Die Musiker*innen Jonas Kakoschke und Kaye planen, sich als Frontsänger*in der Band »KAFVKA« abzuwechseln. Jonas ist seit der Gründung der Band 2013 Leadsänger und das Gesicht nach außen. Seit er Vater ist, ist es für die Band schwierig geworden, den vielen Konzert- und Festivalanfragen nachzukommen. Und so kamen die Jungs auf die Idee, mit dem Macker-Kult um den Frontmann in der Musik zu brechen. Wenn Jonas keine Zeit hat, übernimmt Kaye die Band. Die Filmemacherin Melanie Lueft hat über das Projekt und die ersten gemeinsamen Proben eine Dokumentation gedreht, die unter: bit.ly/diesachemitkaye zu sehen ist. Im Interview mit „Supernova“ sprechen Kaye und Jonas über Elternschaft im Musikbusiness und wie ihre Idee funktionieren soll.
Der Vorschlag, den Frontmann auszutauschen, kam aus der Band. Jonas, dachtest du, die wollen dich loswerden?
Jonas: Das dachte ich erst, ja. Hintergrund war, dass ich letztes Jahr ein paar Konzerte absagen musste, die schon zugesagt waren, weil ich aus familiären Gründen keine Zeit hatte. Dazu kam, dass wir viele Konzertanfragen – mehr als die Hälfte – absagen mussten, weil ich nicht konnte. Dann hat die Band irgendwann gesagt: Ey, wir müssen uns unterhalten.
Klingt ernst, so als wäre die Band kurz vor der Auflösung gewesen.
Jonas: Das war meine Angst. Aber dann fingen sie damit an, dass bei uns über die Jahre viele Personen ersetzbar gewesen sind, bis auf mich. Für mich war das so ein »Heureka«-Moment. Ich hatte sehr lange darüber nachgedacht, wie ich den Druck loswerden kann, der aus dem Privaten und von der Band kam.
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Es ging darum, das Leben als Papa und die Musikkarriere gewuppt zu bekommen.
Jonas: Genau, wir haben in der Band und Zuhause viel darüber gesprochen. Ich habe bei der letzten Tour gemerkt, dass es für meine Partnerin und mich eine sehr anstrengende Zeit war.
Wie passt das bei einer linken Band zusammen? Du bist als Rockstar ständig unterwegs, und deine Partnerin leistet zu Hause Care-Arbeit?
Jonas: Überhaupt nicht. Wir sind super bemüht, eine ausgeglichene und gleichberechtigte Elternschaft zu leben. Wenn ich unterwegs bin, ist es meine Aufgabe, die Kinderbetreuung zu organisieren, so dass meine Freundin auch ihr Ding machen kann. Gesellschaftlich wird einem das überhaupt nicht leicht gemacht. Sobald die ersten Probleme auftreten, ist es total einfach, in alte Rollenbilder zu fallen. Die Tour war diesbezüglich ein richtiger Upfuck. Dann musste ich wegen eines Notfalls in der Familie mit ins Krankenhaus, und Konzerte sind ausgefallen. Der Druck von allen Seiten war riesig. Ich habe gemerkt, dass sich was ändern muss, als ich im Krankenhaus saß und darüber nachdachte, ob ich es nicht doch zu einem Konzert in Reutlingen schaffen könnte.
Und es musste aber eine Frau sein, die dich ersetzt?
Jonas: Es musste Kaye sein!
Kaye, wie hast du auf die Anfrage der Band reagiert?
Kaye: Ich war gleich begeistert. Weil ich Jonas und die Band gut verstehen konnte. Ich habe eine eigene Band, Team Sabotage, zusammen mit meinem Partner. Auch wir sind Eltern. Seit meiner Schwangerschaft haben wir aber kein einziges Mal geprobt, denn einer muss immer aufs Kind aufpassen. Ich habe dann angefangen, meine Solosachen wieder neu zu starten und klar kommuniziert, dass ich ein Kind habe und Support brauche, sonst bin ich von vielen Veranstaltungen ausgeschlossen. In dem linken Kontext, in dem ich auftrete, gab es dafür Verständnis.
Wie sieht das Verständnis praktisch aus?
Kaye: Meistens waren das Veranstaltungen, auf denen sogar eine Kinderbetreuung für die Acts organisiert war. Oder es war möglich, eine größere Unterkunft und ein zweites Zugticket zu buchen, so dass eine Begleitperson dabei sein konnte. Anders geht es nicht, sonst ist man raus aus dem Business.
Aber es war von Anfang an klar, dass Kaye deine Texte rappt?
Jonas: Ja, aber ich hatte schon Schiss, Kaye das so zu sagen. Bei »KAFVKA« sind die Texte für die Hörer*innenschaft ungemein wichtig.
Momentan übernimmst du die Texte, die Jonas geschrieben hat. Ist geplant, dass du auch eigene Texte beisteuerst, Kaye?
Kaye: Wichtig war zuallererst, »KAFVKA« weiter zu ermöglichen. So weit haben wir noch nicht gedacht. Es ist ein Haufen Arbeit, mir die Texte zu erarbeiten. Ich würde es nicht machen, wenn ich nicht voll hinter den Inhalten stehen würde, die die Texte zum Ausdruck bringen. Es gibt aber Textstellen, die ich verändern werde, wenn ich performe.
Mit welchen Lyrics hast du ein Problem?
Kaye: Es gibt eine Stelle, da heißt es »Nazis sind krank, wir müssen die Chemo sein«, diese Metapher geht für mich nicht. Ich habe das der Band gesagt, und die Jungs haben es akzeptiert.
Jonas: Du kannst ja auch das Mikro in die Menge halten und die Fans sollen das singen.
Kaye: Nein, noch nicht mal das würde ich wollen. Familienangehörige von mir sind von den Nationalsozialisten deportiert und in Konzentrationslager gesteckt worden, und das kann ich nicht umdrehen und quasi das gleiche fordern.
Aber dann ist es ja doch wieder das alte Rollenmuster. Die Frau tritt als Unterstützerin des Mannes auf, damit er seine Ziele erreichen kann, ohne dabei an sich selbst zu denken.
Kaye: Ich sehe mich nicht als Unterstützerin, sondern in dem Moment, in dem ich performe, übernehme ich die Band. Das Publikum kann alles, was die Band ausmacht, neu rezipieren, die Wahrnehmung erweitert sich quasi. Und zwar mit einem Blick auf eine Frau. So wie du das schilderst, funktioniert es nur, wenn man sagt, dass ich die Frau bin. Aber das ist eine Zuschreibung von außen. Natürlich bin ich eine Frau, das ist die Lesart, wie man mich als Künstlerin wahrnimmt, aber ich sehe mich zuerst als eine Person, die rappt. Meine Musik und meine Stimme sind mein Medium. In meinen Soloprojekten geht es mir auch nicht darum, jederzeit klar zu machen, dass ich die Frau mit einer Message bin.
Jonas: Für uns als Band war aber schon klar, dass wir nicht einen anderen weißen cis-Typen gefragt hätten. In der Musikbranche sind wir schon genug von Typen umgeben. Wie das aussehen kann, wenn wir gemeinsam Musik schreiben, müssen wir sehen.
Euer Vorhaben habt ihr schon auf Facebook angekündigt. Einige Fans haben skeptisch reagiert, ob die Band dann noch die alte ist. Wie gehst du mit dem Druck um, Kaye?
Kaye: Ich würde lügen, wenn ich sage, das blende ich aus. Einfach, weil das bisher, soweit ich weiß, noch keiner gemacht hat, mal eben den Frontmann auszuwechseln. Alle, die das sonst gemacht haben, bei denen war das Teil der Show. Ich weiß, dass ich ein Publikum, das die Band sehr feiert, erst überzeugen muss. Aber mir ist wichtig, dass wir mit dem, was wir vorhaben, ein Kollektiv schaffen, das aus Solidarität funktioniert. Und die Band wird für ihre Inhalte gemocht, das ist was anderes als eine Szene nur über den Stil abzufeiern.
Jonas: Ich mache mir allerdings auch Gedanken. Es ist krass aufregend, was wir planen und wie es ankommt. Wir sind zwar keine Band, bei der Hunderttausende zu den Konzerten kommen und eine Menge Leute finanziell vom Erfolg abhängig sind, aber wir haben eine Fanbase, mit der wir sehr eng sind. Es gibt Chatgruppen, in denen wir uns mit ihnen austauschen.
Konzerte, bei denen Kaye auftritt, sollen extra gekennzeichnet werden. Warum das?
Jonas: Das war die Idee vom Label und vom Booking. Wir können uns damit nicht so richtig anfreunden, aber verstehen, was ihr Anliegen ist. Für uns ist wichtig, dass wir alle »KAFVKA« sind, egal, wer rappt. Wir akzeptieren, dass das erste Jahr so eine Art Übergangsphase ist, wenn es darum geht, das bei den Vorverkäufen transparent zu machen.
Die Tour im April wird Kaye noch nicht mitmachen, wann soll es richtig losgehen?
Jonas: Kaye wird das erste Mal bei einem kleinen Festival in Dresden dabei sein, das wir direkt nach der Tour spielen. Und dann bei mehreren Festivals im August und September. Das Gute ist, dass uns Leute auf den Festivals neu kennenlernen, dann Instagram checken und sich fragen werden: Wer ist dieser Typ?
Das klingt sehr danach, als müsse Kaye abwarten. Was ist, wenn sie die großen Festivals spielen will?
Jonas: Wir spielen zwei große Festivals in diesem Jahr. Und Kaye hat in unserer Chatgruppe zum Spaß geschrieben: »Die mach ich dann natürlich« – obwohl die in dem Zeitraum liegen, in dem ich die Festivals spiele – und ich hab geantwortet: »Haha!«. Erst danach habe ich darüber nachgedacht, ob das ein bisschen blöd rüberkommt. Aber gerade auf solch große Events haben wir jahrelang hingearbeitet. Die möchte ich schon gerne noch machen. Mal sehen, wie es dann nächstes Jahr aussieht, wenn wir sicherer sind.
Kaye: Ich würde natürlich alles spielen wollen, aber ich plane nicht, vor 20 000 Leuten aufzutreten, wenn ich bis jetzt noch nicht mal vor Dreien gespielt habe. Ich brauche Zeit, um mich mit der Band zu synchronisieren. Es gibt Festivals, die uns mit dem neuen Konzept gebucht haben, die uns mit der Idee supporten wollen und mich solo schon kennen. Auf diese Konzerte freue ich mich, und jetzt darf alles einfach mal passieren und losgehen.