoffen und wie durch ein Wunder (Garderobenfrau macht klare Ansage) taucht das Ding dann doch noch auf. Garderobenjobs sind die uncoolsten Positionen in Clubs, die meisten wollen lieber an die Bar, weil das sexier ist. Da werden einem Nummern zugesteckt und man wird fürs Shaken bewundert, weil man hofft, man bekäme was umsonst. Garderobenfrauen werden hingehend ungefragt Zungen in die Nähe des Mundes gesteckt, weil man glaubt, man kann sie wie Dreck behandeln. Sie werden Schätzchen, Süße oder Schlampe genannt, Jacken werden ihnen zugeworfen, Kleingeld vor ihnen ausgeschüttet, sich beschwert, dass man echt was bezahlen muss, obwohl das ja nun wirklich keine krasse Arbeit sei. Ihr habt ja keine Ahnung.
Man muss aushandeln, wie man den oft zu geringen Platz nutzt, man muss quetschen, man muss geduldig sein, ständig nochmal “was dazuhängen” und dabei aufpassen nichts anderes herunterzureißen, ständig streiten, teilweise in ziemlicher Dunkelheit die eine schwarze Jacke finden, drei Leute gleichzeitig bedienen und ausbaden wenn Gäste ihrer einzigen Aufgabe, nämlich die beschissene Marke zu behalten, nicht nachkommen. Dann noch all die Missverständnisse à la “Du hast meine Jacke verloren” – eine Stunde Diskussion bis dann rauskommt, dass die Person sie schon an hat, sie irgendwo im Club liegen gelassen hat oder der Kumpel sie schon abgeholt hat. Oder sich mit dem Typ befassen, der einen volllabert, er sei ja auch aus der Gastro und wisse wie nervig das alles sei und dabei am meisten nervt. Und dann noch jene, die einem den eigenen Job erklären und dabei ihr Bier auf einem verschütten…
Aber es ist nicht alles schlecht. Es macht auch Spaß, man ist in Bewegung, kann den Kopf ausstellen, Musik hören, rauchen, bei Konzerten was lesen und selbst nicht viel falsch machen. Und wenn man es doch tut, sind manche sogar verständnisvoll. Es gab da diese eine Frau, die immer Essen von ihrem Job mitgebracht und es den Garderobenmenschen (meist Frauen) geschenkt hat. Und man bekommt in solchen Jobs das verbale Werkzeug verpasst, mit aufdringlichen Männern umzugehen. Kollegen und Freunde bringen einem auch mal Schnaps. Am schlimmsten sind allerdings die Momente, in denen man begreift, dass man sich manchmal genau so wie diese Leute verhält. Tja.
Paula Irmschler lebt in Köln, wo sie in der Gastro und als Society Expertin arbeitet. Ihre Texte erscheinen unter anderem bei Titanic, neues deutschland, Musikexpress, Intro und laut.de, aber vor allem auf Facebook.